Mit seinem vierjährigen Bruder Jonas tobt Fabian durch die großelterliche Wohnung. Nichts Außergewöhnliches, wüsste man nicht: Fabian ist schwer krank - und dem Tod schon in seinen ersten Lebensmonaten sehr nahe gewesen.
Als ihm vor zwei Jahren eine Chemotherapie samt ihren Begleiterscheinungen wie Haarausfall drohte, stieß seine Oma Claudia Baier auf die Internetseite von „Die Haarspender“ – einem Non-Profit Verein, der Kindern helfen möchte, die ihr Haar durch Krankheit verloren haben.
Fabien bekommt Diagnose kurz vor Weihnachten 2022
An diesem Mittwoch, 4. Dezember, kommen nun die seit zwei Jahren gewachsenen Haare von Claudia Baier ab. Um irgendein unbekanntes Schicksal da draußen in der Welt mit einer maßgeschneiderten Perücke wenigstens optisch ein Stück weit zu mildern.
Drei Tage vor Weihnachten 2022 hatte Fabian mit seiner Mama Franziska in Kempten einen Termin. Vier Monate zuvor war bereits Nystagmus, ein Augenzittern, diagnostiziert worden. Nun war einem Kemptener Oberarzt das Kopfwachstum aufgefallen: Die Fontanelle war bei dem acht Monate alten Kind noch nicht zugewachsen, der Ultraschall zeigte eine Erweiterung der Hirnkammer.
„Ich wusste sofort, was eine Chemo bedeutet“
Claudia Baier, Oma des schwerkranken Fabian
Eine Magnetresonanztomographie (MRT) sollte Klarheit bringen. Die Aussage der Ärzte, dass ihr kleiner Sohn sofort operiert werden muss, um Hirnwasser abzulassen und die Diagnose Hirntumor, hauten Mutter Franziska (31) und ihren Mann fast um: „Am Anfang habe ich fast nichts realisiert. Da funktionierst du nur noch.“ Noch am selben Tag ging es von Kempten aus direkt ins schwäbische Kinderkrebszentrum nach Augsburg, wo Eltern und Kind aufgeklärt und stationär aufgenommen wurden. Dort fiel auch die Entscheidung, dass Fabian gleich nach den Feiertagen operiert werden soll.
Oma Claudia Baier ist von Beruf Krankenschwester
Der Tumor - ein Sehbahngliom, der im oder um den Sehnerv entsteht und das Auge mit dem Gehirn verbindet – war zwar nicht bösartig, wuchs aber an ungünstiger Stelle. Ein Portkatheter wurde gelegt, um darüber schnell einen Zugang in den kleinen Körper für eine Chemotherapie zu haben. Mit der chemischen Keule sollte aber noch bis ins neue Jahr gewartet werden. Ein ebenfalls gelegter Stunt sorgte dafür, dass das Hirnwasser abfließen konnte.
Im heimischen Wangen harrten die Großeltern Claudia und Christian Baier gemeinsam mit ihrem älteren Enkel der Dinge. „Ich bin seit 38 Jahren Krankenschwester und wusste sofort, was eine Chemo bedeutet“, erzählt Fabians Oma. Ein Alltag in Sterilität und der Verlust der Behaarung sind nur zwei von mehreren Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen.
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Claudia Baier, die ein Leben lang ihre Haare kurz getragen hat, fasste einen Entschluss: „Ich dachte, wenn schon dem kleinen Kerl die Haare ausfallen, will ich wenigstens was tun.“ Beim Stöbern im Internet entdeckte die 56-Jährige dann die Haarspender-Seite.
In Augsburg tat sich derweil einiges: Bei einer Biopsie wurde festgestellt, dass Fabian an einer Genveränderung mit dem Namen BRAF-V600 E-Mutation leidet. Für Fabian bedeutete dies: Auf eine Chemo konnte (vorerst) verzichtet werden.
Allerdings war auch die nun notwendige Medikamenten-Therapie nicht von schlechten Eltern. Sie hemmt zwar das Wachstum von Tumoren, aber auch die des Körpers. Und, so Claudia Baier: „Fabian ist extrem sonnen- und kälteempfindlich.“ Nach einem guten Jahr galt der kleine Bub in Augsburg als austherapiert. Der Tumor im Kleinhirn war zwar zunächst zurückgegangen, wuchs nach einem halben Jahr aber wieder an verschiedenen Stellen. Also doch noch Chemo?
Der „Notfallplan Chemo“ steht immer noch
„Zu dieser Zeit vermittelte uns unser Oberarzt in Augsburg den Kontakt zu Professorin Ana Guerreiro Stücklin und dem Kinderspital Zürich“, erzählt Fabians Mutter Franziska. Dort ist Fabian seit Mai 2024 in Behandlung. „Wir sind zuversichtlich, dass es wird. Der Tumor hat schon kleinere Ausmaße, die Prognosen sind gut“, sagt Franziska.
Der „Notfallplan Chemo“ steht immer noch, auch wenn er aktuell aus medizinischer Sicht nicht geboten ist. Mama Franziska, die alles akzeptieren und unterstützen würde, was ihrem Sohn das Leben rettet, ist aber auch froh über folgende Tatsache: „Je älter Fabian wird, desto geringer sind die Nebenwirkungen.“
Claudia Baier wird sich am 4. Dezember nun ihre Haare schneiden lassen, auch wenn Fabian die Chemo zumindest im Moment nicht benötigt: „Ich habe jetzt eine Haarlänge von 25 Zentimetern über dem Haargummi erreicht.“ Sie weiß inzwischen: „Viereinhalb Erwachsenenköpfe sind notwendig, um eine Kinder-Teilperücke herzustellen.“
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Vom Leben geläutert ist weder sie noch ihre Tochter, die sogar von „Glück“ spricht, dass schnell eine Diagnose gestellt werden konnte, auf die aufgebaut wurde: „Ich habe auf meinem Weg durch die Kliniken so viele Eltern kennengelernt, die nicht wissen, was ihre Kinder haben und wer ihnen wo und wie helfen kann. Deshalb bin ich auch dankbar, dass es bei uns anders war und wir heute wieder relativ normal leben können.“
Gerade huscht Fabian mit seinem Puppenwägelchen wieder durch die Stube. Mama Franziska schaut ihrem Energiebündel lächelnd hinterher: „Er ist so eine Sonne.“
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