Notstand in der Altenpflege

"Wir sind immer auf der Suche" - Heime und Pfegedienste in Marktoberdorf leiden unter massivem Personalmangel

Symbolfoto - Pflegedebatte - Gesundheits - und Krankenpflegerin Tugba Kececioglu und Stefan Gamp von Station 4

Pflegedienste und Heime in Marktoberdorf leiden unter massivem Personalmangel.

Bild: Symbolfoto: Alexander Kaya

Pflegedienste und Heime in Marktoberdorf leiden unter massivem Personalmangel.

Bild: Symbolfoto: Alexander Kaya

Pflegekräfte in Marktoberdorf kommen an ihre Grenzen. Die Situation ist nicht neu, doch mit Corona wurde sie zum Problem. So könnte sich die Lage bessern.
15.07.2021 | Stand: 20:20 Uhr

Seniorenheime und Pflegedienste in Marktoberdorf leiden unter massivem Personalmangel. Sowohl im Clemens-Kessler-Haus als auch beim ambulanten Pflegedienst der Kirchlichen Sozialstation in Marktoberdorf gibt zu wenig Fachpersonal und zu wenig Pflegehilfskräfte. Und das nicht erst seit der Corona-Krise. Bereits seit Jahren gibt es bei steigender Zahl an Senioren immer weniger Pfleger. Doch in der Pandemie wurde der Mangel plötzlich zum Problem.

Heim in Marktoberdorf immer auf Suche nach Mitarbeitern

Alleine in Bayern fehlen im Jahr laut der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi 12 000 Pflegekräfte. Und das macht sich auch in den Marktoberdorfer Einrichtungen bemerkbar: „Wir sind immer auf der Suche“, sagt Andreas Hüller, Leiter des Clemens-Kessler-Hauses in Marktoberdorf. Aber ohne Erfolg. Auch bei ambulanten Pflegediensten fehle es an allen Ecken und Enden am Personal, sagt Michael Diepolder, Geschäftsführer der Kirchlichen Sozialstation in Marktoberdorf. „Wir können im Moment gar nicht so viel leisten, wie Nachfrage wäre.“ Der Bedarf nach ambulanter Pflege steige durch die immer älter werdende Gesellschaft (demografischer Wandel) langsam und stetig an. „Währenddessen haben wir aber immer weniger Personal.“

Corona hat die Lage nicht verschärft, nur verdeutlicht

Die Corona-Pandemie habe den Mangel in den Marktoberdorfer Einrichtungen laut Hüller und Diepolder nicht verschärft, sondern sehr deutlich gemacht. „Der Pflegenotstand ist keine Erscheinung durch Corona“, sagt Hüller. Nur jetzt sei den Menschen bewusst geworden, dass ohne Ärzte und Pflegekräfte „gar nichts mehr geht“. In der Kirchlichen Sozialstation sei der Personalmangel vor allem dann zum großen Problem geworden, wenn Mitarbeiter in Quarantäne mussten. „Das mussten dann die Kollegen kompensieren“, sagt Diepolder. Denn die Kunden mussten trotzdem weiterhin versorgt werden. „Unsere Mitarbeiter sind wirklich an ihre Grenzen gekommen.“ Einige haben deshalb gekündigt. Ein Teufelskreis.

Im Clemens-Kessler-Haus seien aufgrund des Personalmangels einige Betten nicht belegt. „Es ist nicht so, dass die vorhandenen Pfleger bis zum Umfallen arbeiten müssen“, sagt Hüller. Es gebe einen sogenannten Stellenschlüssel, von dem die Belegung der Betten abhänge. Auf eine gewisse Quote Fachkräfte dürfe es nur eine gewisse Anzahl Senioren geben. „Wenn es also weniger Personal gibt, können wir weniger Menschen aufnehmen.“ (Lesen Sie auch: Bayern: Pflege im Heim wird erneut teurer)

Warum wollen immer weniger Menschen in der Pflege arbeiten?

Dass immer weniger Menschen in der Pflege arbeiten wollen, habe viele Ursachen, sagt Diepolder. Das Hauptproblem seien seiner Meinung nach die Arbeitszeiten in Pflegeberufen: Ambulante Pflegedienste und Seniorenheime müssen an 365 Tagen rund um die Uhr besetzt sein. Das beinhalte für alle Mitarbeiter Wochenend-, Feiertags- und Nachtdienste. „Der Freizeitwert in unserer Gesellschaft ist jedoch gestiegen“, sagt Diepolder. Die Menschen wollten daher lieber einen Beruf, bei dem sie bereits am Freitagmittag Feierabend machen können und erst am Montag wieder in die Arbeit müssen. (Lesen Sie auch: Personalprobleme in Allgäuer Altenheimen: Das Schreckgespenst „Pflexit“)

Die schlechte Bezahlung ist ein Faktor

Natürlich sei auch die schlechte Bezahlung für viele ein Grund, sich gegen den Beruf zu entscheiden, sagt Hüller. Wer seinen Verdienst und seine Arbeitszeiten mit denen in der Industrie vergleiche, werde natürlich unzufrieden, sagt Geschäftsführer Diepolder. „Man fragt sich dann auch, was eigentlich mehr wert ist: Der Dienst am Menschen oder an der Maschine?“ Ganz wichtig wäre, die Zuschläge für Wochenend- und Feiertagsdienste zu erhöhen. „So könnten wir mehr Mitarbeiter dafür begeistern auch am Wochenende zu arbeiten.“

Ein weiterer Grund sei, dass der Beruf des Altenpflegers in der Öffentlichkeit oft negativ dargestellt werde, sagt Heimleiter Hüller. Wenn es um die Altenpflege geht, sprechen die meisten Menschen laut Hüller über die geringe Bezahlung, Arbeitszeiten am Wochenende und die teilweise sehr anstrengende Arbeit. „Aber eigentlich geht es doch darum, Menschen zu helfen und das ist etwas ganz Tolles“, sagt Hüller. „Ich bin jedenfalls stolz, Pfleger zu sein.“ (Lesen Sie auch: Kabinett beschließt Pflegereform mit Pflicht zur Tarif-Bezahlung)

Wie könnte die Lösung aussehen?

Hüller bezweifelt, dass allein ein höherer Verdienst das Personalproblem in der Pflege löse. „Menschen, die Altenpfleger sind, machen ihre Arbeit gerne.“ Man komme den Senioren sehr nahe, wasche sie, helfe ihnen. „Das muss man können.“ Statt nur auf die bessere Bezahlung zu setzen – die laut Hüller trotzdem nötig ist – müsse der Beruf einen höheren Stellenwert bekommen und attraktiver werden. „Pfleger brauchten eine Lobby, die den Beruf in der Öffentlichkeit präsentiert“, sagt Hüller. Zudem müsste mehr Werbung in Schulen stattfinden. Nur so würden Menschen auf die schönen Seiten dieser Tätigkeit aufmerksam – und Pflegeeinrichtungen finden die Leute, die für diesen Beruf gemacht sind. (Lesen Sie auch: Bald Mindestlohn für ausländische Pflegekräfte in Deutschland?)

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