Wenn am Freitag und Samstag (jeweils 20.30 Uhr, MEZ) die schnellsten Skifahrerinnen der Welt im kanadischen Lake Louise ihre ersten Weltcup-Abfahrten der Saison bestreiten, fällt eines auf: Unter den Starterinnen des Deutschen Skiverbands (DSV) befindet sich zum ersten Mal seit Jahren keine Allgäuerin. Dies gilt auch für den Super-G am Sonntag. Während Kira Weidle, Michaela Wenig, Patrizia Dorsch, Veronique Hronek, Katrin Hirtl-Stanggaßinger und natürlich Viktoria Rebensburg, die allesamt aus Oberbayern kommen, in den kanadischen Rockies im Starthaus stehen, muss Meike Pfister als einzige derzeit aktive Speed-Fahrerin aus dem Allgäu in Berchtesgaden ihr Reha-Programm absolvieren. Die 23-jährige Krumbacherin, die seit einigen Jahren ihren Hauptwohnsitz nach Oberstdorf verlegt hat, war im Februar beim Abfahrtstraining im schweizerischen Crans-Montana schwer gestürzt und musste die Saison vorzeitig beenden. Dem Sturz auf die Schulter folgten gleich mehrere Operationen, die letzte im Juni. Diagnose: Nervenabriss. „Leider kann ich in diesem Winter kein Rennen fahren“, sagt Pfister, die den Saisonstart ihrer Kolleginnen vor dem Fernseher verfolgen wird.
Ihre Situation steht sinnbildlich für die allgemeine Lage bei den alpinen Frauen im Allgäu. Während bei den Männern in allen Disziplinen Allgäuer mitmischen, sieht die Situation beim weiblichen Geschlecht schon fast dramatisch aus. Einzig Christina Ackermann (ehemals Geiger), Meike Pfister und die für den SC Oberstdorf startende Liechtensteinerin Jessica Hilzinger haben beim DSV aktuell noch A-Kader-Status. Ihre Karriere beendet haben Ann-Katrin Magg (Skiinternat Oberstdorf/Überlingen), die im Frühjahr ihren Rücktritt erklärt hatte, ebenso wie Lucia Rispler aus dem Kleinwalsertal; Kira Weidle, die lange in Oberstdorf gelebt hatte, kehrte nach Starnberg zurück.
Günter Hartung, Trainingswissenschaftler am Stützpunkt Oberstdorf, führt die Personalmisere auf mehrere Gründe zurück: „Gerade das hohe Verletzungsrisiko schreckt immer mehr Mädchen von den Speed-Disziplinen ab. Ein Einsatz bei den technischen Disziplinen Slalom und Riesenslalom erscheint weniger gefährlich. Zudem wird der Skirennsport immer kostspieliger und aufwendiger, so dass nur Familien mit dem nötigen finanziellen Background in dieser Liga mitspielen können.“ Hartung hat auch Defizite ausgemacht, was die Heranführung junger Talente an höhere Kader betrifft. Zu schnelles Aussortieren in den unteren Leistungsgruppen habe die Personaldecke ausgedünnt. „Wenn dann vielversprechende Talente wie Judith Schneider aus Hindelang oder Kiara Klug aus Kempten aus persönlichen Gründen den Skirennsport an den berühmten Nagel hängen, führt dies eben zu solchen Situationen“, sagt Hartung. Einzig Verbliebene im Nachwuchsbereich sei Elina Lipp (SC Oberstdorf), die zum DSV-Nachwuchsleistungszentrum gehört und unter Ex-Rennläufer Markus Eberle (Kleinwalsertal) trainiert.
Hartung glaubt, dass die Verantwortlichen nach dem Motto „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ handeln sollten. Um wieder in die Erfolgsspur zu kommen, bedürfe es einer umfangreichen Förderung der Mädchen im Alter zwischen 14 und 16. „Aber das geht nicht über Nacht.“