Menschen, die ihr Heimatland verlassen und für eine bessere Zukunft an andere Orte flüchten, gab es schon immer. Konflikte zwischen Einheimischen und Fremden sind ebenso alt. Seit der ersten Flüchtlingswelle im Jahr 2015 hat sich die öffentliche Debatte noch einmal verschärft. Zudem kommen mehr Menschen nach Deutschland und suchen ein Dach über dem Kopf. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stieg die Zahl derer, die im Allgäu Schutz vor Bomben finden, erneut. Das löst Argwohn, Gerüchte und Konflikte aus. Diese Seiten sollen einen faktenbasierten Überblick darüber geben, was stimmt – und was nicht.
- Unsere Recherche ergab: Kommunale Ämter erfassen nicht, wie viele Asylsuchende in Kreisen und kreisfreien Städten abgeschoben werden müssten. Aber auch Verstöße gegen die Aufenthaltspflicht von Geflüchteten in ihren zugewiesenen Unterkünften können kaum überprüft werden. Mehr dazu lesen Sie hier.
Migration, Einwanderung, Asylsuchende: Wer kommt eigentlich nach Deutschland?
In der öffentlichen Debatte werden Zuwanderer oft allgemein als Flüchtlinge bezeichnet. Doch im Asylrecht sind diese nur ein Teilaspekt, der bei Weitem nicht die größte Gruppe an Einwanderern ausmacht. Laut Migrationsbericht des Bundes waren Ukrainer 2022 die größte Gruppe der Zuwanderer. Sie werden nicht zur Gruppe der Flüchtlinge gezählt, sondern haben einen Sonderstatus. Dann folgt die Gruppe der Menschen aus anderen EU-Staaten. Und erst an dritter Stelle kommen die Asylsuchenden, also Geflüchtete.
Welche Schutzstatus gibt es und was bedeuten sie für die Aufnahme von Geflüchteten?
Flüchten Menschen nach Deutschland, ist es vor allem abhängig von ihrem Herkunftsland, ob sie bleiben dürfen. Bei jedem Asylantrag prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Grundlage des Asylgesetzes, ob eine der vier Schutzformen (Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot) vorliegt. Je nach Schutzform stehen den Menschen verschiedene Rechte zu.
In Deutschland ist laut BAMF der aktuell häufigste Schutzstatus der subsidiäre Schutz. Die betreffenden Menschen haben grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihre Familie nachzuholen. Ein Antrag ist aber möglich. Alle Status sind zeitlich begrenzt. In manchen Fällen können jedoch sogar kriminell gewordene Menschen nicht abgeschoben werden. Und zwar dann, wenn ihnen in ihrem Heimatland Folter oder die Todesstrafe droht. Viele der Schutzformen beruhen übrigens auf internationalem Recht (zum Beispiel: Genfer Konvention) und können durch nationale Gesetze, wie sie manche Parteien fordern, nicht geändert werden.
Hier finden Sie eine Grafik, die das gesamte Asylverfahren in Deutschland beschreibt: PDF herunterladen..
Woran hakt es derzeit noch in der Erfassung der Geflüchteten?
Geht es um Asylverfahren, ist eines sicher: es wird komplex. Das zeigte auch unsere Recherche. In den Gesprächen mit Leitern der Ausländerbehörden, mit Pressesprecherinnen der Landratsämter oder mit Sprechern der Landesämter und Ministerien gab es einen gemeinsamen Nenner: „Die Gemengelage ist kompliziert.“ Schuld daran sind unter anderem die verschiedenen Gesetze, die bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen jemand in Deutschland einen Schutzstatus erhält. Denn das ergibt sich laut Bayerischem Innenministerium sowohl aus Bundes- als auch aus europäischem und aus internationalem Recht.
Zur Unübersichtlichkeit tragen aber auch weitere Aspekte bei. Beispielsweise werden in den Landratsämtern und Stadtverwaltungen viele verschiedene Software-Systeme zur statistischen Erfassung der Geflüchteten verwendet. Es gebe mehrere Anbieter solcher Software, sagt Tobias Ritschel, Leiter der Unterallgäuer Ausländerbehörde. Jede Behörde entscheide selbst, welches Programm sie nutzt – auch aus Kostengründen. Die Systeme seien unterschiedlich teuer. Eine der Folgen ist, dass beispielsweise nicht jede Behörde auf Anfrage genaue Zahlen zur Herkunft der Geflüchteten liefern konnte: etwa im Kreis Lindau oder in Kempten.
Hier finden Sie eine Grafik, die die Anzahl der Schutzsuchenden in den Allgäuer Landkreisen und kreisfreien Städten zeigt: PDF herunterladen
Wie viele Menschen können sich bei ihrer Ankunft nicht ausweisen und warum?
Bei den Allgäuer kreisfreien Städten und Landratsämtern wird darüber keine Statistik geführt. Das BAMF, das für die Erstregistrierung zuständig ist, erhebt diese aber schon: Im ersten Halbjahr 2023 konnten sich deutschlandweit über 52 Prozent der Asylsuchenden nicht ausweisen oder ihre Identität nachweisen. Die Stadt Kempten geht mit ihrer Schätzung sogar noch weiter: Laut den Erfahrungswerten der Behörde aus den vergangenen Jahren war bei 80 Prozent der ankommenden Menschen in Kempten die Identität nicht geklärt. Der Landkreis Lindau geht dagegen von 20 Prozent aus.
Wie mehrere Behörden bestätigen, kommen fehlende Ausweise vor allem bei Nationalitäten vor, die eine schlechte Anerkennungsquote haben. Bei Ukrainern liege die Quote dagegen bei nahezu 100 Prozent. Das Fehlen des Passes hat laut BAMF weitere Gründe. Teils würden Schleuser Papiere einbehalten und als Druckmittel gegenüber den Geflüchteten verwenden. Manchmal gehen Dokumente schlicht auf der Flucht verloren.
Was wird vonseiten der Behörden unternommen, um die Nationalität festzustellen?
Kommen Menschen in Anker-Zentren ohne Pass an, beginnt laut eines BAMF-Sprechers ein Puzzlespiel: Man arbeitet mit Dolmetschern zusammen, die versuchen, die Nationalität herauszufinden. Dabei höre man sich auch die Geschichten der Geflüchteten an, um herauszufinden, ob diese plausibel sind. Inzwischen werde Künstliche Intelligenz eingesetzt, um etwa Dialekte zu erkennen. Insbesondere bei arabisch sprechenden Menschen gebe es große sprachliche Unterschiede. Haben Schutzsuchende einen Pass bei sich, werde laut BAMF auch dieser auf Echtheit überprüft. „Gefälschte Pässe gibt es eigentlich nicht mehr“, so der Sprecher. Fälschungen würden heute fast immer erkannt.
Wie hoch ist der Anteil der Nicht-Deutschen bei gängigen Straftaten?
Das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West erfasst in der Kriminalstatistik Delikte, die im Allgäu begangen werden. Bei den Tätern wird etwa festgestellt, wie alt sie sind und ob sie Deutsche oder Nicht-Deutsche sind. Insgesamt lag 2022 der Anteil der Straftaten, die von Nicht-Deutschen begangen wurden, bei 33,5 Prozent. Ausländische Menschen waren bei keinem der in der Statistik erwähnten Delikte öfter Täter als Deutsche. Die Polizei erfasst jedoch nicht, wie viel Prozent der jeweiligen Bevölkerungsgruppe straffällig werden. Dazu komme, dass das Allgäu eine Urlaubs-Region ist. Straftaten werden auch von Touristen, am Grenztunnel oder von Menschen mit ausländischem Wohnsitz begangen und Nicht-Deutschen zugeordnet.
Den höchsten Anteil haben Nicht-Deutsche bei der Gewaltkriminalität (41,4 Prozent), den geringsten bei Straftaten mit dem „Tatmittel Internet“ (23,4 Prozent). Darunter fällt zum Beispiel, wenn Kinderpornografie mittels eines Handys weiterverbreitet wird. Und 2023? Laut der Statistik, die Ende März im Detail veröffentlicht wird, hat sich die Gesamtkriminalität der Nicht-Deutschen erhöht. Nicht überall: Etwa bei Sexualdelikten ist ihr Anteil laut Polizei gleichbleibend.
Warum werden in der Berichterstattung über Straftaten häufig keine Nationalitäten genannt?
Die meisten Medien in Deutschland halten sich an den Pressekodex, das sind die ethischen Leitplanken für den Journalismus. Im Pressekodex gibt es ausdrücklich kein Verbot, Nationalitäten zu nennen. Aber Zugehörigkeiten zu bestimmten Gruppen sollen dann nicht erwähnt werden, wenn das Fehlverhalten einer einzelnen Person so zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung führen könnte. Oft ist die Nationalität auch nicht relevant für die Tat an sich – oder sie kann nicht genannt werden, weil die Information darüber fehlt.
So haben wir recherchiert
Ungezählte Anfragen und Gespräche gingen diesen Grafiken und Texten voraus. Die meisten Zahlen zu Geflüchteten können Landkreise und kreisfreie Städte liefern. Mit ihnen waren wir im intensiven Austausch. An die Grenze der Informationen sind wir beim Thema Abschiebungen gestoßen: Keine kommunale Behörde erfasst, wer von den bei ihnen untergebrachten Menschen Deutschland verlassen muss. Sie verwiesen an die Regierung von Schwaben. Doch auch diese konnte diese Antwort nicht geben und verwies auf das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR). Auch dort war eine Antwort auf Landkreisebene nicht möglich – wir wurden zurück zu den kommunalen Ausländerbehörden verwiesen. Später nannte uns das LfAR eine schwabenweite Zahl. Eine Zahl für die Allgäuer Landkreise und kreisfreien Städte ließ sich nicht ermitteln. Diese Zahlen werden schlicht nicht erhoben.
Viele Gespräche drehten sich zudem um die Plausibilität der gemeldeten Daten: Weil die Behörden verschiedene Systeme verwenden, um Asyl-Daten zu erfassen, sind auch die Werte nicht gleich. Wir haben deshalb eine einheitliche Definition mit den sieben Landkreisen und kreisfreien Städten im Allgäu gefunden. Und so unsere Auswertungen ermöglicht.