Wer in den Urlaub will, bucht seine Unterkunft oft online. Doch im Bereich Tourismus kann moderne Technik weit mehr – zum Beispiel Emotionen schaffen oder der Überlastung von Ausflugszielen entgegenwirken – das sagen zumindest die Professoren Guido Sommer und Marco A. Gardini von der Hochschule Kempten. Sie haben ein Buch mit dem Titel „Digital Leadership im Tourismus – Digitalisierung und Künstliche Intelligenz als Wettbewerbsfaktoren der Zukunft“ herausgegeben. Ein Gespräch über die Chancen und Grenzen der Technik.
Das Allgäu präsentiert sich gerne als traditionell, bodenständig und naturverbunden. Inwiefern passen Digitalisierung und Tourismus da überhaupt zusammen?
Professor Marco A. Gardini: Tradition muss laufen lernen, so haben wir auch einen Artikel in unserem Buch genannt. Digitalisierung und Tradition sind kein Widerspruch. Moderne Technik kann die Gastgeber zum Beispiel im organisatorischen Bereich entlasten – sodass am Ende mehr Zeit für die Menschen bleibt, um das Traditionelle und Bodenständige zu leben.
Professor Guido Sommer: Das passt sehr gut zusammen. Dinge wie Innovationskraft und Tradition, die den Tourismus stark machen, müssen miteinander verheiratet werden.
In welchen Bereichen werden die technischen Möglichkeiten schon jetzt gut genutzt – und wo ist noch Luft nach oben?
Gardini: Vieles funktioniert in der Breite schon, zum Beispiel Buchungsplattformen, Social Media oder Chatbots, die den Gästen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz online Fragen beantworten können. Es gibt aber auch noch Verbesserungsbedarf, unter anderem was die Sichtbarkeit und Onlinebuchbarkeit von Angeboten oder den Umgang mit Kundendaten angeht. Letztere werden zu wenig genutzt, um die Beziehung zu den Kunden zu intensivieren.
Woran arbeitet die Forschung derzeit konkret?
Sommer: Viel dreht sich nach wie vor um die Frage, wie touristische Hotspots entlastet werden können. Damit beschäftigen wir uns auch am Institut für Nachhaltige und Innovative Tourismusentwicklung in Füssen. Zunächst müssen die Hotspots identifiziert werden. Unter anderem mithilfe von Wetter- und Mobilfunkdaten, Informationen aus Navigationssystemen und historischen Erfahrungswerten soll dann analysiert und prognostiziert werden, wann wie viel los ist. Entsprechend sollen Empfehlungen an den Gast herausgegeben werden: beispielsweise den Zeitplan anzupassen und die Marienbrücke schon vor dem Frühstück anzuschauen oder bei vollen Parkplätzen statt mit dem Auto mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Im Zweifel können auch andere Angebote unterbreitet werden, also statt vielleicht auf das Rubihorn auf einen anderen Berg zu laufen, der ähnliche Tourenmöglichkeiten und Hütten bietet.

Ist es realistisch, dass sich die Menschen so sehr lenken lassen?
Sommer: Von Schildern lassen sich die Menschen seit Jahrzehnten lenken, jetzt gibt es eben neue Möglichkeiten, flexibler eingreifen zu können. Aber natürlich bleibt die Herausforderung groß. Die Digitalisierung wird nicht alles lösen und es wird nicht jeder auf Empfehlungen hören. Aber wenn es zumindest einige tun, ist schon viel gewonnen. Gardini: Wichtig ist, dass die Qualität der Daten stimmt. Davon profitieren letztlich Gäste und Einheimische. Wenn die Menschen merken, dass die Informationen aktuell, gut und verlässlich sind, werden sie sie eher nutzen.
Gibt es da noch Probleme?
Sommer: Aktuell landen viele Daten beim Ausflugsticker Bayern. Dieser wird häufig noch händisch befüllt, sodass die Informationen schnell veraltet sind. Es hilft auch nicht, wenn die Daten nur dort sichtbar werden. Sie müssen offen zur Verfügung stehen, damit alle auf sie zugreifen und sie ausspielen können, vom kleinen Hotel über die Allgäu GmbH bis hin zu Wanderseiten und den großen Outdoor-Portalen. Vielleicht werden die Daten dann auch einmal für große Suchmaschinen relevant. Da ist viel Dynamik drin, es müssen aber auch noch rechtliche Fragen geklärt werden.
Welches Potenzial birgt die Digitalisierung für die Zukunft?
Sommer: Da ist noch vieles möglich. Es können auch Emotionen und Erlebnisräume geschaffen werden. König Ludwig II. wollte in Pfronten ein Traumschloss bauen, die Pläne dafür sind bekannt. Es gab schon einmal die Idee, diese virtuell auferstehen zu lassen – aktuell ist das aber noch zu teuer. Gardini: Robotik, Künstliche Intelligenz oder Virtuelle Realität bergen für Gastgeber viele Chancen. Im letzteren Fall können Besucher schon vorab einen guten Eindruck davon bekommen, wie es vor Ort in einem Hotel oder an einer Destination tatsächlich aussieht. Generell kann die Digitalisierung helfen, die Qualität und die Effizienz zu steigern, zum Beispiel indem Abläufe standardisiert und automatisiert werden. Das spielt auch im Bereich Fachkräfte eine Rolle. Serviceroboter werden immer besser.

Aber will man sich sein Schnitzel wirklich von einem Roboter servieren lassen?
Sommer:Es kommt sehr darauf an, an was man bereits gewöhnt ist. An Innovationen gibt es häufig Kritik und irgendwann sind sie dann zur Normalität geworden. Gardini: Und es wird immer Mischformen geben: Die einen werden verstärkt digital arbeiten, andere weniger. Der Gast kann selbst entscheiden, was er will.
Professor Guido Sommer ist Dekan der Fakultät für Tourismus-Management an der Hochschule Kempten und leitet zudem das Institut für Nachhaltige und Innovative Tourismusentwicklung in Füssen.
Professor Marco A. Gardini ist stellvertretender Institutsleiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus und lehrt „Hospitality Management“ an der Fakultät für Tourismus-Management der Hochschule Kempten.
Lesen Sie auch: Hat sich der Tourismus in Schwangau nach Corona wieder erholt?