Herr Klingbeil, die Welt schaut nach Amerika. Kamala Harris oder Donald Trump werden Joe Biden ablösen und das mächtigste Land der Welt regieren. Wie schauen Sie auf die Wahl?
Lars Klingbeil: Ich habe verschiedene Blickwinkel darauf. Zum einen interessieren mich berufsbedingt Wahlkämpfe. Ich war ja selbst in Chicago auf dem Parteitag der Demokraten, wo Kamala Harris nominiert wurde, und da gab es eine unfassbare Dynamik. Jenseits des Wahlkampfs und der Frage, was wir daraus für uns lernen können, habe ich auch die Hoffnung, dass Kamala Harris gewinnt. Es würde diese Welt zu stark verändern, wenn Donald Trump zurückkommt. Das wäre nicht gut für die transatlantische Zusammenarbeit, das wäre nicht gut für die USA. Und es würde sehr viel kaputt machen.
Was kann man denn aus Trumps Wahlkampf lernen? Er hetzt gegen Minderheiten und behauptet Haarsträubendes, etwa das Einwanderer Katzen und Hunde essen. Dennoch jubeln ihm die Massen zu.
Klingbeil: Die Frage ist, ob man davon lernen will. Das kann niemals der Maßstab sein. Bei aller Polarisierung, die auch in Deutschland zunehmend da ist, müssen wir als demokratische Parteien zum Anstand stehen. Dazu gehört, dass wir nicht hetzen, nicht lügen und dass man sich entschuldigt, wenn Fehler passieren. Wahlkampf ist kein Zuckerschlecken, aber am Ende müssen alle demokratischen Parteien nach der Wahl auch wieder miteinander zusammenarbeiten können. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir für diese politische Kultur kämpfen sollten.
Was nehmen Sie aus der Kampagne von Harris mit?
Klingbeil: Sie setzt positive Botschaften gegen den Abstiegssound von Trump. Politik muss Lust auf morgen ausstrahlen. Sie hat die arbeitende Mitte in den Fokus gerückt. Das ist auch auf dem Parteitag deutlich geworden. Und natürlich kann man sehen, dass es darum geht, den Wahlkampf in den sozialen Netzwerken durch schnelle positive Botschaften zu gewinnen. Man darf das Netz nicht den Hetzern und Spaltern überlassen.
Dennoch könnte am Ende Trump triumphieren. Wenn die USA dann als Geldgeber und Waffenlieferant ausfallen, wird Deutschland dann in die Bresche springen?
Klingbeil: Der Bundeskanzler hat gerade erst wieder betont, dass sich die Ukraine auf Deutschlands Unterstützung verlassen kann. Das gilt so lange, wie die Ukraine diese Unterstützung braucht. Wir haben jetzt schon gesehen, wie wackelig die neue Finanzzusage der USA für Kiew war. Wir müssen bereit sein, notfalls noch mehr zu tun, weil es dabei auch um unsere Sicherheit geht. Deutschland muss insgesamt mehr Verantwortung übernehmen.
Was meinen Sie damit?
Klingbeil: Es geht darum, ob Europa eigenständig wird in der Sicherheitspolitik. Wann bestellen die EU-Partner endlich die Ausrüstung für ihre Armeen gemeinsam? Wann werden gemeinsame Verteidigungspläne erstellt? Frau von der Leyen muss mit der neuen Kommission jetzt eine Dynamik hinbekommen, dass wir wirklich mal in großen Schritten vorankommen. Das wäre übrigens wahrscheinlich auch die Botschaft von Kamala Harris an uns, dass wir in Europa viel schneller laufen lernen müssen. Der Unterschied zu Trump ist, dass man das mit ihr in einem guten Miteinander hinkriegt und in einem vernünftigen Stil. Mit Donald Trump wird es ruppig. All das, was wir heute auch an Unterstützung und Sicherheitsgarantien der Amerikaner haben, ist mit Trump nicht mehr zwangsläufig gegeben.
Apropos Trump. Sollte der Republikaner gewinnen und die internationalen Beziehungen durcheinanderwirbeln, wäre eine stabile Koalition in Deutschland sicher von Vorteil. Anders gefragt: könnte Trumps Wahlsieg ein neuer Kitt für die zerstrittene Ampel-Koalition sein?
Klingbeil: Ich finde, unabhängig von der Frage, wer in den USA gewinnt, ist es gut, wenn wir in Deutschland eine stabile Regierung haben. Und vor allem brauchen wir eine Regierung, die sich dem annimmt, was an Herausforderungen, an Problemen, in diesem Land da ist. Deswegen ist es richtig, dass der Bundeskanzler den Kampf um Arbeitsplätze zur Chefsache macht. Und ich würde mir wünschen, dass er dabei auch die volle Unterstützung von den Koalitionspartnern erfährt, die man braucht, um die Herausforderungen anzugehen.
Die Wähler fragen sich aber: Bleibt FDP-Chef Christian Lindner im Regierungsbündnis oder tritt er aus? Sein neues Wirtschaftspapier liest sich wie die Scheidungsurkunde der Koalition.
Klingbeil: Nach Wirtschaftsminister Habeck hat nun auch Lindner Maßnahmen aufgeschrieben. Wenn sie dazu beitragen können, unsere Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern, reden wir darüber. Vorschläge sind immer willkommen. Gleichzeitig muss ich auch feststellen, dass die FDP in den letzten Monaten ja einige Papiere geschrieben hat, vieles ist also nicht neu. Zum Beispiel Reichen mehr zu geben, die Arbeitnehmer länger arbeiten zu lassen und sie später in Rente zu schicken. Es wird niemanden überraschen, dass wir das für den falschen Weg halten. Ich bin da mehr bei meinem FDP-Kollegen Volker Wissing: Regieren ist nicht einfach, aber wir tragen eine Verantwortung, dass es gelingt.
Sie könnten doch auch die ewig unzufriedenen Liberalen ziehen lassen und mit den Grünen eine Minderheitsregierung bilden. Die Union müsste sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht im Interesse des Landes im Einzelfall mit Ihnen zusammen stimmt.
Klingbeil: Ich merke, dass gerade in diesen Tagen das politische Berlin super nervös ist und viel spekuliert wird, wie es weitergeht. Aber genau das ist es, was die Menschen in diesem Land nervt. Mich übrigens auch. Ich meine, wir haben einen Job zu erledigen. Und gerade geht es darum – ich nehme nur mein Bundesland Niedersachsen und Volkswagen als Beispiel – dass viele Menschen die Nachricht bekommen haben, dass ihr Arbeitsplatz gefährdet ist. Und da wollen sie eine Regierung sehen, die sich nicht jeden Tag um sich selbst dreht, sondern die alles dafür tut, um diese Arbeitsplätze zu retten. Das ist das, was der Kanzler tut.
Sie sprechen von den beiden Wirtschaftsgipfeln, zu dem Kanzler und Finanzminister Lindner getrennt voneinander eingeladen haben. Müsste der Kanzler, Störenfriede, die ihm ständig in die Parade fahren, nicht an die Kandare legen?
Klingbeil: Wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sagt, ich rette die Industriearbeitsplätze in diesem Land, dann braucht er dafür keine Erlaubnis. Es ist richtig, dass er diese Priorität setzt, dass er das in der Klarheit tut. Und ich erwarte, dass alle diese Priorität erkennen und ihn dabei unterstützen. Für uns als SPD haben Wachstum, sichere Arbeitsplätze und Investitionen in unsere Infrastruktur Priorität. Wir wollen einen neuen Aufschwung für alle in Deutschland.
Industriepolitik ist ein sozialdemokratisches Kernanliegen. Sie haben in den letzten Wochen vom Kanzler immer wieder gefordert, dass er für die SPD kämpfen muss. Zeigt Herr Scholz jetzt den gewünschten Einsatz?
Klingbeil: Es geht beim Kampf um Industriearbeitsplätze nicht um die SPD. Das ist im Interesse unseres Landes. Wir können froh sein, dass wir eine starke Automobilindustrie haben, eine Stahlindustrie, eine Pharmaindustrie, eine Chemieindustrie. Diese Industrien hier zu halten, ist auch ein sozialdemokratisches Interesse, ja. Aber vor allem ist es ein nationales Interesse. Deswegen bin ich dankbar dafür, dass der Kanzler sich an die Spitze gesetzt hat. Er wird sich die Ergebnisse seiner Gespräche zu Eigen machen und es darf dabei keine Tabus geben. Es geht um die Rettung von Arbeitsplätzen. Es geht darum, dieses Land stark zu halten. Das werden wir durch kräftige Maßnahmen erreichen.
Die kosten Geld. Der Haushalt wird gerade besprochen, wie bekommt man das noch unter?
Klingbeil: Nicht alles, was der Industrie hilft, kostet Geld. Es geht da beispielsweise auch um den Abbau von Bürokratie und Regulierung, insbesondere auf EU-Ebene. Ich höre, dass das erste Gespräch sehr gut, offen und vertrauensvoll war. Natürlich können am Ende Maßnahmen rauskommen, die Geld kosten. Aber viel teurer für dieses Land wäre es, wenn wir zugucken, wie Industriearbeitsplätze und Wertschöpfung verschwinden.
Volkswagen will offenbar Werke schließen. Der Protest aus der ehemaligen Arbeiterpartei SPD ist bisher verhalten. Dabei haben der Konzern und seine Aktionäre über viele Jahre hinweg enorme Summen verdient. Wäre es für die SPD nicht an der Zeit, wieder stärker auf Artikel 14 Grundgesetz zu pochen und darauf zu verweisen, dass Eigentum verpflichtet? Und wann kommt die Vermögenssteuer?
Klingbeil: Natürlich tragen die Unternehmen eine Verantwortung. Deshalb warnen wir ja auch sehr deutlich: Managementfehler bügelt man nicht aus, indem man Leute rausschmeißt. Die Frage nach einer gerechten Besteuerung von Vermögenden steht aber auf einem anderen Blatt. Dazu haben wir als SPD Vorschläge gemacht. Gerade sehr große Erbschaften werden verhältnismäßig gering besteuert. Da sind wir sehr klar, dass Mega-Erben mehr zum Gemeinwohl betragen können. Wir wollen die hart arbeitende Mitte, die wahren Leistungsträger dieser Gesellschaft entlasten. Wir wollen, dass 95 Prozent der Menschen mehr Geld in der Tasche haben. Diese Gerechtigkeitsfragen müssen adressiert werden.
Kaufanreize und Infrastrukturausbau kosten Geld. Wie bekommen Sie das mit Herrn Lindner geregelt?
Klingbeil: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein liberaler Finanzminister sagt, dass es ihm egal sei, was in diesem Land mit Unternehmen, mit der wirtschaftlichen Stärke oder mit Industriearbeitsplätzen passiert. Ich will das aber im Übrigen gar nicht als parteipolitischen Konflikt sehen. Es geht jetzt wirklich darum, dass der Kanzler zusammen mit den Unternehmen und den Gewerkschaften einen Weg eingeschlagen hat, bei dem im Mittelpunkt die Frage steht, was das Richtige für dieses Land ist. Da fehlt mir die Fantasie, dass da irgendwann ein Finanzminister sagt: Das mache ich nicht mit.
Nach der letzten SPD-Klausur trugen viele Funktionäre Trikots mit der Nummer 25 auf dem Rücken. Einige dachten, die Zahl stehe für die Prozentzahl, die Sie bei der nächsten Wahl erreichen wollen. Sie stehen gerade bei etwa 15 Prozent. Ab welchem Umfragewerte wird es eigentlich peinlich, einen Kanzlerkandidaten zu benennen?
Klingbeil: Diese Frage habe ich mit Vehemenz schon bei der letzten Bundestagswahl ausgehalten. Und am Ende haben wir die Wahl gewonnen. Das Ziel ist auch für die kommende Wahl gesetzt. Wenn Leute das Monate vorher belächeln, dann halte ich das aus. Entscheidend ist, was am Wahltag passiert. Und da bin ich optimistisch.
Herr Scholz ist also der unangefochtene Spitzenkandidat der SPD?
Klingbeil: Wir funktionieren als Team. Aber für uns ist völlig klar, dass der Bundeskanzler vorne steht. Es geht in den nächsten Monaten immer stärker um die Frage, wen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes im Kanzleramt haben wollen. Jemand wie Olaf Scholz, der besonnen agiert, der sich dadurch auszeichnet, dass er Sachen durchdenkt und der sich international koordiniert? Oder jemand wie Friedrich Merz, der für die schnelle Überschrift mal eben Putin mit Eskalation droht? Der sagt, dass nur die Besserverdienenden Leistungsträger seien? Diese Zuspitzung wird stärker werden, je näher der Wahltermin heranrückt. Es wird in den Köpfen der Menschen eine Neuvermessung stattfinden.
Haben Sie eigentlich früher Fußball gespielt und wenn ja, auf welcher Position?
Klingbeil: Ich war Torwart. Aber ich habe früh gemerkt, dass ich andere Talente habe.
Sie sind mit Kevin Kühnert befreundet, der aus gesundheitlichen Gründen aufgehört hat. Politik war sein Leben. Er hat gebrannt für die Partei, von früh bis spät gearbeitet. Ist das eigentlich gesund, was Sie hier machen?
Klingbeil: Das mit Kevin war ein harter Schlag. Ich wünsche ihm eine gute Genesung und danach stehen ihm alle Türen offen. Ich fand es übrigens gut, dass die Öffentlichkeit so fair und respektvoll mit ihm umgegangen ist. Aber er muss sich jetzt um sich selbst kümmern und deswegen war die Entscheidung richtig. Wir erleben seit vielen Jahren, eigentlich mit Beginn der Pandemie, dass wir in einem Krisenmodus sind. Das gilt nicht nur für die Politik. Die Polarisierung nimmt zu. Wir haben den Krieg in der Ukraine und die Situation im Nahen Osten, die uns bewegen. Man macht sich in diesem Land auf einmal Gedanken über die Frage, ob der nächste Lebensmitteleinkauf oder die nächste Tankfüllung noch finanzierbar sind. Das macht was mit unserer Gesellschaft.
Wie gehen Sie persönlich mit dem Druck um?
Klingbeil: Es wichtig, dass man sich die Auszeiten schafft, sich rausnimmt aus der Hektik. Bei mir sind es die Musik, der Sport - und allem die Familie.
Und, funktioniert es?
Klingbeil: Das mit dem Ausschalten des Handys klappt leider nicht immer. Der Grund ist nicht, dass ich auf einen Anruf von Christian Lindner warte. Es ist gerade einfach so viel los.
Zur Person: Lars Klingbeil, 46, ist neben Saskia Esken einer der beiden Bundesvorsitzenden der SPD. Klingbeil war schon früh politisch aktiv, arbeitete neben dem Studium im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder. Von 2017 bis 2021 war er Generalsekretär der SPD.
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