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Lehrer über neue Orthografie-Regelung: „Finde es richtig, Rechtschreibung zu bewerten“

Schule

„Finde es richtig, Rechtschreibung zu bewerten“: Das sagen Lehrkräfte zur neuen Regel

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    Die Zahl der Kinder, die sich schwertun mit der Rechtschreibung, nimmt zu.
    Die Zahl der Kinder, die sich schwertun mit der Rechtschreibung, nimmt zu. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Seit diesem Schuljahr muss an Bayerns Schulen die Rechtschreibung in allen Fächern berücksichtigt werden. Das ist die Konsequenz aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Bisher war es der Entscheidung der Lehrerinnen und Lehrer überlassen, ob orthografische Fehler außerhalb des Deutschunterrichts bewertet werden, etwa in Nebenfächern wie Religion, Geschichte oder Biologie. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hatte auf die Änderung mit Kritik reagiert, er befürchtete eine Verunsicherung der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Eltern und Lehrkräfte. Wir haben bei Lehrern nachgefragt, was sie von der Neuregelung halten.

    Iris Samajdar, Schulleiterin einer Grundschule in Augsburg:

    Ich blicke auf mehr als 30 Jahre Unterricht zurück und ja, die Rechtschreibfähigkeit wirkt auf den ersten Blick verändert und reduziert. Heute haben viele Kinder einen deutlich größeren Wortschatz als früher. Diese vielen Wörter, auch Fremdwörter, richtig zu schreiben, bedarf einer deutlich längeren Lernphase. Richtig schreiben zu lernen, ist grundsätzlich mit Fehlern verbunden, die aber ungemein wichtig sind, um die Schreibweisen sukzessiv zu verstehen und anwenden zu können. Zum anderen bringen die Schülerinnen und Schüler heute quantitativ mehr „aufs Papier“, die Ausdrucksmöglichkeiten sind deutlich komplexer und vielfältiger. Schreiben ist bereits in der ersten Jahrgangsstufe nicht nur Abschreiben, sondern eine Möglichkeit, Informationen, Gedanken und Ideen mitzuteilen.

    Iris Samajdar ist seit 30 Jahren Grundschullehrerin.
    Iris Samajdar ist seit 30 Jahren Grundschullehrerin. Foto: Samajdar

    Ich korrigiere zweifarbig. Inhaltliche Fehler farbig und Rechtschreibfehler schwarz. Texte, die man nicht wirklich lesen kann, schreibe ich gegebenenfalls ab, bevor ich die Inhalte korrigiere, um die inhaltliche Qualität vor lauter Rechtschreibfehlern nicht zu übersehen. Dass die Sprachrichtigkeit zu kennzeichnen ist, halte ich - auch wenn die Korrektur Lehrkräfte viel Zeit kostet - für sinnvoll und auch, dass im fachlich-pädagogischen Bewertungsspielraum liegt, wie und in welcher Form Verstöße gewichtet werden. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen eine gemeinsame Haltung in Bezug auf den Bewertungsspielraum entwickeln. Die Selbstverständlichkeit zu schreiben und Schreibbegeisterung dürfen, aus lauter Angst fehlerhaft zu schreiben, keinesfalls verloren gehen! 

    Anna F. (Name geändert), Gymnasiallehrerin aus dem Landkreis Aichach-Friedberg:

    In meinen Fächern neben Deutsch, also Geschichte sowie Politik und Gesellschaft, habe ich Rechtschreibfehler immer schon angestrichen. Ich habe sie auch früher schon bewertet, wenn sie sinnentstellend waren, also wenn durch einen Rechtschreibfehler der Inhalt nicht mehr klar war. Und ich habe Rechtschreibfehler auch dann bewertet, wenn es sich um einen Fachbegriff gehandelt hat, der explizit zu lernen war. Im Grunde muss ich an meiner Praxis also nur wenig ändern. Dass das Thema Rechtschreibung durch die Neuregelung jetzt noch mehr in den Fokus rückt, finde ich richtig.

    Denn ich glaube, dass die Rechtschreibung ein Ausdruck sprachlicher Kompetenz ist, etwas, das man nicht auswendig lernen kann, es geht also um echtes Verständnis für Sprache. Und das Verständnis von Sprache ermöglicht Schülerinnen und Schülern den Zugang zu Wissen in allen Fächern. Dass sich der Druck jetzt massiv erhöht, glaube ich nicht. Ich glaube, dass alle Lehrkräfte die Regeln in ihrem pädagogischen Ermessen so auslegen werden, dass kein Schüler daraus einen Nachteil haben wird. Wir werden das angemessen bewerten, das heißt, es geht darum, dass der Schüler eine sprachliche Kompetenz aufweisen muss, um einen Inhalt richtig zu Papier zu bringen. Wenn es so viele Fehler gibt, dass der Inhalt nicht mehr nachvollziehbar ist, dann ist es angemessen, das in die Bewertung einfließen zu lassen. Das heißt aber auch, dass etwa ein das-dass-Fehler außer im Fach Deutsch nicht für die Note relevant wäre.

    Theodor Doerfler, Rektor einer Grundschule im Landkreis Landsberg am Lech:

    Die Rechtschreibung spielt in fast allen Fächern eine wichtige Rolle. Ich mache die Kinder immer wieder darauf aufmerksam. Die Benotung der Rechtschreibung in Deutsch und der Richtigschreibung der Fachbegriffe im Heimat- und Sachunterricht ist nicht wirklich neu. Soll nun auch in Mathematik oder Sport die Rechtschreibung benotet werden? Ehrlich gesagt erwarte ich, dass wir alle unseren hoffentlich „gesunden Menschenverstand“ einsetzen und uns genau überlegen, wann für was eine Benotung der Rechtschreibung sinnvoll ist. Durch eine Note im Rechtschreiben kann man in Folge nicht unbedingt besser ohne Fehler schreiben.

    Theodor Doerfler ist Schulleiter und unterrichtet Deutsch und Mathematik.
    Theodor Doerfler ist Schulleiter und unterrichtet Deutsch und Mathematik. Foto: Ulrich Wagner

    Ich unterrichte Deutsch und Mathematik in der dritten und vierten Klasse. Ich wäre sehr vorsichtig, pauschal ein Urteil über die Rechtschreib-Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern zu fällen. Es ist zunächst ein großer Unterschied, ob ein Kind Deutsch als Erst- oder Zweitsprache erworben hat. Ein Kind, welches Deutsch als Zweit- oder sogar Drittsprache erwirbt, sollte man nicht mit den Erstsprachlern vergleichen. Die Bildungspolitiker sollten ehrlich sein und die Ressourcen und Mittel für diese Schülergruppe erheblich aufstocken.

    Die Fähigkeiten, die Kinder zum Rechtschreibenlernen benötigen, werden in den Elternhäusern gelegt. Ich kann beobachten, dass diese in den vergangenen Jahrzehnten stetig nachgelassen haben. Eltern, welche ihren Kindern regelmäßig vorlesen, Reime sprechen, Lieder singen oder im Alltag aus Spaß mit Sprache spielen, fördern die phonologische Bewusstheit erheblich. Auch alle Aktivitäten, die die Feinmotorik fördern - etwa Schneiden, Falten, Malen - helfen später beim Schreiben. Ist der Stellenwert von Sprache im Allgemeinen sowie Schreiben im Besonderen in der Familie eher gering, wird höchstwahrscheinlich auch das Rechtschreiben immer eine Herausforderung für das Kind bleiben.  

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