Klangsinnliche Tongemälde: Geigerin Sarah Christian erntet beim Musiksommer stürmischen Beifall.
Bild: Nadine Burow
Klangsinnliche Tongemälde: Geigerin Sarah Christian erntet beim Musiksommer stürmischen Beifall.
Bild: Nadine Burow
Liebe zeigt viele Gesichter. Der polnische Komponist Karol Szymanowski (1882 - 1932) beschwört zumindest drei davon in seinem Zyklus „Mythen“. Sie bilden das Zentrum eines Konzertes, mit dem Geigerin Sarah Christian und Pianistin Hisako Kawamura stürmischen Beifall beim Oberstdorfer Musiksommer ernten. Der gilt allerdings weniger den drei Klangbildern der „Mythen“, sondern vielmehr Kompositionen von Ludwig van Beethoven und Richard Strauss.
Und doch stehen gerade diese „Mythen“ im Mittelpunkt des Programms. Sie führen zurück in die griechische Götter- und Sagenwelt und erzählen von der Flucht vor unerwünschter Liebe, von verhängnisvoller Selbstliebe und von drastisch-komischen amourösen Abenteuern unter Naturgeistern. Karol Szymanowski kleidet diese Geschichten in klangsinnliche Tongemälde, die zwischen sensiblen impressionistischen Stimmungsbildern und extremen expressionistischen Ausbrüchen schwanken.
Solche vor überraschenden Wendungen strotzenden Stücke machen es weder dem Zuhörer noch den Interpreten einfach. Und doch wissen Sarah Christian und Hisako Kawamura sowohl die sensitiven, wie auch die skurrilen Facetten dieser Stücke beeindruckend herauszuarbeiten und ihnen schillerndes, spannungsvolles Leben einzuhauchen. Taucht Karol Szymanowski seine Liebesgeschichten in eine schwül-sinnliche Erotik voll überhitzter Leidenschaft, so scheint er damit den Weg der Oper „Salome“ von Richard Strauss weiterzuverfolgen.
Deren Tonschöpfer steht allerdings in seiner frühen Violinsonate in Es-Dur, op. 18, noch vor einem Scheideweg. Noch schafft er ein letztes großes Werk im Bereich der Kammermusik – und schon irrlichtern darin die späteren klanglich ausladenden Tondichtungen und hochkomplexen Opern, in denen es vielfach um eines geht: die Liebe, gespiegelt im Schicksal psychologisch fein ausgeleuchteter Frauenfiguren. Und auch der Melodiker Richard Strauss zeigt sich in dieser Violinsonate bereits von seiner schönen Seite.
Diese divergierenden Charaktereigenschaften des Werkes – den zum großen symphonischen Ton hintendierenden Klang und die zum Teil höchst intime Stimmung, in die weit ausschwingende Melodien oft münden – wissen die beiden Interpretinnen auf atemberaubend vollendete Art zu vereinen. So scheint in diesem Stück schon fast prophetisch auf, was später diesen Komponisten auszeichnen wird: seine opulente klangliche Überredungskunst und sein Erspüren feiner seelischer Regungen.
Den Einstieg in solch klangsinnliche Meisterwerke liefert bei diesem Konzert Ludwig van Beethoven mit seiner Violinsonate in G-Dur, op. 30/3. Auch dort loten die beiden Interpretinnen den Notentext intensiv aus, geben den eröffnenden Allegro assai einen temperamentvollen, mitunter durchaus widerborstigen, unbequemen Charakter, zeigen im folgenden Tempo di Minuetto Anmut, Schönheit und Eleganz und setzen im finalen Allegro vivace einen kaum mehr zu bändigenden Mechanismus ungestümer Freude in Gang.
Sie wird erst am Ende durch das mitreißende Finale der Strauss-Sonate überboten, der dann als Zugabe des Komponisten ebenfalls frühes, intimes Stimmungsbild „An einsamer Quelle“ folgt.
Was der Oberstdorfer Musiksommer alles bietet.
Die Pianistin Hisako Kawamura.
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