Seit 2011 feiert die Stadt im Bodensee mit sommerlichen Kunstausstellungen Erfolge: Pro Jahr etwa 50 000 Gäste begegneten im Stadtmuseum Cavazzen den Vertretern der klassischen Moderne. Weil dem imposanten historischen Gebäude jetzt eine mehrjährige Sanierung bevorsteht, machte sich das Kulturamt auf die Suche nach einem Alternativstandort auf der Insel – und wurde fündig bei der Deutschen Post AG. Für fünf Jahre mietete die Stadt die nicht mehr genutzten Räume an und nahm 350 000 Euro in die Hand, um sie zum „Kunstmuseum am Inselbahnhof“ umzubauen.
Die Investition hat sich gelohnt: Mit der hohen Decke und einem großzügigen Grundriss, der den Einbau einer Ausstellungsarchitektur ermöglicht, eignet sich die Halle deutlich besser zur Kunstpräsentation als das hübsche Cavazzen-Gewölbe. 63 Exponate finden hier Platz; 35 sind Originale, darunter 23 Gemälde, Originalgrafiken, Architekturzeichnungen und ein von afghanischen Frauen gewebter Wandteppich. Beim Gezeigten handelt es sich zum Großteil um Leihgaben der Hundertwasser Gemeinnützigen Stiftung Wien, die der Künstler als Alleinerbin eingesetzt hat.
Die Stadt Lindau hat sich neueste LED-Lichttechnik geleistet, die Hundertwassers Farben frappierend zum Strahlen bringt. Der Betrachter der Grafiken glaubt im ersten Moment, vor Leuchtkästen zu stehen – allein der Schatten, den die von Hunderwasser selbst gewählten Rahmen auf die Blätter wirft, belegt, dass das Licht von oben kommt. Der – nur wenig störende – Schattenwurf ist übrigens der geringen Höhe geschuldet, in der die Exponate hängen. Dies hat der Künstler zu Lebzeiten vorgegeben.
Die in drei Kapiteln aufgebaute Lindauer Schau vermittelt einerseits die bekannte und berückende Ästhetik Hundertwassers, die mit ihrer Farbigkeit, den dynamischen Linien und organischen Formen eine ganz eigene Poesie entfaltet und – kunstgeschichtlich gesehen – die Abstraktion wieder in die Gegenständlichkeit kippen lässt. Sie erzählt darüber hinaus viel über den Einzelgänger und Utopisten Friedensreich Hundertwasser, der 1928 als Friedrich Stowasser in Wien geboren wurde und sich nach seinem Tod im Jahr 2000 in seiner letzten Heimat Neuseeland begraben ließ. Und zwar so, wie es seinem Denken und Fühlen entsprach: Mitten in der Natur wurde sein Leichnam nackt in die Erde gelegt, darüber ein Baum gepflanzt, der seither aus dem Vergehenden Nahrung zieht und wächst.
In seinem innigen Verhältnis zur Natur, seiner kompromisslosen Forderung, ihr alles zurückzugeben, was der Mensch ihr nimmt, wäre Hundertwasser heute hochaktuell. Nachhaltigkeit galt ihm beim Bauen und Malen als Prämisse – wenn er etwa Bäume aus Häusern wachsen ließ, Dächer mit Humus deckte oder beim Malen statt neuem Papier Abfallmaterial nutzte und zuletzt nichts von dem übrig ließ, was er zuvor an Farbpigmenten und Wasser bereit gestellt hatte.
Vielleicht erzeugt in manchem Werk das über dem fertigen Bild ausgegossene Malwasser die scheinbaren Vibrationen, die Hundertwassers Welten zum Schwingen bringen.