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1. Allgäuer Wirtschaftsgipfel der Allgäuer Zeitung im Kornhaus in Kempten

1. Allgäuer Wirtschaftsgipfel

Theo Waigel: Früher waren Atomwaffen auf uns gerichtet - auch neue Krisen werden wir meistern

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    Während des 1. Allgäuer Wirtschaftsgipfels im Kornhaus in Kempten diskutierten mit (von links): Markus Raffler, Redaktionsleiter der AZ, Reinhold Braun von der IHK, Dr. Theo Waigel, ehemaliger Bundesfinanzminister, Hans-Peter Rauch von der Handwerkskammer Schwaben und Helmut Kustermann, Ressortleiter der AZ.
    Während des 1. Allgäuer Wirtschaftsgipfels im Kornhaus in Kempten diskutierten mit (von links): Markus Raffler, Redaktionsleiter der AZ, Reinhold Braun von der IHK, Dr. Theo Waigel, ehemaliger Bundesfinanzminister, Hans-Peter Rauch von der Handwerkskammer Schwaben und Helmut Kustermann, Ressortleiter der AZ. Foto: Ralf Lienert

    „Warum sollten wir das, was vor uns liegt, nicht schaffen?“ Das war als Frage formuliert, aber anhand der Betonung als feste Überzeugung zu verstehen. Und zwar die des ehemaligen Bundesfinanzministers Dr. Theo Waigel mit Blick auf die globale Krise. Der Mann aus Seeg (Kreis Ostallgäu) war am Mittwochabend Gast des 1. Allgäuer Wirtschaftsgipfels, zu dem die Allgäuer Zeitung ins Kornhaus nach Kempten eingeladen hatte.

    1989 noch waren Atomwaffen auf uns gerichtet, sagte Waigel zu den etwa 350 Zuschauern. Doch die Bedrohung des Kalten Krieges wurde überwunden - so wie viele andere Probleme auch. Und die aktuellen Herausforderungen werde das Land auch meistern. Allerdings werden die Menschen dafür Einschnitte hinnehmen müssen, und die Politik muss noch viele Aufgaben erledigen, wie in der Diskussionsrunde deutlich wurde.

    Waigel: Auch ältere Generation muss Opfer bringen

    Daran nahmen neben Theo Waigel der Präsident der Handwerkskammer Schwaben, Hans-Peter Rauch, und der Präsident der schwäbischen Industrie- und Handelskammer, Reinhold Braun, teil. Moderiert wurde die Runde von Markus Raffler, Redaktionsleiter der Allgäuer Zeitung, und Helmut Kustermann, Ressortleiter und Mitglied der Redaktionsleitung.

    Welche Einschnitte könnte es für die Menschen in Deutschland geben? Reinhold Braun forderte etwa, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu knüpfen. Er nannte Dänemark als Beispiel: Ab 2040 gibt es die Rente dort ab einem Alter von 70 Jahren statt mit 67. Aufgrund des demografischen Wandels müsse bei uns über so etwas auch nachgedacht werden. Immer mehr Menschen gehen in Rente, immer weniger zahlen in die Sozialkassen ein. Theo Waigel schloss sich der Forderung an: „Entweder Rentenbezüge kürzen oder Beiträge erhöhen oder länger arbeiten. (...) Da muss auch die ältere Generation ihr Opfer für die jüngere bringen. Nicht nur umgekehrt.“

    „Humankapital im Allgäu ist riesiger Vorteil gegenüber anderen Regionen“

    Insgesamt müsse das Arbeitsvolumen in Deutschland erhöht werden, sagte Braun. Also die von allen Menschen zusammen erbrachten Arbeitsstunden. Das sei eine der Möglichkeiten, das Wirtschaftswachstum zu erhöhen - damit beispielsweise mehr Steuern gezahlt werden und so der Bundeshaushalt ohne größere Neuverschuldung auskommt. In Frankreich etwa werde überlegt, zwei Feiertage zu streichen, um das Arbeitsvolumen zu erhöhen.

    Wobei es im Allgäu nicht an Fleiß mangele, kommentierte Waigel: „Das Humankapital im Allgäu ist ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Regionen.“ Das liege an den „arbeitsbewussten Arbeitnehmern“ und an den „tüchtigen und bescheidenen Mittelständlern und Arbeitgebern“.

    Doch gerade kleinere Betriebe ertrinken angesichts der ausufernden Bürokratie förmlich in Regularien. Ob er noch an eine Lösung glaubt, wollten die Moderatoren von Hans-Peter Rauch wissen. Das Problem sei, dass es große Ankündigungen gebe, etwa das von der Bundesregierung geplante Baubeschleunigungsprogramm, antwortete er. Aber bei den Unternehmen komme nichts davon an - wegen der Bürokratie.

    Der einfache Beamte muss sich trauen, Bürokratie abzubauen

    Es wäre schon viel geholfen, wenn in den Kommunen angefangen werde, sie abzubauen. Aber wie solle das gelingen, wenn der einfache Beamte sich nicht traue, einen Prozess mal zu beschleunigen? Dafür müsste ihm von höherer Ebene der Rücken freigehalten werden, dass er nicht fürchten müsse, verklagt zu werden, sagte Rauch.

    Statt einfacher werde die Welt also komplexer, sagte AZ-Geschäftsführer Thomas Huber. „Wir wollen dabei nicht nur zusehen, sondern mit Ihnen darüber reden, mitgestalten und mitdenken.“ Deshalb sei der Wirtschaftsgipfel zum 80-jährigen Bestehen des Allgäuer Zeitungsverlages organisiert worden. Doch trotz aller Krisen in der Welt schaut Huber optimistisch nach vorn: „Wir halten im Allgäu zusammen, auch wenn es unübersichtlich wird.“

    Wie ist die Lage bei Unternehmen in der Region?

    Darum ging es bei einem Experten-Talk:

    Innovation: „Wer innovativ ist, ist erfolgreich“, zeigte sich Andreas Müller (Geschäftsführer Alois Müller GmbH, Dienstleister im Bereich Heizung, Lüftung, Sanitär und Klimatechnik, Ungerhausen) überzeugt. Sein Unternehmen ist an einem neuen Zentrum für grüne Technologie am Memminger Flughafen beteiligt, das Platz für bis zu 30 Start-Up-Unternehmen bieten soll. Dr. Peter Geigle (Geschäftsführer Maha Maschinenbau, Haldenwang) berichtete: Zwei von zehn Forschungsprojekten bei Maha würden in der Regel umgesetzt. Die Firma pflegt dabei auch eine Kooperation mit der Hochschule Kempten. Der Werkzeugmaschinen-Hersteller DMG Mori aus Pfronten, der mit seinem Geschäftsführer Reinhard Musch vertreten war, investiert unter anderem in den Nachwuchs und will bis 2026 ein neues Ausbildungszentrum errichten.

    Zölle: Geigle sprach davon, dass die US-Zölle dem Unternehmen sogar ein Auftragsplus bescherten. Maha betreibt seit einigen Jahren ein Werk in den USA. Handelsbarrieren würden den Wettbewerb begrenzen und die Maha-Position als lokaler Anbieter stärken. Müller erklärte, dass die US-Zölle „uns nur wenig betreffen“. Sein Unternehmen sei vor allem in Europa unterwegs. Er nehme allerdings wahr, dass „unsere Kunden verunsichert sind“ durch die US-Politik. Musch berichtete: Trotz der aggressiven Europapolitik der Amerikaner „bestellen unsere Kunden weiter bei uns. Wir sind gefragt und haben keinen Einbruch weltweit“.

    Problemlösungen: Müller erklärte, was aus seiner Sicht nötig ist, um der deutschen Wirtschaft wieder mehr Schub zu geben: „Wir müssen schneller werden. Manche sind zu gesättigt.“ Einzelne Geschäftsführer erreiche er freitags kaum noch. Dabei gebe es selbst in der Krise „Chancen für viele“, die genutzt werden müssten. Geigle empfahl, für manche politische Entscheidungen erst einmal ein „Testfeld“ zu schaffen, bevor sie direkt in die Tat umgesetzt werden. Denn anstatt mit unterschiedlichen Beschlüssen in den Parlamenten zu experimentieren, wären „Verlässlichkeit und Konstanz“ in der Politik für Unternehmer wichtiger.

    Freier Handel lebt weiter

    Expertin glaubt weiter an die Chancen der Weltwirtschaft

    Ist der freie weltweite Handel gescheitert? Das befürchten manche Wirtschaftsvertreter angesichts der Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump. Dr. Katrin Kamin, Handelsexpertin des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, ist anderer Meinung. Forschungsergebnisse ihres Instituts zeigten: Der Handel werde über die Jahrzehnte nicht weniger, er wachse nur langsamer durch Einschnitte wie die US-Zölle. Das Geschäft mit Halbleitern zum Beispiel „kann nicht einfach eingestellt werden“, sagte Kamin beim Wirtschaftsgipfel der Allgäuer Zeitung. Gleichzeitig habe sich gezeigt: Diejenigen, die ihre Wirtschaft abschotten wollen, wie gerade die USA mit angedrohten Zöllen, seien auf lange Sicht die größten Verlierer.

    China ist der klare Gewinner

    Trotz der weltweiten Turbulenzen gebe es auch einen klaren Gewinner: China. Das Land liegt laut einer Studie beim prozentualen Anteil am Warenverkehr knapp vor den USA und deutlich vor Deutschland. Die Bundesrepublik habe in den vergangenen Jahren einige Fehler gemacht - etwa beim Thema Halbleiter: Statt hier selbst zu investieren, kaufe man hauptsächlich in China ein. Für die Zukunft gelte es, sich vor allem auf den EU-Binnenmarkt zu konzentrieren und verstärkt mit Partnern in der Nachbarschaft zusammenzuarbeiten.

    Von den beschlossenen Sondervermögen der neuen Bundesregierung erwartet sich Kamin keine allzu großen Effekte für die Wirtschaft: Sie seien nur „ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein“.

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