„Geburtshilfe ist der schönste Bereich der Frauenklinik“, sagt Professor Ricardo Felberbaum, Chefarzt der Frauenklinik Kempten. Allerdings kritisiert er: „Wir sind unterfinanziert“.
Die Geburtenzahlen stiegen in den letzten Jahren im Allgäu sowohl in den großen Geburtsstationen in Kempten, Memmingen und Kaufbeuren, als auch in den kleineren Abteilungen. Die Asklepios Klinik in Lindau sticht besonders hervor: Im Jahr 2018 wurden dort 388 Kinder geboren, 2021 waren es 472.
Laut der Klinik liegt das an dem „super Team, das für eine individuelle Betreuung mit viel Geborgenheit sorgt“. Dazu gehören ein Infoabend, an dem werdende Eltern die Geburtsstation kennenlernen können oder das „Storchentaxi“, das die Eltern direkt in die Klinik fährt, wenn die Entbindung ansteht. Doch obwohl die Klinik in Lindau solche Zusatzleistungen anbietet, kann sie für eine reguläre Geburt laut Angaben des bayrischen Gesundheitsministeriums nur etwa 1.900 Euro abrechnen – genau wie andere Krankenhäuser.
Kleine Geburtsstationen sind wirtschaftlich nicht rentabel
Die Geburtsstation der Asklepios-Klinik in Lindau wird vom Freistaat Bayern und vom Landkreis Lindau finanziell unterstützt. Auch die Stationen in Füssen und Immenstadt bekommen Geld vom Bayerischen Gesundheitsministerium, bestätigen die jeweiligen Klinikverbünde. Ob eine Station wirtschaftlich betrieben werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab, geben die Kliniken Ostallgäu-Kaufbeuren an. Die Asklepios Klinik Lindau sagt, eine Geburtsstation rentiere sich finanziell erst bei mehr als 1200 Geburten im Jahr. Ohne die Hilfe des Freistaats müssten daher viele kleine Gebutsstationen schließen.
Kinderarzt empfielt kleine Geburtsstationen für Geburten mit geringem Risiko
Dr. Hendrik Jünger, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Kempten, findet, kleine Geburtsstationen wie jene in Immenstadt oder Mindelheim seien nur eine Option für unproblematische Geburten, bei denen ein geringes Risiko für Komplikationen besteht. Die Atmosphäre sei ruhiger und familiärer, aber es sei eben kein Kinderarzt verfügbar für den Fall von nicht vorhersehbaren Problemen. Bei komplizierten Geburten braucht man jedoch Fachwissen aus verschiedenen Bereichen. Kinderärzte wie Dr. Jünger sind aber nur auf großen Stationen 24 Stunden vor Ort.
„Dass rund um die Uhr ein Kinderarzt direkt verfügbar ist, ist auf jeden Fall ein Vorteil von großen Geburtsstationen, wie in Kempten“, sagt der Mediziner. Bei kleineren Stationen ist das anders. Die Kinder müssen von dort verlegt werden, wenn nach der Geburt Schwierigkeiten auftreten. „Wenn es ein Problem gibt, fährt unser Neugeborenennotarzt hin und holt das Kind ab“, sagt Dr. Jünger. Das passiert etwa 25 bis 30 mal pro Jahr.
Chefarzt: „Ich bin ein Befürworter kleinerer Abteilungen“
Wenn die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass es zu Komplikationen kommen könnte, schicken die Ärzte Schwangere für die Entbindung direkt in eine größere Klinik.
„In einem Flächenland wie Bayern sollte trotzdem eine flächendeckende Geburtshilfe existieren“, sagt Dr. Felberbaum. Viele Frauen wünschten sich eine wohnortnahe Geburt in entspannter Atmosphäre. Für den Fall einer unproblematischen Schwangerschaft und eines reifen Kinds wären kleinere Abteilungen genau das Richtige. „Ich bin ein Befürworter kleinerer Abteilungen“, sagt der Arzt. Je nach Risikoeinschätzungen empfehle er eine große oder kleine Abteilung, aber prinzipiell herrsche in Deutschland freie Arztwahl.
Probleme im System und Fehler der Politik
Dass die meisten Geburtsstationen finanziell nicht rentabel sind, sei ein systematisches Problem, sagt Felberbaum. Der Leitende Oberarzt der Geburtshilfe in Kempten, Dr. Puhl, sieht die Politik in der Verantwortung: „Man hat höchste Ansprüche aber finanziert sie nicht“, kritisiert er. Er fordert eine bessere Entlohnung, denn: „Uns geht der Nachwuchs aus“. Der Beruf sei oft stressig, aber Dr. Puhl stimmt seinem Kollegen zu: „Geburtshilfe ist eine tolle Sache“.