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US-Wahl 2024: Was entscheidet über den Sieg? Experte klärt auf

Interview

Warum ist das Rennen bei der US-Wahl so knapp, Professor Jäger?

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    Ex-US-Präsident Donald Trump und Vizepräsidentin Kamala Harris kämpfen um die Mehrheiten in den Swing-States
    Ex-US-Präsident Donald Trump und Vizepräsidentin Kamala Harris kämpfen um die Mehrheiten in den Swing-States Foto: Steven M. Falk, The Philadelphia; dpa

    Herr Professor Jäger, wie kommt es, dass in den USA nur ein Dutzend der 50 Bundesstaaten über den Ausgang der Präsidentschaftswahl entscheidet, weil dort die Mehrheiten zwischen Demokraten und Republikanern hin und her wackeln? Was macht diese sogenannten Swing States besonders, dass es dort immer sehr knapp zugeht, während in den meisten anderen Staaten ein klarer Trend erkennbar ist?
    THOMAS JÄGER: In den Swing States machen sich die demografischen Verschiebungen in den USA besonders deutlich. Die weiße Mehrheitsgesellschaft nimmt ab, während die sogenannten Minderheiten zunehmen. Das führt dazu, dass sich insgesamt die politische Orientierung in diesen verändert. Der Süden, in dem es einige dieser Swing States gibt, war einst fest in demokratischer Hand. Ronald Reagan hat sie jedoch auf die Seite der Republikaner geholt. Damals nannte man die Seitenwechsler „Reagan-Demokraten“, das waren vor allem Arbeiter, die früher demokratisch gewählt haben, und aus Enttäuschung über den Kurs der Partei zu den Republikanern überliefen. Und auch heute wechseln diese Staaten je nach Wahl zwischen Republikanern und Demokraten. Ein Beispiel ist Georgia, wo bei der letzten Wahl nur rund 12.000 Stimmen den Ausschlag gegeben haben, wer die entscheidenden Stimmen der Wahlleute bekommt.

    Heute zählt insbesondere der einstige lange von den Demokraten beherrschte Industriegürtel im Norden der USA aus Wisconsin, Michigan und Pennsylvania zu den besonders umkämpften Swing-States, weil dort viele Wahlleutestimmen zu holen sind. Warum wackeln diese Staaten?
    JÄGER: In den Swing States im Norden spielt das Stadt-Land-Gefälle eine große Rolle: Die Städte wählen tendenziell demokratisch, die ländlichen Gebiete republikanisch. Stadt-Land-Unterschiede und das Verhältnis von städtischen zu ländlichen Gebieten spielen eine entscheidende Rolle, wenn es knapp wird. Dazu kommt der wirtschaftliche Strukturwandel, der zu einer Deindustrialisierung geführt hat und viele Menschen dazu brachte, ihre politische Wahlentscheidung zu überdenken. Das haben die Demokraten beim ersten Wahlkampf von Donald Trump gegen Hillary Clinton unterschätzt, aber ebenso zuvor auch die Republikaner.  

    Warum hatten auch die Republikaner diese Swing-States unterschätzt ?
    JÄGER: Nachdem Barack Obama zweimal die Präsidentschaftswahlen erfolgreich für die Demokraten gewonnen hatte, gab es innerhalb der republikanischen Partei Bestrebungen, stärker auf afroamerikanische und hispanische Wähler zuzugehen. Die Strategie war, diese wachsenden Bevölkerungsgruppen stärker zu umwerben, um wieder Mehrheiten in den Swing-States zu bekommen und zu sichern. Dann kam Donald Trump und hat diese Strategie komplett umgeworfen. Trump fokussierte sich auf die weiße Arbeiterschaft, die in vielen der umkämpften Swing-States vorher meist demokratisch gewählt hatte. So entschied er die Wahl 2016 klar für sich in den Swing-States, obwohl Hillary Clinton bundesweit mehr Stimmen bekam. Clinton bekam 48 Prozent der Stimmen, Trump nur 46. Doch Trump holte unter anderem mit dem Sieg aller Swings States im Norden 304 der Wahlleutestimmen, Clinton nur 227. Im jetzigen Wahlkampf zählt die weiße Arbeiterschaft erneut zu seiner Kernzielgruppe, aber man sieht, dass er auch bei afroamerikanischen und hispanischen Arbeitern Zuspruch findet.

    Warum punktet Trump nun auch bei Latinos und Afroamerikanern? Liegt das an wirtschaftlichen Sorgen, oder ist es eher ein kulturelles Phänomen, dass Trump insbesondere im männlichen Teil der nichtweißen Bevölkerung so gut ankommt?
    JÄGER: Barack Obama sieht in Trumps Methode eine Art „Machismo“, der besonders Männer anspricht. Demnach sieht es Trump möglicherweise als Vorteil, dass er es wie bei Hillary Clinton auch mit Kamala Harris mit einer Frau als Gegenkandidatin zu tun hat. Aber für den Erfolg von Trump in den Umfragen gibt es auch ökonomische Gründe. Obwohl die Inflation gesunken ist und die Löhne steigen, bleibt die gefühlte Inflation bei vielen Menschen hoch. Trump versteht es, diese Unsicherheiten auszunutzen. Er spricht die „gefühlte Inflation“ an, indem er sagt: „Schaut auf euren Einkauf im Supermarkt, zahlt ihr nicht 30 Dollar mehr als vorher?“ Dabei fällt völlig unter den Tisch, dass es auf der anderen Seite massive Lohnerhöhungen gegeben hat: Beim Flugzeugkonzern Boeing einigte man sich gerade auf 35 Prozent mehr Lohn, bei den Hafenarbeitern an der Ostküste holten die Gewerkschaften Anfang Oktober 62 Prozent mehr Lohn raus.

    Warum ist Trumps Inflationskampagne trotz guter Wirtschaftsdaten der USA so erfolgreich?
    JÄGER: Donald Trump ist der Meister darin, alternative Welten zu schaffen. Er spielt die „gefühlte Inflation“ gegen die realen Wirtschaftsdaten aus. Das gleiche hat er in seinem erfolgreichen Wahlkampf 2016 gemacht, als er eine gefühlt steigende Kriminalität anprangerte, obwohl die reale Kriminalitätsrate gesunken ist. Damit beeinflusst er die Wahrnehmung vieler Menschen, obwohl die wirtschaftlichen Fakten eine andere Sprache sprechen.

    Kann Kamala Harris dafür mehr bei den Frauen punkten? Kann das zum Problem für Trump werden, dass er so einseitig auf die männliche Wählerschaft zielt? Besonders das Thema Schwangerschaftsabbruch spielt für sehr viele Amerikanerinnen eine entscheidende Rolle …
    JÄGER: Trumps Hauptzielgruppe sind weiße Männer, insbesondere die evangelikalen Christen. Deswegen tut Trump sich so sehr schwer, beim Thema Schwangerschaftsabbruch eine Position einzunehmen, die für die meisten Frauen überhaupt akzeptabel ist. Er hatte darauf gesetzt, dass das von ihm mit streng Konservativen besetzte Oberste Gericht das Thema Abtreibung von der politischen Tagesordnung abräumt. Tatsächlich hat der Supreme Court vor zwei Jahren nach vielen Jahrzehnten die bundesweit einheitliche Regelung für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt und die Gesetze den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Doch Trump hat sich getäuscht in der Hoffnung, dass das Thema für die Präsidentschaftswahl damit keine Rolle spielen würde. Drei Viertel der Frauen in den Vereinigten Staaten wollen ein bundesweit einheitliches Abtreibungsrecht. Kamala Harris hat das zu einem sehr großen Thema gemacht und das könnte für Donald Trump zum großen Problem werden.

    In den jüngsten Wochen hat sich das Blatt in den Umfragen wieder gewendet. Kamala Harris hat in den nördlichen Swing States nach Joe Bidens Kandidaturverzicht deutlich aufgeholt. Jetzt werden die Abstände in den Umfragen immer knapper. Was ist da passiert?
    JÄGER: In der Realität gab es vermutlich gar keine große Bewegung in der politischen Stimmung. Dabei gab es zwei wesentliche Ereignisse, bei denen man dachte, dass die Stimmung kippen könnte: Als Donald Trump das Attentat auf ihn überlebte, dachten viele: Jetzt ist die Wahl zu seinen Gunsten gelaufen. Und als Joe Biden zurückzog, dachten viele, jetzt würde eine Welle Begeisterung bei den Demokraten auf die Bevölkerung überspringen und Kamala Harris ins Amt tragen. In Wahrheit gab es in den Umfragen in beiden Fällen nur minimale Ausschläge. Die jeweiligen Vorsprünge in den Swing-States, sind so klein, dass sie innerhalb der statistischen Fehlerschwankungsbreite liegen. Das heißt, trotz dieser spektakulären Ereignisse stehen sich in den USA zwei wie in Beton gegossene politische Blöcke gegenüber. Das Einzige, was wir daraus lernen können, ist: Wir wissen frühestens in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, wer die Wahl gewinnt – wenn überhaupt.

    Warum unterscheiden sich die Werte in den amerikanischen Umfragen oft so stark voneinander? Sind die Institute dort weniger zuverlässig als in Europa?
    JÄGER: Einige Umfrageinstitute sind parteiisch, sie möchten bestimmte Stimmungen verbreiten. Das kann mal hohe Zustimmung für die eine Seite sein, oder mal ein besonders knappes Ergebnis, um die jeweilige Anhängerschaft zu mobilisieren, zur Wahl zu gehen, weil es auf jede Stimme ankomme. Dann ist die Frage, ob die Institute wirklich einen Querschnitt der Bevölkerung aus Stadt und Land erreichen. Aus diesen Gründen arbeiten viele Beobachter in den USA lieber mit dem Durchschnitt aller Umfragen. Das ergibt ein realistischeres Bild. Und dieses Bild zeigt: Das Rennen ist denkbar knapp.

    Warum hat sich das alte Wahlmänner-System für die US-Präsidentschaftswahl bis heute gehalten?
    JÄGER: Das amerikanische Wahlsystem geht auf die Gründungsväter der Verfassung zurück, die skeptisch gegenüber einem ungefilterten Volkswillen waren. Sie wollten eine Sicherung für die Demokratie einbauen, damit nicht eine Mehrheit aus politischer Verblendung einen Tyrannen wählt. Der andere Grund ist, dass das System auch die kleineren amerikanischen Bundesstaaten stärker repräsentieren soll, als eine bundesweite Direktwahl. Das Wahlleutegremium setzt sich für jeden Bundesstaat aus der Anzahl von Abgeordneten und Senatoren zusammen. Jeder Staat hat jeweils zwei Senatoren. Dazu kommen je nach Bevölkerungsgröße eine Anzahl von Abgeordneten. Das bedeutet, dass jeder Staat, egal wie klein, mindestens drei Stimmen im Wahlleutegremium bekommt. Die kleineren Bundesstaaten haben deshalb keinerlei Interesse daran, das Wahlsystem zu ändern, weil sie das schwächen würde. Auch in den USA gibt es Debatten, dass das Wahlleute-System antiquiert sei und viele eine Direktwahl für demokratischer halten. Aber um die Verfassung zu ändern, braucht man nicht nur jeweils eine Zweidrittelmehrheit im Senat und Repräsentantenhaus, sondern auch noch die Zustimmung von drei Viertel aller Bundesstaaten. Das ist völlig unrealistisch.

    Gibt es in den USA überhaupt eine breite Diskussion darüber, ob das Wahlleute-System überholt ist?
    JÄGER: Ja, die Diskussion gibt es, genauso wie über die Finanzierung der Wahlkämpfe. Sollte die Wahl ähnlich ausgehen wie 2016 – also, dass Harris die Mehrheit der Stimmen gewinnt, aber Trump durch die Wahlleute gewinnt – dann wird diese Debatte sicherlich neu entfacht. Aber die Mehrheit im Kongress für eine Reform wird es nicht geben, auch weil die Staaten, die vom System profitieren, keinen Grund haben, etwas zu ändern.

    Inwieweit ist der jetzige Wahlausgang offener als vor vier Jahren?
    JÄGER: Die jetzige Präsidentschaftswahl ist auf jeden Fall genauso offen wie 2020, vielleicht sogar offener. Es hängt alles von einigen tausend Stimmen in den Swing States ab.

    Werden wir überhaupt am Mittwochmorgen schon einen Wahlsieger kennen? Vor vier Jahren hatte es bis zum Samstag gedauert …
    JÄGER: Es ist auch dieses Mal keineswegs sicher, dass wir am Mittwochmorgen den Sieger der Präsidentschaftswahl kennen. Es könnte Wochen dauern, besonders wenn die eine oder andere Seite Nachzählungen fordert. Dann wissen wir es vielleicht erst im Dezember – oder spätestens am 6. Januar, wenn das Ergebnis im Kongress zertifiziert werden muss. Wenn es dabei zu Streitigkeiten kommt, könnte am Ende sogar das Repräsentantenhaus den Präsidenten wählen – unabhängig vom Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom Dienstag. 

    Der USA-Experte Thomas Jäger ist Professor für internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. 
    Der USA-Experte Thomas Jäger ist Professor für internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. 

    Zur Person Thomas Jäger ist Professor für internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Der 64-Jährige gilt als gefragter USA-Experte. In einem Interview mit unserer Redaktion sagte er im Sommer 2016 anders als viele Fachleute einen Sieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen voraus.

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