Wie wirkungsvoll sind solche Klima-Proteste?

Evangelische Kirche diskutiert mit "Letzter Generation" über Proteste und Wirkung

Dr. Wolfgang Thumser (links), Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Waltenhofen, hatte Andreas Hochenauer von der Letzten Generation zur Diskussion eingeladen.

Dr. Wolfgang Thumser (links), Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Waltenhofen, hatte Andreas Hochenauer von der Letzten Generation zur Diskussion eingeladen.

Bild: Ralf Lienert, Klaus Kiesel

Dr. Wolfgang Thumser (links), Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Waltenhofen, hatte Andreas Hochenauer von der Letzten Generation zur Diskussion eingeladen.

Bild: Ralf Lienert, Klaus Kiesel

So etwas gab es in Kempten noch nicht: Die evangelische Kirche lädt die selbsternannte "Letzte Generation" zur Diskussion ein. Warum protestieren Aktivisten so?
21.05.2023 | Stand: 17:48 Uhr

Miteinander statt übereinander reden – das will Dr. Wolfgang Thumser. Darum hatte der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Waltenhofen in Kooperation mit anderen Pfarrgemeinden die selbsternannte "Letzte Generation" zu einer Diskussion in Kempten eingeladen – erstmals in dieser Form in Stadt und Land.

Aktivist Andreas Hochenauer stellt sich dabei den Fragen der knapp 50 Gläubigen im Gemeindehaus der St.-Mang-Kirche. Und erklärt, warum die Bewegung zu Protesten greift, die von vielen heftig kritisiert werden. An diesem Freitagabend erntet Hochenauer allerdings viel Verständnis von seinen Zuhörern.

Warum demonstriert die "Letzte Generation" in dieser Form?

„Haben Sie mitbekommen, dass Aktivisten kürzlich Ölpipelines abgedreht haben?“, fragt der 31-Jährige. Medien berichteten kaum darüber oder über Blockaden vor Behörden. Solche Proteste störten Menschen nämlich nicht in ihrem Alltag. Auch wenn die "Letzte Generation" wisse, dass Straßenblockaden nicht zum Klimaschutz beitragen: Sie schafften dennoch Öffentlichkeitswirksamkeit und befeuerten die Debatte. „Es funktioniert erst, wenn es stört.“

Verärgert die "Letzte Generation" durch die Proteste nicht die Masse?

„Aber dadurch bringt die "Letzte Generation" doch die Masse gegen sich auf. Was hat ein mit Tomatensuppe bekleckertes Kunstwerk mit der Rettung unseres Klimas zu tun? Wären nicht Proteste sinnvoller, die viele Menschen befürworten?“, fragt ein Zuhörer. „Ich wüsste nicht, wer wegen unserer Aktionen seine Meinung pro Klimaschutz geändert hat“, antwortet Hochenauer. Das Ganze sei ja kein Beliebtheits-Wettbewerb. Diesen habe Fridays for Future in Angriff genommen und Massen mobilisiert.

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Aktivist: Wie wirken sich die Proteste der "Letzten Generation" aus?

Der "Letzte Generation" gehe es hingegen vielmehr darum, „die Menschen wieder aufzuwecken“, und um den Erhalt der Lebensgrundlagen – auch wenn man sich so keine Freunde mache, sagt Hochenauer. Kunstwerk-Proteste hätten Symbolkraft und „die maximale Öffentlichkeitswirksamkeit erreicht“. Hierbei müsse man sich fragen, was wichtiger sei: Kunst oder Nahrungsmittel als „unsere Lebensgrundlage“. „Um große Veränderungen anzustoßen, braucht es unorthodoxe Methoden“, meint eine Zuhörerin. Dies sei in der Geschichte häufig der Fall gewesen.

Welche Symbolkraft haben die Klima-Proteste der selbsternannte Letzten Generation?

Apropos Symbole: Diese Art der Kommunikation sei extrem stark – so würden Gefühle transportiert, ergänzt Pfarrer Thumser. Auch die Kirche nutze das Symbol der Hand. „Damit ermächtigen wir beim Segnen die Menschen.“ Das Festkleben der Hände auf der Straße ist aus seiner Sicht hingegen ein Symbol der Entmächtigung. „Warum machen Sie sich handlungsunfähig? Was ist ihre Botschaft?“

Wer sich mit der Hand bei den Protesten auf die Straße festklebt, mache sich zwar zum Spielball der verärgerten Autofahrer um sich herum, erklärt Hochenauer. Es bedeute aber auch, sich den anderen zum Opfer zu machen, „um auf etwas hinzuweisen, das wichtiger ist als wir alle“. Diese Symbolik habe ihn berührt, sagt ein Zuhörer dazu.

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Behindern die Proteste der "Letzten Generation" Krankenwagen?

Übrigens klebten sich die Aktivisten der "Letzten Generation" immer so fest, dass im Notfall eine Fahrspur schnell frei gemacht und etwa ein Krankenwagen vorbeifahren könne, betont Hochenauer. Etwa indem nur ein Aktivist seine Hand an der Straße und die anderen sich an ihm festkleben. Die Letzte Generation will durch die „mediale Aufmerksamkeit“ den Druck auf die Politik erhöhen, um unter anderem diesen Forderungen mehr Gehör zu verschaffen:

Was sagt die "Letzte Generation" zum Thema Gesellschaftsrat?

Die Suchanfragen bei Google nach dem Stichwort "Gesellschaftsrat" seien jüngst „durch die Decke gegangen“, sagt der gebürtige Wiggensbacher. Die "Letzte Generation" will, dass nicht mehr nur der Bundestag Klimapolitik macht, sondern auch das ausgeloste Gremium mit Bürgern. Aber ist dieser Rat nicht eine „pseudodemokratische Zwischenschaltung“?, will eine Frau wissen. Experten könnten die Entscheider doch gleich direkt beraten.

Der Gesellschaftsrat obliege aber keinem Wahlzyklus wie bei Berufspolitikern und keinen Lobbyinteressen, antwortet Hochenauer. Und er zwinge die Regierung dazu, sich mit den Vorschlägen zu befassen.

Welches Tempolimit fordert die "Letzte Generation"?

Die Letzte Generation fordert Tempo 100 auf deutschen Autobahnen. Schnelles Fahren sei aber ein Freiheitsrecht mit hohem Stellenwert in Deutschland, bemerkt ein Zuhörer. Ein anderer kontert: „Unbeschränktes Rasen ist kein Freiheitsrecht, sondern egoistische Unvernunft.“ Hochenauer unterstreicht: „Mit Freiheit geht immer Verantwortung einher.“ Eine Frau schlägt vor, ähnlich wie in den Niederlanden ein Tempolimit zu erklagen. Schließlich halte die Bundesregierung die selbst gesteckten Klimaziele noch immer nicht ein.

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