Es geht um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber auch die Chancengleichheit von Kindern spielt eine wichtige Rolle: Jenes Gesetz, das Familien mit Kindern im Grundschulalter einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gibt, hat beides im Blick. Das Jugendamt sieht zudem einen weiteren wichtigen Faktor.
Für die Ganztagesbetreuung braucht es individuelle Konzepte
Ab Herbst 2026 gilt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zunächst für Erstklässler, drei Jahre später dann für alle Grundschüler. Einschließlich des Unterrichts sollen die Kinder von Montag bis Freitag täglich acht Stunden betreut und gefördert werden. „Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, wie es Jugendamtsleiter Jürgen Kopfsguter und Simon Haas im Jugendhilfeausschuss bezeichnet haben.
Bildung, Erziehung und Betreuung müssten aufeinander abgestimmt werden. Dafür brauche es individuelle Konzepte. Weil Ganztagsbetreuung nicht nur aus Unterricht, Mittagsessen, Hausaufgaben und ein paar anschließenden Spielen bestehe. Es gehe „um ein gesundes Aufwachsen der Kinder“. Dass die Gemeinden zuständig sind für die Ganztagsbetreuung, das Staatliche Schulamt die Aufsicht habe und das Landratsamt die Planungshoheit, das sieht der Jugendamtsleiter als „eigenwilliges Konstrukt“.
Wo gibt es gebundene Ganztagesklassen im Landkreis Lindau?
Kopfsguter betrachtet es als „Spagat“, den Rechtsanspruch auf acht Stunden Betreuung am Tag, die Förderung in puncto Bildung und eine gute kindliche Entwicklung in Einklang zu bringen. Das Team des Jugendamts verwies darauf, dass es seit Jahren in den Städten und Gemeinden im Kreis Lindau Angebote gebe, die Eltern von Grundschülern buchen können. Dazu gehören Mittagsbetreuung und Hort, offene wie auch gebundene Ganztagsklassen. Letztere gibt es im Landkreis nur in Reutin und Lindenberg. Für den Jugendamtsleiter ist klar: Darauf kann durchaus aufgebaut werden.
Was in den nächsten Monaten erforscht werden muss: Wie viel Bedarf an Ganztagsbetreuung haben die Familien? Im Freistaat brauchen laut Haas zwei von drei Familien Betreuung für ihr Schulkind. Und diese Zahl werde steigen: Bayernweit gehen die Zuständigen von einer künftigen Bedarfsquote von 80 Prozent aus. Zwischen Bodensee und Westallgäu sind die Buchungszahlen bisher nicht ganz so hoch.
Welche Konsequenz hat die Ganztagesbetreuung für Vereine?
Zu klären sei aber auch, welche Konsequenz die Ganztagsbetreuung für die Vereine und deren Nachwuchsarbeit haben wird. Ganz gleich, ob es um Fußballtraining, Ballett oder Musikunterricht geht. „Wie können wir die Vereine einbinden?“ Kreisjugendring und Sportjugend signalisierten im Jugendhilfeausschuss übrigens sofort ihre Bereitschaft, in der Entwicklung der Ganztagsbetreuung mitzuwirken. Denn eines bleibt neben Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Chancengleichheit für alle Kinder in den Augen des Jugendamtsleiters wichtig: „Wann hat ein Kind noch Zeit, Kind zu sein?“