Ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl steht die Ampelkoalition vor einem finanziellen Drahtseilakt. Wegen der anhaltend schlechten Wirtschaftslage haben Bund, Länder und Gemeinden in den kommenden Jahren deutlich weniger Steuergeld zur Verfügung als noch im Frühjahr prognostiziert. Wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach der amtlichen Steuerschätzung betonte, liegen die Steuereinnahmen in diesem Jahr um neun und im kommenden Jahr um knapp 13 Milliarden Euro unter den Erwartungen.
Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, warnte die Koalition gegenüber unserer Redaktion davor, einfach so weiterzumachen wie bisher. „Es braucht eine 180-Grad-Wende hin zu einer soliden Haushaltsführung, oder die Notbremse Neuwahlen, um das Ampel-Chaos zu beenden“, sagte er. Auf weniger Steuereinnahmen reagierten Teile der Ampel mit dem Ruf nach noch mehr Schulden, neuen Luftbuchungen und weiteren ungedeckten Schecks. „Dieses verantwortungslose Ampeltreiben muss ein Ende haben. Es braucht endlich die notwendige Prioritätensetzung in der Haushaltspolitik und die Beendigung des vollkommen verkorksten Bürgergelds.“
Steuerschätzung: Dobrindt fordert eine 180-Grad-Wende
In der Koalition, die noch um den Bundeshaushalt für 2025 ringt, dürfte das Ergebnis der Steuerschätzung für neue Konflikte sorgen. „Nicht jede staatliche Leistung wird noch möglich sein“, erklärte der FDP-Chef bei der Vorstellung der Zahlen in Washington. „Im Gegenteil: Wir werden zusätzlich konsolidieren müssen.“ Als mögliche Sparmaßnahmen nannte der FDP-Chef Einschnitte bei ineffizienten Subventionen und bei Sozialleistungen wie dem Bürgergeld. Grüne und Sozialdemokraten lehnen das ab.
Neue Ausgabenwünsche könnten nun nicht mehr erfüllt werden, betonte Lindner, ohne auf den von Wirtschaftsminister Robert Habeck geforderten Investitionsfonds mit mehreren Milliarden Euro zur Ankurbelung der Wirtschaft näher einzugehen. Die noch zu schließende Lücke im Bundeshaushalt für das kommende Jahr bezifferte er auf einen „einstelligen Milliardenbetrag, der aber näher bei zehn als bei eins ist.“ Auch die sieben Milliarden Euro, die an Zuschüssen für den geplanten, inzwischen aber verschobenen Bau einer Chipfabrik des US-Konzerns Intel in Magdeburg schon zugesagt waren, sollen jetzt zum Stopfen der Haushaltslöcher verwendet werden. An der geplanten Entschärfung der Steuerprogression im kommenden Jahr will Lindner allerdings festhalten. Das sei auch mit Blick auf die Kaufkraft der Menschen wichtig, sagte er.
Clemens Fuest zur Steuerschätzung: Nicht im großen Stil Ausgaben kürzen
Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, warnte gegenüber unserer Redaktion davor, jetzt im großen Stil Ausgaben im Bundeshaushalt zu kürzen. Das sei konjunkturpolitisch nicht sinnvoll und auch nicht erforderlich. „Allerdings sollte man im Haushalt nach Möglichkeit suchen, zugunsten von Ausgaben umzuschichten, die das Wachstum fördern, vor allem zugunsten von Investitionen.“
Insgesamt nehmen Bund, Länder und Gemeinden nach den Berechnungen der Steuerschätzer in diesem Jahr rund 940 Milliarden und im kommenden etwas mehr als 980 Milliarden ein. Bereits im Frühjahr hatten sie ihre Prognose deutlich nach unten korrigiert – um knapp 22 Milliarden Euro, von denen etwa die Hälfte auf den Bund entfiel. Dem Arbeitskreis Steuerschätzung gehören Experten von Bund und Ländern sowie weitere Fachleute an, unter anderem von der Bundesbank und den Wirtschaftsforschungsinstituten. Ihre Prognosen sind ein wichtiger Baustein für die Aufstellung des Bundeshaushalts, der bis Mitte November stehen soll.
Bis 2028 erwarten die Schätzer 58,1 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen als noch im Frühjahr. Wie schon bei der letzten Schätzung im Mai macht sich die schwierige wirtschaftliche Lage auch jetzt in den Berechnungen bemerkbar. Gerade erst hat die Bundesregierung ihre Konjunkturprognose nach unten revidiert. Sie geht nun davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im laufenden Jahr um 0,2 Prozent schrumpft – nach einem Minus von 0,3 Prozent im vergangenen Jahr. Zwei Rezessionsjahre in Folge gab es für die deutsche Wirtschaft zuletzt 2002 und 2003.
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