Freiwilliges Engagement

Ehrenamt in Memmingen und dem Unterallgäu: "Vereine werden nicht weniger, aber es wandelt sich"

Egal, ob sie sich in der Nachbarschaftshilfe engagieren, ob in Rettungsorganisationen oder als Lesepaten: Ehrenamtliche sind in jedem Bereich eine tragende Säule der Gesellschaft.

Egal, ob sie sich in der Nachbarschaftshilfe engagieren, ob in Rettungsorganisationen oder als Lesepaten: Ehrenamtliche sind in jedem Bereich eine tragende Säule der Gesellschaft.

Bild: Maja Hitij/dpa, Mathias Wild, Alexander Kaya (Montage)

Egal, ob sie sich in der Nachbarschaftshilfe engagieren, ob in Rettungsorganisationen oder als Lesepaten: Ehrenamtliche sind in jedem Bereich eine tragende Säule der Gesellschaft.

Bild: Maja Hitij/dpa, Mathias Wild, Alexander Kaya (Montage)

Wie sind Menschen fürs Ehrenamt zu gewinnen? Tipps dazu, wie Engagement trotz Bürokratie, großer Verantwortung und geringen Zeitbudgets attraktiv bleiben kann.
24.05.2023 | Stand: 18:00 Uhr

Die Besetzung von Vorstandsämtern gerät zur Hängepartie, Vereine kämpfen mit Nachwuchssorgen oder lösen sich auf: Unbestritten ist das Ehrenamt eine Säule der Gesellschaft, unverkennbar zeigt sich aber auch, dass sich Bedürfnisse und Ansprüche der Freiwilligen verändert haben. Darüber sprechen wir mit Isabel Mang, Leiterin der Freiwilligenagentur Schaffenslust, und Julia Veitenhansl, Kreisjugendpflegerin am Landratsamt.

  • Herausforderungen: Mit der Bürokratie haben Vereine massiv zu kämpfen, wenn sie etwa eine Veranstaltung organisieren wollen .„Wir sehen inzwischen einen großen Beratungsbedarf“, sagt Veitenhansl und berichtet von Verunsicherung, gerade bei rechtlichen Themen. Veitenhansl nennt auch Auflagen und Haftungsfragen, die sich zum Beispiel auftun, wenn eine Fahrt mit Übernachtung für den Nachwuchs ansteht: „Schon bei der Anmeldung muss alles Mögliche abgeklärt werden“ – von Allergien über eventuell nötige Medikamenteneinnahme bis zur Frage, ob das Kind schwimmen kann. Insgesamt sei das Spektrum dessen, was Vereinsvorstände wissen und beachten müssen, beträchtlich: für sie ein möglicher Grund dafür, dass viele diese Verantwortung scheuen. Dazu komme – auch infolge der Corona-Jahre – der Nachwuchsmangel.

Leiterin von Schaffenslust: Ehrenamt soll kein "Fass ohne Boden" sein

  • Klare Abgrenzung: Isabel Mang weist auf eine weitere Veränderung hin: „Die Menschen wollen sich nicht mehr auf ein unüberschaubares Aufgabengebiet einlassen, das gewissermaßen ein Fass ohne Boden ist.“ Gerade wer ein enges Zeitbudget mitbringt, brauche eine zeitlich und inhaltlich klar abgegrenzte Tätigkeit. Mang macht dies anhand der Flüchtlingshilfe klar. Um Überforderung zu vermeiden, sei es entscheidend, dass Freiwillige statt einer Rundum-Betreuung eine definierte Tätigkeit wie Deutsch-Nachhilfe mit festgestecktem Zeitrahmen, etwa von zwei Stunden pro Woche, leisten.
  • Moderne Strukturen: Freiwilligenagentur und Landratsamt wollen den Vereinen mit Beratung und Fortbildungsangeboten zur Seite stehen. „Sie können sich bei uns jederzeit vielfältige Ideen und Anregungen abholen“, sagt Mang. Vereine und Organisationen können den Frauen zufolge an einigen Stellschrauben drehen. Ein Ansatz heißt für Mang „Jobsharing“. Indem beispielsweise der Posten des oder der Vorsitzenden doppelt besetzt wird, verteilt sich die Verantwortung auf mehrere Schultern. Anderes Beispiel: „Wenn sich mehrere Freiwillige eine Lesepatenschaft teilen, können sie abwechselnd übernehmen und müssen nicht jede Woche im Einsatz sein.“ Auch könnten im Verein bestimmte Personen mit speziellen Aufgaben betraut werden. Veitenhansl kennt verschiedene Umsetzungsvarianten, etwa Teamvorstände oder Projektgruppen für Ausflüge oder Feste. „Inzwischen sieht man mehr Vereine, die mit denen aus Nachbargemeinden fusionieren“, fügt sie hinzu.
  • Anerkennung: Dick unterstrichen ist bei beiden Frauen das Thema Wertschätzung. Veitenhansl hebt die Bemühungen von Gemeinden und Landkreis hervor und ebenso Initiativen wie die Vergabe der Ehrenamtskarte. Für Mang steht die Anerkennung im täglichen Tun im Vordergrund. „Sie muss von denen kommen, in deren Organisation sie geleistet wird“, verdeutlicht die Leiterin von Schaffenslust. Zwar sei dies nicht neu, doch es werde immer wichtiger, um Ehrenamtliche zu halten. Während Ältere laut Mang tendenziell konstant bei einem Ehrenamt bleiben, „hören Jüngere auch mal auf oder möchten noch etwas anderes ausprobieren“. Dabei spielten auch Faktoren wie Jobwechsel, Studium oder die Geburt eines Kindes mit. Wie sich der Dank ausdrückt – durch Geburtstagsgrüße, Fortbildungen oder Feste – bleibe jeder Organisation überlassen. Unabdingbar ist es für Mang, selbst in schwierigen Zeiten wie der Pandemie Kontakt zu Freiwilligen zu halten: „Tue ich das nicht, sind sie weg. Wenn ich Ehrenamtliche haben will, muss mir das die Mühe wert sein.“

Digitale Angebote können Ergänzung und Unterstützung sein, aber kein Ersatz

  • Digitalisierung: Themen, die zu Engagement motivieren, waren und sind Mang zufolge solche wie Kinderbetreuung, Nachhilfe, der Verkauf in sozialen Läden oder Begleitung für Senioren – inzwischen auch verstärkt Flüchtlingshilfe und freiwilliges nachbarschaftliches Engagement. Kernpunkt ist der soziale Auftrag. Hier gibt es laut Veitenhansl Neugründungen, während klassische Vereine teils um Nachwuchs ringen: „Die Vereine werden nicht weniger, aber es wandelt sich.“ Für die beiden Frauen zeigt auch dies: Ehrenamt lebt von persönlicher Begegnung. So können digitale Angebote und Formate aus Sicht von Mang und Veitenhansl zwar sinnvolle Ergänzungen bieten oder helfen, Menschen fürs Ehrenamt zu gewinnen, indem sie etwa Distanzen überwinden. Doch Mang ist überzeugt: „Ein Großteil des Ehrenamts kann nicht digitalisiert werden.“

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