Interview mit Regisseur

"Orlando" von Virginia Woolf kommt in Memmingen auf die Bühne

Nur hinein: Regisseur Martin Clausen erklärt im Interview, warum "Orlando" von Virginia Woolf auch Theatermuffel überzeugt.

Nur hinein: Regisseur Martin Clausen erklärt im Interview, warum "Orlando" von Virginia Woolf auch Theatermuffel überzeugt.

Bild: Hannah Greiner

Nur hinein: Regisseur Martin Clausen erklärt im Interview, warum "Orlando" von Virginia Woolf auch Theatermuffel überzeugt.

Bild: Hannah Greiner

Im Landestheater Schwaben feiert „Orlando“ von Virginia Woolf Premiere. Mit Humor wagt sich Regisseur Martin Clausen an die Themen Identität und Geschlecht.
19.05.2023 | Stand: 05:45 Uhr

„Eine absurde Biografie, die nie aufhört“ bekommen Besucherinnen und Besucher am Freitag, 19. Mai, im Landestheater Schwaben in Memmingen präsentiert. So beschreibt Regisseur Martin Clausen seine Inszenierung des Romans „Orlando“ von Virginia Woolf. In dem Buch erlebt die unsterbliche Figur Orlando mehrere Jahrhunderte – als Mann und als Frau. Ein Gespräch über Identität und Humor.

Die Figur Orlando wechselt in der Mitte des Buches das Geschlecht, ihre Identität bleibt aber gleich. Was sagt das Ihrer Meinung nach aus?

Martin Clausen: Ich denke, das ist Woolfs Antwort auf die Frage, wie sich ein Leben entfalten kann, wenn es nicht durch Rollenzuschreibungen eingeengt wird. Woolfs Vorstellung ist, dass es in uns etwas gibt, was von den gesellschaftlichen Ideen für Mann und Frau unberührt ist. Für mich ist es ein Aufruf, sich von solchen Beschränkung freizumachen.

Wie setzen Sie das im Theaterstück um?

Clausen: Die Orlando-Figur wird von vier Personen unterschiedlichen Geschlechtes im fliegenden Wechsel gespielt. Sie alle können die zwei Kostüme, eine Uniform und ein Kleid, wild miteinander mischen. Das war für mich ein passender Kunstgriff, um das Konzept Geschlecht zu verwischen. Außerdem nutzen wir parallel ein Schattenspiel. Orlando wird also auf der Bühne dargestellt – und gleichzeitig im Hintergrund von einem weiteren Ensemblemitglied, das die Figur auf eine ganz andere Art spielen kann.

Das Landestheater Schwaben befindet sich in der Altstadt von Memmingen.
Das Landestheater Schwaben befindet sich in der Altstadt von Memmingen.
Bild: Matthias Becker (Archiv)

Woolf übt in ihrem Roman Kritik an der Rollenzuweisung für Frauen. Ist „Orlando“ also auch automatisch ein feministisches Theaterstück?

Clausen: „Orlando“ ist ein feministisches Buch. Deswegen müsste man sich sehr viel Mühe geben, das auf der Bühne zu vertuschen. (lacht) Beim Schreiben des Skripts habe ich darauf geachtet, dass der feministische Gedanke klar wird. Im Theaterstück kommt zum Beispiel das Thema Recht auf Eigentum für Frauen vor.

Welche Aspekte des Buches waren Ihnen noch wichtig?

Clausen: In der Vorbereitung war ich wie ein Trüffelschwein, das den Roman abgesucht hat. Dabei habe ich vor allem an den humorvollen Stellen geschnuppert. Denn für mich ist Humor eine Identität – und aus einer Identität erwächst Humor.

Erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer also ein lustiges Stück?

Clausen: Es ist ein rührendes Stück, manchmal kommen mir die Tränen. Der satirische Geist steht aber im Vordergrund. Es hat sehr viel Spaß gemacht, diesen in die Inszenierung zu überführen.

Ist die Figur Orlando ein Vorbild?

Clausen: Irgendwie schon. Die Figur lebt das Leben in vollen Zügen – egal unter welchen Umständen und zu welcher Zeit.

Das Landestheater Schwaben dekoriert für „Orlando“ mit Regenbogenflaggen – ein Symbol für die queere Community.
Das Landestheater Schwaben dekoriert für „Orlando“ mit Regenbogenflaggen – ein Symbol für die queere Community.
Bild: Hannah Greiner

Viele sagen, in „Orlando“ geht es um das Thema queere Identität, also um eine Figur, die nicht in das heteronormative Spektrum fällt. Sehen Sie das auch so?

Clausen: Auf alle Fälle. Es sind Aspekte enthalten, die für die Situation queerer Menschen sensibilisieren. Wie jedes gute Buch löst auch dieses in jedem Menschen etwas anderes aus. Je nach Interpretation verändert sich die Aussage der Geschichte – und das ist ja auch gut so. Das ist Kultur. Im Fall von „Orlando“ geht es um beides: Identität und das Konzept Leben. Für mich ist Letzteres das Hauptmotiv von „Orlando“.

Wen spricht „Orlando“ als Theaterstück besonders an? Queere Menschen, Grenzgänger, Schubladenhasser?

Clausen: Es ist beim Theaterstück sicher für jeden und jede etwas dabei – auch dank der verschiedenen Kunstformen. Mit Ausnahme von Live-Musik haben wir eigentlich alle Ebenen des Theaters. Deshalb ist „Orlando“ auch für Menschen geeignet, die noch nie oder lange nicht mehr in einem Theatersaal saßen.

Das ist "Orlando"-Regisseur Martin Clausen

Martin Clausen, geboren 1973 in Oberhessen, ist ein deutscher Regisseur, Schauspieler und Musiker. Clausen hat von 1995 bis 1998 an der Humboldt Universität Berlin Theaterwissenschaften studiert und wohnt heute noch in der Hauptstadt. Aktuelle Theaterstücke von Clausen sind zum Beispiel „Bettina bummelt“ (2022), „Alter Hase“ (2022) und „Lost In Loops“ (2023).

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