Viehscheid, Festwoche und Berge - ist es das, was junge Allgäuerinnen und Allgäuer unter Heimat verstehen? Wir haben nachgehakt.
Bild: Ralf Lienert (Symbolbild)
Viehscheid, Festwoche und Berge - ist es das, was junge Allgäuerinnen und Allgäuer unter Heimat verstehen? Wir haben nachgehakt.
Bild: Ralf Lienert (Symbolbild)
„Heimatverbundenheit“, das macht die jungen Menschen im Allgäu aus. Das ist das klare Ergebnis der Studie „So ticken junge Menschen im Allgäu“. Aber nehmen die Themen Heimat und Tradition hier einen anderen Stellenwert ein als in anderen Gebieten Deutschlands?
Das wollte unsere Redaktion herausfinden: An der Studie "So ticken junge Menschen im Allgäu" in Zusammenarbeit mit dem Jugendforscher Simon Schnetzer konnte Allgäuerinnen und Allgäuer im Alter von 14 bis 39 Jahren teilnehmen, Antworten ankreuzen und auch selbst welche formulieren. (Mehr Informationen zum Hintergrund der Studie gibt es hier.)
Ein Blick in die Studie zeigt: Bei fast der Hälfte bestimmt das Thema Heimatverbundenheit das Leben. Nur das Thema "Zusammenhalt in der Familie" ist den jungen Allgäuerinnen und Allgäuern noch wichtiger.
Doch was ist Heimat? Während einige ganz klar definieren "Meine Heimat, das Allgäu" , bezeichnet eine andere Person das Wort als "inhaltsleeren Begriff". Einer schreibt, die Menschen im Allgäu seien "traditionell bodenständig", eine andere: "Viele in meinem Freundeskreis schätzen Traditionen."
Doch es gibt auch die Forderung, dass Kinder wieder mehr über Brauchtum und Traditionen aus dem Allgäu lernen sollten. Eine Person bedauert, dass mit der fortschreitenden Digitalisierung immer mehr individuelle Traditionen verloren gehen und "alle gleich sind". "Ich muss sagen, dass ich, obwohl ich aus dem Allgäu komme, mich nicht wirklich für die Tradition interessiere...", bestätigt jemand diese Ansicht. "Hoffe, dass mit der neuen Generation - jetzt um die 15 und jünger - eine mutigere, frei denkendere, weniger traditionelle Generation heranwächst, die ihren weiteren Horizont, den sie aufgrund des Internets hat, positiv zu nutzen weiß."
"Nach dem Studium kommen viele zurück, um eine Familie zu gründen", schreibt eine Person. Woran das liegen könnte, zeigt die Vielzahl der Antworten, in denen steht, wie gut der Zusammenhalt in den Heimatorten ist - sei es über den Verein, in der Nachbarschaft oder die Freunde. Einige wünschen sich auch einen heimatverbundenen Partner.
Die Aussage bezüglich des Studiums kann Charlotte Maurus bestätigen. Die 29-Jährige ist selbst für das Studium weggezogen, lebt nun aber wieder in Memmingen, wo sie aufgewachsen ist. "Ich merke das auch im Freundeskreis: Immer mehr kommen zurück", erzählt sie. Maurus hat in Regensburg studiert und dann dort eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin gemacht. "Ich wollte etwas weiter weg studieren als in Ulm oder Augsburg und Regensburg hat wegen des Studiums gut gepasst." Nach acht Jahren Studium und Arbeiten in Regensburg lebt Maurus nun wieder in Memmingen, ihrer Heimatstadt: "Ich wusste immer, dass ich ein paar Jahre in Regensburg arbeiten will, dass ich dort aber nicht alt werden möchte." Also zog die 29-Jährige zurück.
Dabei musste es nicht unbedingt Memmingen sein: "Aber ich wollte schon gerne wieder in Bayerisch-Schwaben leben", sagt sie. Maurus schätzt vor allem die Nähe zu den Bergen und zu Österreich. Auch die Tatsache, dass ihre Familie hier lebt und viele Freundschaften aus der Jugend nach wie vor bestehen, war ausschlaggebend für ihre Entscheidung: "Irgendwie war es auch in Regensburg so: Die Memminger waren immer beieinander."
Das ist schön - trifft aber auch ein wenig auf die Vorurteile zu, die andere laut Maurus den Allgäuerinnen und Allgäuern gegenüber haben: "Ich kriege schon mit, dass andere denken, dass hier jeder jeden kennt." Auch die Annahme, dass Menschen aus dem Allgäu sehr sparsam und ein wenig "Hinterwäldler" sind, halte sich recht hartnäckig. (Noch mehr Klischees über das Allgäu - und ob diese stimmen - finden Sie hier.)
Auffällig war für Maurus auch, dass es die Allgäuerinnen und Allgäuer stärker in die Heimat zurückzieht als Menschen aus anderen Regionen: "Da habe ich dieses Phänomen nicht so bemerkt", erzählt sie. Die 29-Jährige lebt gerne in Memmingen, Wohn- und Arbeitsbedingungen sind gut - in ein Allgäuer Dorf würde sie aber nicht ziehen wollen: "Ein bisschen Stadt, Bars, Cafés und Einkaufsmöglichkeiten brauche ich schon." In der Stadt könne sie außerdem alle wichtigen Besorgungen mit dem Fahrrad erledigen. (Wie die jungen Menschen aus dem Allgäu ihre Wohn- und Arbeitsbedingungen generell einschätzen, lesen Sie hier.)
Ideale Arbeits- und Lebensbedingungen im Allgäu, Traditionen, das soll auch so bleiben wenn es nach einigen Teilnehmenden der Studie geht. Eine Person fordert: "Wir müssen uns mehr um unsere regionale Heimat kümmern als in der ganzen Welt." Ein anderer hingegen will "konservativere Werte".
Diese werden auch im Trachtenverein "Edelweiß Sonthofen" hochgehalten. Eine, die von Kindesbeinen an dabei ist, ist Annkathrin Arnold. Die 26-Jährige "plattelt" seit sie fünf Jahre alt ist, angefangen hat sie damals, "weil alle Freunde und Cousins auch angefangen haben". Mittlerweile leitet sie mit ihrem Kollegen Pius Schuhwerk die Jugendgruppe. Kontakt, Zusammengehörigkeitsgefühl, das ist es, was den Trachtenverein für Arnold ausmacht. Tradition und Moderne stehen für sie dabei nicht im Widerspruch: "Wir würden nie an der Tracht etwas ändern, aber wir haben auch Whatsapp-Gruppen oder filmen die Kinder bei den Proben."
Auch wenn manche einen Trachtenverein als veraltet ansehen mögen, so gibt es doch nach wie vor regen Zulauf: "Wir haben pro Gruppe immer 20 bis 25 Kinder, das schwankt natürlich ein wenig", erzählt die 26-Jährige. Sie sagt aber auch, dass es vor allem "Dörflersache" ist: "Direkt aus Sonthofen kommen leider nur ganz wenige Kinder, die meisten wohnen in Berghofen, Winkel und Binswangen."
Arnold ist stolz auf ihre Aktivität im Trachtenverein, gibt aber auch zu, dass es bei vielen Kindern im Alter von etwa zwölf Jahren eine kritische Phase gibt, in der sie ein wenig mit dem "Platteln" hadern: "Aber das ist in dem Alter normal, dass man eben unbedingt cool sein will." Wer diese Phase überwindet und mit 16 Jahren auch zu den "Aktiven" wechselt, bleibt laut Arnold oft lange Zeit im Verein.
Traditionen und Feste prägen das Allgäu - auch Memmingen, Charlotte Maurus' Heimatstadt: "Mir war es immer wichtig, beim Fischertag oder Kinderfest dabei zu sein", erzählt die 29-Jährige. Dafür habe sie sich auch immer frühzeitig frei genommen. Die Feste und Auftritte sind auch das, was Annkathrin Arnolds Jahr bestimmt. Die Saison beginnt am 1. Mai und geht meist bis Ende September - aber nicht in diesem Jahr. Corona hat den Trachtenverein hart getroffen: "Wenn man es gewohnt ist, einmal in der Woche Kontakt mit den Menschen im Verein zu haben, dann fehlt einem das jetzt schon sehr", sagt Arnold. Sie erzählt, dass auch die Kinder aus ihrer Gruppe darunter leiden. Und sie hat eine Befürchtung: "Dass die Kinder nach der Krise nicht mehr kommen wollen." (So haben die jungen Menschen die Coronakrise im Allgäu empfunden.)
Arnold will weiterhin Kinder für Tradition und Heimat begeistern, neue Mitglieder sind im Verein gern gesehen. Dass Heimat und Tradition an Aktualität verlieren, glaubt sie nicht - im Gegenteil: "Ich habe das Gefühl, dass sich das Bewusstsein ein bisschen gewandelt hat: Als meine Mama jung war, war Tracht eher nicht so cool - heute zieht man gerne wieder das Dirndl an und ist stolz drauf!"
An der Studie „So ticken junge Menschen im Allgäu“, angelehnt an die Studie „Junge Deutsche 2021“ haben insgesamt 547 Personen teilgenommen. Die Studie gilt daher nicht als repräsentativ. Die Kerngruppe der Studie sind Menschen zwischen 14 und 39 Jahren, also die Generationen Y und Z.