Um die Existenzangst vieler kleiner und mittlerer Unternehmen ging es am Wochenende in Ottobeuren. Aber auch darum, ob weitere Länder in die EU aufgenommen werden sollten – und welche Chancen und Gefahren das birgt. Das alles war Teil einer Europatagung in der Benediktinerabtei.
Was war los? Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung mit Sitz in München hatte zusammen mit dem Bistum Augsburg zu der Europatagung eingeladen. In Vorträgen und Podiumsdiskussionen sprachen Politiker, Vertreter von Kirche, Wissenschaft, Wirtschaft und anderen Bereichen über die Herausforderungen für Europa.
Unternehmen: "Die aktuelle Situation ist sehr, sehr schlimm"
Dramatische Lage für kleine und mittlere Unternehmen: Viele kleinere und mittlere Unternehmen auch in Schwaben hätten mittlerweile Existenzangst, also die große Sorge, dass ihr Unternehmen die nahe Zukunft nicht überlebe, sagte Prof. Dr. Diane Robers, Leiterin der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung. „Die aktuelle Situation ist sehr, sehr schlimm“, sagte Robers. Die Gründe seien unter anderem in der Bürokratie zu suchen, in den Regularien, die auch die EU der Wirtschaft aufbürde. Etwa durch den Green Deal, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Statt Klimaneutralität durch Verbote und Verordnungen zu erreichen, müsse Unternehmen wieder mehr Freiheit gegeben werden. Dann könnten sie innovativ sein, sich modernisieren und auf eigene Weise auf Klimaneutralität hinarbeiten. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass viele aufgeben oder Deutschland und die EU verlassen.
EU-Erweiterung: Chance auf mehr Sicherheit in Zeiten des Krieges
Sollte die EU um weitere Mitgliedsländer erweitert werden? Derzeit sind Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und die Ukraine Beitrittskandidaten. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind seit 2018 eingefroren. Kosovo ist ein potenzieller Kandidat. Viele Jahre sei die Erweiterung der EU kaum Thema gewesen, sagte Markus Ferber, Abgeordneter der EVP im Europäischen Parlament und Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung. „Die neue geopolitische Realität, mit der wir seit dem Überfall auf die Ukraine konfrontiert sind, hat zu einem grundsätzlichen Umdenken geführt.“ In kurzer Zeit hätten Verhandlungen mit einigen Ländern des Balkans begonnen. „Aus meiner Sicht gibt es keinen Zweifel daran, dass wir die Staaten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft langfristig an Europa binden müssen. Eine größere Union hätte mehr geopolitisches Gewicht und Einfluss auf der internationalen Bühne.“ Gerade der Ukrainekrieg habe den Wert der europäischen Friedensordnung deutlich gemacht.
Gefahr: Nach der Aufnahme Abkehr von den EU-Werten
Was sind die Gefahren einer erneuten EU-Erweiterung? Dass neue Mitgliedsländer sich nach ihrer Aufnahme wieder von den Werten der EU entfernen. So sei es auch bei Ungarn geschehen, sagte Prof. Dr. Gerhard Sabathil von der Ukrainischen Freien Universität München, eine staatlich genehmigte Privatuniversität. Ungarn wird schon seit vielen Jahren dafür kritisiert, sich immer mehr von der Rechtsstaatlichkeit abzuwenden. So etwas destabilisiere die EU. Deshalb sei es wichtig, dass die Beitrittskandidaten ihre inneren Angelegenheiten regelten, sagte Sabathil. Regierungskriminalität zum Beispiel und Korruption gebe es noch immer in einigen Ländern, die der EU beitreten wollten.
Sich nicht erpressen lassen
Nicht erpressen lassen: Auch die EU selbst müsse sich reformieren und auf eine erneute Erweiterung vorbereiten, sagte Johann Hubmann von der Pro-Europäischen Organisation Junge Europäische Föderalisten. Dazu gehöre es, das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen. Also die aktuelle Vorgabe, dass Entscheidungen etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU einstimmig gefasst werden müssen. Das mache die EU erpressbar: So könnte zum Beispiel ein Mitgliedsland eine Forderung stellen, um einer bestimmten Entscheidung zuzustimmen.
Bald ist die EU-Wahl: Und Prof. Dr. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet vom Institut für Politikwissenschaft und Soziologie, Uni Würzburg, ruft dazu auf, am 9. Juni, wählen zu gehen. „Je höher die Wahlbeteiligung, desto geringer fallen die Stimmen“ für rechtspopulistische und antidemokratische Parteien ins Gewicht.
Das Manifest: Die Tagung endete damit, dass das Europamanifest von Ottobeuren unterzeichnet wurde – von Bischof Bertram Meier, dem Ottobeurer Abt Johannes Schaber und Markus Ferber. Darin sprechen sich Kirche und Hanns-Seidel-Stiftung in zehn Punkten unter anderem für einen friedlichen, sozialen und auf christlichen Werten gründenden Kontinent aus. Es soll demnächst auf der Homepage der Hanns-Seidel-Stiftung veröffentlicht werden.