Knapp 40 Meter unter der Wasseroberfläche ist der Bodensee 800 Meter vor Bottighofen (Schweiz) stockdunkel und kalt. Selbst im Sommer liegen die Temperaturen bei nur vier bis sechs Grad. Dennoch zieht es Karl-Heinz Weltz und Harald Utz vom Tauch-Sport-Club Friedrichshafen immer wieder an diesen unwirtlichen Ort.

Auf dem Grund des Sees, erkennbar nur im Scheinwerferlicht der Taucherlampe, liegt die "Jura". Der 46 Meter lange Schaufelraddampfer sank unter spektakulären Umständen 1864 und gilt als berühmtestes Süßwasser-Schiffswrack Europas. Bis heute zieht es Taucher magisch an. "Da es da unten so kalt wie ein Kühlschrank ist, blieb das Wrack erstaunlich gut erhalten", schildert Karl-Heinz Weltz seine Eindrücke. "Als Taucher fühlt man sich wie im Weltraum. Es ist jedes Mal ein Erlebnis." Die Fotos aus dem Reich der Tiefe wirken surreal und gespenstisch.
Genau wie der Untergang der Jura gewesen sein muss.

12. Februar 1864. Die "Jura", zu dieser Zeit ein bayerisches Dampfschiff, ist an jenem schicksalsträchtigen Freitagmorgen auf der Kurslinie von Romanshorn nach Konstanz unterwegs. Neben dem Kapitän und der Besatzung sind fünf Passagiere an Bord. Es ist kalt und neblig. Kapitän Martin Motz hat deshalb einen Matrosen als "Ausgucker" am Bug abgestellt. Doch der kann in der weißen Wand das nahende Unglück nicht erkennen: Urpötzlich taucht das "Teufelsschiff" vom Bodensee auf.
Die "Stadt Zürich", einer der schnellsten Raddampfer seiner Zeit, hat schon einmal ein Schiff am Bodensee versenkt. Im letzten Moment versucht Kapitän Motz ein Ausweichmanöver. Doch es ist zu spät. Die 300 PS starke "Stadt Zürich", die bis zu zwölf Knoten fahren kann, ist zu schnell. Das Schweizer Dampfschiff rammt die beidrehende "Jura" und schlitzt ihr den Rumpf auf. Der Matrose am Ausguck wird zerquetscht. Die Passagiere und der Kapitän Motz können sich gerade noch über den verkeilten Bug auf die "Stadt Zürich" retten. Wenige Minuten später versinkt die Jura in den Wellen des Bodensees.

Fast 90 Jahre geriet sie in Vergessenheit. Doch dann wurde das Wrack durch Zufall von Ludwig Hain entdeckt, der im Auftrag eines Schweizer Unternehmens nach abgestürzten Kampfflugzeugen tauchte. Erst viele Jahre später gab er sein Geheimnis an Heinz-Günter Masermann, einen der Gründer des Tauch-Sport-Clubs Friedrichshafen. Ärgerlich für die beiden mittlerweile verstorbenen Bodensee-Legenden: Durch die Indiskretion in einem Foto-Geschäft gerieten schließlich Unterwasseraufnahmen an die Öffentlichkeit.
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Seither hat der Mythos "Jura" viele Taucher in die Tiefe gelockt. Mit bösen Folgen: "Das Wrack wurde leider geplündert", beklagt Harald Utz.
Mehrere Todesfälle bei Tauch-Erkundungen zur Jura
Noch dramatischer ist, dass allein seit 2005 fünf Taucher bei ihren "Jura"-Expeditionen ums Leben kamen, der letzte 2018. Experten warnen, dass nur versierte Taucher das Abenteuer am Tauchseil in Angriff nehmen sollten.
Alle anderen müssen mit den spektakulären Fotos aus dem Reich der Tiefe Vorlieb nehmen.
Denn gehoben wird das historische Dampfschiff wohl nie. Die Kosten dafür würden Millionen verschlingen. Statt dessen wurde die "Jura" 2004 zum "Unterwasser-Industriedenkmal" erklärt.
Der Mythos "Jura" lebt. Tief unten, auf dem Grund des Bodensees.