Sie war voll Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland - stattdessen fand sich eine kurdische Familie in einem Alptraum wieder. Gerade hatte sie die letzte Etappe ihrer Flucht aus der Türkei hinter sich gebracht, heimlich im Anhänger eines Lastwagens auf einem Güterzug. Doch beim Herausklettern aus dem Versteck in München knapp unterhalb der Oberleitung erleidet die 15-jährige Tochter einen Stromschlag und stirbt zwei Wochen später.
Auch der 12-jährige Sohn und ein 19-jähriger Mitfahrer werden verletzt. Nun hat das Landgericht einen 46-Jährigen zu zehn Jahren Haft verurteilt - unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Menschen.
Nach Überzeugung des Gerichts war der Angeklagte als hochrangiges Mitglied einer Schleuserbande dafür zuständig, die letzte Fluchtetappe von Italien nach Deutschland zu organisieren. Dabei wurden die Menschen in Lastwagenanhängern auf Güterzügen versteckt, völlig ungesichert zwischen der Ladung, wie der Richter ausführte. Während der Fahrt nach München habe der 46-Jährige jedes Mal per Handy Kontakt mit einem der Mitreisenden gehalten.
Lebensgefährliche Nähe zur Oberleitung
Im Mai 2022 war der 19-Jährige sein Verbindungsmann. Nach der Ankunft in München habe der 46-Jährige per Telefon das Signal zum Aussteigen aus dem Zug gegeben. Der junge Mann kletterte demnach als Erster ins Freie, durch ein Loch in der Plane des Lastwagens oben an der Decke. Knapp unterhalb der lebensgefährlichen Oberleitung kniete er sich auf das Dach des LKW-Trailers, um anderen beim Ausstieg zu helfen. Dabei kam es zu einem Spannungsüberschlag durch seinen Hinterkopf, Oberkörper und Oberschenkel auf die 15-Jährige und ihren drei Jahre jüngeren Bruder, der an der Hand verletzt wurde.
Der 19-Jährige und das Mädchen fielen vom Waggon. Mit allen Mitteln versuchten die Ärzte, die Jugendliche zu retten. Doch die Schäden, die der Starkstrom in ihrem Körper angerichtet hatte, waren zu groß. Rund zwei Wochen später starb sie an Multiorganversagen. Der junge Mann wurde 18 Mal operiert und ist seitdem querschnittsgelähmt. Bei einer Schleusung einige Tage zuvor hatte sich bereits ein anderer Mann beim Einsteigen in Verona durch einen Stromschlag verletzt. Beim Tod des Mädchens ging das Gericht von Fahrlässigkeit aus. Ihr Tod sei dem 46-Jährigen zuzurechnen, sagte der Vorsitzende Richter. Die Körperverletzung der anderen habe er billigend in Kauf genommen.
Schleuserfahrten für Luxusleben
Nach Meinung Angaben des Gerichts hatte sich der Mann Anfang der 2020er-Jahre mit anderen zusammengetan, um Menschen über die Balkanroute nach Deutschland zu schleusen. Der Richter begründete das Urteil vor allem mit umfangreichen Daten auf dem Handy des Mannes. Danach sei er an sehr vielen Schleusungen beteiligt gewesen.
Eine Arbeit, die nach Meinung des Richters auch lukrativ war für den Mann, der bis zu seiner Verhaftung im Oktober 2022 in der Schweiz lebte. Als Hilfskoch mit einer mehrköpfigen Familie wäre es nicht möglich gewesen, auf so großem Fuß zu leben, mit einem dicken Auto und Freundin, meinte der Richter. Staatsanwalt Kai Gräber hatte dem Iraker eine "Nonchalance im Umgang mit Menschenleben" bescheinigt. Mit dem Geld aus den Schleuserfahrten habe er schlicht "auf dicke Hose machen" sowie seiner 20 Jahre jüngeren Geliebten ein Luxusleben bieten wollen, hatte er im Schlussplädoyer erklärt.
Das Gericht folgte mit seinem Urteil der Forderung der Staatsanwaltschaft, die zehneinhalb Jahre gefordert hatte. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Der Iraker hatte sich vor Gericht nicht geäußert. Binnen einer Woche kann er Revision zum Bundesgerichtshof einlegen.
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