Tanz bedeutet Freiheit: Momentaufnahme aus der Choreografie von Olga Pona im Kemptener Stadttheater.
Bild: Matthias Becker
Tanz bedeutet Freiheit: Momentaufnahme aus der Choreografie von Olga Pona im Kemptener Stadttheater.
Bild: Matthias Becker
Zum Abschluss des Tanzherbstes gab es im Stadttheater ein besonderes Highlight. Acht Tänzerinnen des zeitgenössischen Tanztheaters Olga Pona reisten über 4200 Kilometer aus Chelyabinsk an und präsentierten ihre Produktion „Different“ dem Kemptener Publikum. Der Weg von der Millionenstadt am Uralgebirge ins Allgäu hat sich gelohnt, zumindest für die knapp 200 Besucher im Stadttheater: Sie erlebten Tanztheater auf höchstem Niveau.
In der Choreografie „Different“ erzählt jede Tänzerin ihre ganz eigene Geschichte und was es bedeutet, im russischen Alltag Tänzerin zu sein. Doch zunächst setzt Choreografin Olga Pona die tänzerischen und fast akrobatischen Fähigkeiten der acht jungen Frauen in Szene. Unter einer minimalistischen, enervierenden Soundglocke aus Morsezeichen, Raketenstarts und Kommandodurchsagen versuchen sich die Tänzerinnen mit extrem beweglichen und schön fließenden Figuren zu behaupten.
Später hängen sie in und an Gummiseilen, die ihren Körper und Standort bestimmen. Aus der Zwangssituation entsteht ein Flüstern und Wispern, in dem sie erste Sätze über sich und ihr Verhältnis zum Tanz sprechen. Die Texte werden auf Deutsch projiziert und machen deutlich, dass Tanz für die jungen Frauen Freiheit bedeutet. Freiheit, ihren Körper kennenzulernen, von ihm zu lernen und ihn selbst zu bestimmen. Bei ihren direkten Ansprachen ans Publikum stellen sie unbequeme, aber zeitgemäße Sinnfragen. Brauche ich einen Mann? Will ich mit ihm zusammenleben? Wie wehrt man sich gegen Männer, die das „innere Leuchten“ aus Frauen herausprügeln wollen?
Tanz wird zum Mittel der Emanzipation. Stolz sagen sie: „Ich bin keine Hausfrau, Köchin, Putzfrau. Ich bin Tänzerin.“ Die aufschlussreichen Kommentare zum eigenen Metier und die bewegenden Geschichten werden über 90 Minuten lang getragen von zeitgenössischer Tanzsprache, unkonventionellen Formationen, ausgefeilter Lichtregie. Ein sinnlicher, reflektierter und hochaktueller Abend, der bejubelt wurde.
Insgesamt kamen zu den Tanzherbst-Performances gut 1300 Besucherinnen und Besucher. Der künstlerische Leiter Richard Klug vermutet Corona und die aktuellen Krisen als Ursachen für den Publikumsrückgang gegenüber früheren Festivals. Dennoch ist er zufrieden und spricht von Erfolg – vor allem wegen der Begeisterung des Publikums über das, was es in Kempten auf der Bühne sah.