Horrorszenario Blackout

Kann ein Stromausfall ganz Europa lahmlegen? Das sagt unser Betreiber Allgäu Netz dazu

Kann ein Stromausfall ganz Europa lahmlegen? Mit diesem Horrorszenario befasst sich die Fernsehserie "Blackout".

Kann ein Stromausfall ganz Europa lahmlegen? Mit diesem Horrorszenario befasst sich die Fernsehserie "Blackout".

Bild: Daniel Reinhardt, dpa (Symbolbild)

Kann ein Stromausfall ganz Europa lahmlegen? Mit diesem Horrorszenario befasst sich die Fernsehserie "Blackout".

Bild: Daniel Reinhardt, dpa (Symbolbild)

Eine Fernsehserie zeigt, wie ein Blackout ganz Europa lahmlegen könnte. Wie realistisch ist so ein kompletter Stromausfall? Allgäu Netz gibt dazu Antworten.
05.08.2022 | Stand: 13:26 Uhr

Was könnte hierzulande geschehen, wenn europaweit der Strom mehrere Tage lang komplett ausfällt? Mit diesem Horrorszenario befasst sich die neue Fernsehserie „Blackout“ mit Moritz Bleibtreu und Heiner Lauterbach. Aber ist es nur Fiktion oder durchaus realistisch? Wir sprachen darüber mit Stefan Nitschke vom Verteilnetzbetreiber Allgäu Netz.

Wie realistisch ist ein Blackout?

Stefan Nitschke: Die Serie basiert auf dem Roman von Marc Elsberg, den ich auch gelesen habe. Die Handlung ist nicht weit von der Realität entfernt, sollte so ein Blackout wirklich eintreten. So etwas kann man nie ausschließen. Allerdings haben die Netzbetreiber in ganz Europa in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht: Wir haben heute ein modernes, sehr stabiles und leistungsstarkes Stromnetz, das zu den besten der Welt gehört. Vorkehrungen und Maßnahmen werden regelmäßig überprüft und getestet. Die Betreiber sind sehr gut auf mögliche Szenarien vorbereitet und untereinander sehr eng abgestimmt.

Betreiber müssen die Netzfrequenz immer im Blick haben.
Betreiber müssen die Netzfrequenz immer im Blick haben.
Bild: Stefan Beckmann

Wann kommt es zu einem Blackout?

Nitschke: Wenn der Stromverbrauch zu stark von der Erzeugung abweicht, kommt es im Netz zu einem Ungleichgewicht (siehe Grafik oben). Sinkt die Netzfrequenz auf 47,5 Hertz, müssen die Kraftwerke abgeschaltet werden, um die Infrastruktur zu schützen. Dann kommt es zu einem Blackout – wie auch wenn die Netzfrequenz zu hoch ist. Würden wir die Stromerzeuger nicht abschalten, wären die Schäden am Netz und an der Infrastruktur so groß, dass die Wiederherstellung der Stromversorgung viel länger dauert und viel komplexer ist. (Mehr über das Thema Netzfrequenz lesen Sie hier: So bewahren Betreiber das Stromnetz in Europa vor einem Blackout)

Wie lange könnte ein Blackout dauern?

Nitschke: Bis die Stromversorgung flächendeckend wiederhergestellt ist: etwa einen bis vier Tage. In diesem Punkt gibt es jedoch leider keine Erfahrungswerte – nur Simulationen durch die Netzbetreiber. (Lesen Sie auch: Brand an Mastaufführung führt zu kurzzeitigem Stromausfall in Teilen des Ostallgäus)

Stefan Nitschke ist Sprecher des Verteilnetzbetreibers Allgäu Netz und des Allgäuer Überlandwerks (AÜW).
Stefan Nitschke ist Sprecher des Verteilnetzbetreibers Allgäu Netz und des Allgäuer Überlandwerks (AÜW).
Bild: Allgäu Netz

Wie knapp sind wir am 8. Januar 2021 an einem Blackout vorbeigeschrammt?

Nitschke: Damals war eine Sammelschiene in der Höchstspannung eines Umspannwerks in Kroatien überlastet, die deswegen abgeschaltet wurde. Daraufhin wurde das nordwestliche, europäische Verbundnetz vom südöstlichen getrennt. Und so kam das Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Erzeugung durcheinander – die Übertragungs-Netzbetreiber mussten intensiv in das Stromnetz eingreifen. Doch selbst dieses starke Ereignis führte nicht zu einem Blackout: Die Netzfrequenz sank unter 49,8 Hertz, woraufhin Kraftwerksreserven aktiviert und vertraglich geregelte Industriebetriebe in Frankreich abgeschaltet wurden. So wurden der Abfall der Frequenz gestoppt und das Netz in wenigen Minuten stabilisiert. Diesen Vorfall darf man nicht verharmlosen – er zeigt dennoch, dass die Vorkehrungen und Maßnahmen der Netzbetreiber funktionieren: Das europäische Verbundnetz wurde in fünf Minuten komplett stabilisiert. So mussten großflächig keine weiteren Verbraucher abgeschaltet werden. Eine Stunde später wurden die beiden Netzbereiche wieder gekoppelt und synchronisiert.

Wie gefährlich sind Sturm- oder Schneeschäden für das Verbundnetz?

Nitschke: Wenn Stromleitungen etwa durch Bäume beschädigt werden, kann es zu kleineren Stromausfällen kommen. Das betrifft in der Regel allerdings nur den umliegenden Versorgungsbereich der Leitung. Die Netzleitstelle stellt daraufhin die betroffenen Abschnitte spannungslos. Die Versorgung wird über andere Stromleitungen sichergestellt. Solche Ereignisse haben in dem meisten Fällen keinen größeren Einfluss auf das Gesamtnetz. (Lesen Sie dazu auch: Stromausfall im südlichen Oberallgäu - darum waren 33.000 Haushalte ohne Strom)

In der Fernsehserie „Blackout“ haben es (von links) Viola Stachwitz (Pioa Micaela Barucki), Pierre Manzano (Moritz Bleibtreu), Frauke Michelsen (Marie Leuenberger) und Jürgen Hartlandt (Heiner Lauterbach) mit einem europaweiten Stromausfall zu tun.
In der Fernsehserie „Blackout“ haben es (von links) Viola Stachwitz (Pioa Micaela Barucki), Pierre Manzano (Moritz Bleibtreu), Frauke Michelsen (Marie Leuenberger) und Jürgen Hartlandt (Heiner Lauterbach) mit einem europaweiten Stromausfall zu tun.
Bild: Gordon Timpen, Joyn, dpa

Wie gut ist das Allgäu auf einen möglichen Blackout vorbereitet?

Nitschke: Bei einer kleineren Stromstörung darf der Netzbetreiber die Schäden priorisieren und beheben. Beim europaweiten Blackout würde der Katastrophenfall ausgerufen werden. Der Leitungsverbund ist mit Krisenstab, Notfallplänen und Räumen mit Notversorgung vorbereitet. Einsätze koordiniert die zuständige Behörde – Stadt, Landratsamt, Land oder Bund. Sie sagt dem Netzbetreiber, wo etwa Notstromaggregate zum Einsatz kommen. Wir haben in der Behörde einen Vertreter, über den man uns die konkreten Aufträge übermittelt. Wir stimmen uns zudem mit der Integrierten Leitstelle sowie der Polizei regelmäßig ab – wie auch mit umliegenden und vorgelagerten Netzbetreibern wie der LEW Verteilnetz in Augsburg. Dieser hängt wiederum mit seinen Leitungen am deutschen Übertragungsnetz. In unserer Region ist das Amprion. Alle Schritte, von der Freuqenzsicherung bis zum Netz-Wiederaufbau, werden von Fachleuten abgestimmt und regelmäßig überprüft. (Lesen Sie auch: Stromversorgung: Der Blackout als Horrorszenario)

Früher mussten Betreiber etwa fünf- bis zehnmal im Jahr in die Stabilität der Übertragungsnetze eingreifen – inzwischen ist die Zahl auf bis zu 1500 Eingriffe gestiegen. Warum ist das so?

Nitschke: Mit der Energiewende wird die Aufgabe, das Gleichgewicht im Netz zu halten, immer komplizierter. Früher waren einige große Kraftwerke für die Stromversorgung in Deutschland zuständig. Heute sind es zigtausende dezentrale Erzeugungsanlagen, darunter Windkraft-, Fotovoltaik- und Biokraftanlagen sowie Wasserkraftwerke. Davon hat allein Allgäu Netz mittlerweile knapp 10 000 an unser Stromnetz angeschlossen. Das System ist also viel sensibler geworden. Die sogenannte Volatilität, die durch die hohe Zahl an dezentralen Erzeugungsanlagen sowie Wind und Sonne hervorgerufen wird, steigt im Netz. Und damit die Notwendigkeit, ins Netz einzugreifen und es zu steuern.

Bei einem europaweiten Blackout wäre der Strom mehrere Tage lang weg – mindestens.
Bei einem europaweiten Blackout wäre der Strom mehrere Tage lang weg – mindestens.
Bild: Benedikt Siegert (Symbolbild)

Durch die Digitalisierung und E-Mobilität wird der Strombedarf weiter steigen. Andererseits brechen mit dem Ausstieg aus der Kernkraft und Kohle weitere Großversorger-Kraftwerke weg. Das heißt, die Volatilität im Stromnetz nimmt weiter zu?

Nitschke: Ja, das Gesamtsystem wird immer komplexer. Dieser Herausforderung werden wir in Europa aber standhalten. Ein großer Vorteil dabei ist unser europäisches Verbundnetz: Dieses große, zusammenhängende Netz ist besser in der Lage, eventuelle Schwankungen auszugleichen – bei immer mehr volatileren erneuerbaren Erzeugungsanlagen. Wichtig ist, dass die Abschaltung der konventionellen und der Ausbau der erneuerbaren Energien abgestimmt und im Gleichklang erfolgt. Mit modernen Gaskraftwerken werden wir die Grundlast zusätzlich sichern. Zudem brauchen wir mehr Intelligenz im Netz, die Verbrauch und Erzeugung besser aufeinander abstimmt. Tolle Beispiele und konkrete Lösungen dazu bieten zum Beispiel unsere Projekte in Wildpoldsried, in denen wir etwa mit dem Allgäuer Überlandwerk, der Hochschule Kempten und Siemens das Stromnetz der Zukunft simuliert und umgesetzt haben.

Ist die Frequenz im Stromnetz zu lange zu hoch, können Schäden in Umspannwerken entstehen.
Ist die Frequenz im Stromnetz zu lange zu hoch, können Schäden in Umspannwerken entstehen.
Bild: Matthias Becker

Was Hausbesitzer oft nicht wissen: Bei einem Blackout funktioniert die eigene Fotovoltaikanlage auf dem Dach auch nicht mehr …

Nitschke: Das stimmt. Bei einem Stromausfall im Netz schaltet sich der Wechselrichter ab: Er wandelt Gleichstrom aus den Solarmodulen in Wechselstrom für den Verbrauch im Haus um. Er ist je nach Einspeisemanagement mit dem öffentlichen Stromnetz oder dem internen Netz des Haushalts gekoppelt. Es gibt aber Anlagen, die Strom in einer Notversorgung innerhalb des Hauses weiterhin erzeugen können. Das muss aber vorab mit dem Installationsbetrieb umgesetzt werden.

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