Bunt und farbenfroh: So kennen wir den Herbst aus Kindheitstagen. Doch aktuell ist die Leichtigkeit wie verflogen. Mit Sorge blicken viele Menschen auch im Allgäu in die Zukunft. Die täglichen Schreckensmeldungen aus dem Ukraine-Krieg werfen beängstigende Fragen auf: Wie soll das alles enden? Dazu kommt die wirtschaftliche Unsicherheit: Wie schaffe ich es, angesichts von steigenden Preisen in vielen Bereichen durch den Winter zu kommen? Ist mein Arbeitsplatz gefährdet?
Manchen droht die Decke auf den Kopf zu fallen. Doch Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Wir haben Seelsorger und andere Experten nach Strategien befragt, wie wir in schwierigen Zeiten nicht verzagen und unsere Lebensfreude beibehalten oder zurückgewinnen können.
Inneres Gleichgewicht finden, statt Ängste zu verdrängen
Claudia Schieder (50), evangelische Dekanin in Memmingen: „Viele Menschen kommen derzeit zu mir, um sich von der Seele zu reden, was sie bedrückt“, sagt die Pfarrerin. Offene Gespräche seien gerade jetzt wichtig. „Jeder will zwar stark sein, zum Beispiel für seine Kinder. Aber im Inneren sieht es angesichts von Ukraine-Krieg und allen Krisen oft anders aus. Das sollten wir nicht wegschieben.“ Auch das Gebet helfe: „Hier kann ich Zweifel und Ängste Gott vor die Füße legen, mich anvertrauen und gestehen, dass ich im Herzen gerade ein Hasenfuß bin.“ Rückhalt findet Schieder in Bibel-Versen wie diesem aus dem Matthäus-Evangelium: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Für sie bedeuten diese Jesus-Worte: „Du darfst auch mal einen Durchhänger haben, komm mit Deinen Sorgen zu mir und wir werden eine Perspektive finden.“ Statt Ängste zu verdrängen, gehe es darum, das innere Gleichgewicht zu finden und wieder zur Tat überzugehen.
„Gönnen Sie Ihrem Gehirn Pausen“
Niels Pruin (50), Suchttherapeut und Vorstandsmitglied im Verein „Aktiv gegen Mediensucht“ in Kellmünz: „Gerade jetzt ist es wichtig, den Medienkonsum zu hinterfragen. Wer im Netz schlechte Nachrichten anklickt, den beliefern Algorithmen mit immer mehr davon. Doch je mehr ich mich mit negativen Nachrichten beschäftige, desto größer ist die Gefahr von depressiven Phasen“, sagt Pruin. Sein Tipp: „Gönnen Sie Ihrem Gehirn Pausen.“ Dazu gehöre, am Handy nur zu bestimmten Zeiten, etwa zwei Mal am Tag, Nachrichten zu lesen. „Ich empfehle für diese begrenzten Zeiten, verschiedene Quellen zu nutzen und Fakten zu checken, um nicht in einer Blase zu verharren.“ Mindestens eine halbe Stunde vor dem Einschlafen sollten keine Nachrichten mehr konsumiert werden. „Schlaf ist das wichtigste Mittel zur Regeneration von Körper und Psyche.“ Besser sei es, den Tag mit erbaulichen Gedanken zu beenden, etwa an eine geplante Wanderung oder andere Aktivitäten.
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„Es gibt in den allermeisten Fällen weiter schöne Dinge, die Mut machen“
Mirko Zwack (41), Wirtschaftswissenschaftler und psychologischer Psychotherapeut aus Kempten: „Die Krise ist der Moment, in dem die Lösungen der Vergangenheit nicht mehr für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu tragen scheinen.“ Das könne auch ängstigen. Angst sei zunächst ein natürlicher Motor für die notwendigen Anpassungsleistungen. „Wie komme ich weiter über die Runden?“ sei gegenwärtig für viele eine reale Frage. Aber es könne auch ein Zuviel von Angst geben. „Das passiert im Moment vor allem, wenn ich die medial berichtete Krise mit meiner eigenen verwechsele. “ Sein Tipp: Weniger in Handy, sondern mehr nach draußen schauen, denn „es gibt in den allermeisten Fällen weiter schöne Dinge, die Mut machen.“ Angst habe oft auch etwas egoistisches: „Ich nehme meine vermeidliche Bedrohung als zentral wahr und übersehe die Bedrohungen oder das Leid von anderen.“ Anstatt der Angst zu folgen, sei es dann besser, sich für Solidarität im Rahmen meiner Möglichkeiten zu entscheiden. Dann falle es in dunklen Stunden auch leichter an das Miteinander zu glauben. Und das lindere die Angst.
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Familien sollten sich jetzt mehr Zeit füreinander nehmen, um sich gegenseitig zu stärken
Dr. Volkmar Reschke (59), Leiter der Psychosomatischen Abteilung für Kinder und Jugendliche der Kinderklinik Kaufbeuren: „Familien sollten sich jetzt mehr Zeit füreinander nehmen und viel miteinander reden, um sich gegenseitig zu stärken“, sagt Reschke. Auch Sport oder die Teilnahme an Theatergruppen sowie Musikvereinen könne helfen. „Kinder und Jugendliche brauchen regelmäßigen persönlichen Kontakt und Austausch zu Gleichaltrigen.“ Doch was tun, wenn es familiäre Probleme gibt, zum Beispiel weil das Geld knapp wird? „Kinder spüren Veränderungen, auch wenn sie nicht direkt angesprochen werden“, sagt der Arzt und Psychotherapeut. Es sei wichtig, sie einzubeziehen. „Sie dürfen aber nicht mit Erwachsenen gleichgesetzt werden.“ Sinnvoll sei es, zu erklären, woher das Geld kommt, wofür es ausgegeben wird und wie es um die aktuellen Ressourcen steht. „Kinder sollten wissen, was Dinge kosten, und dass beispielsweise ein Handy wesentlich teurer ist als der gesamte Wocheneinkauf.“
Religion kann Trost und Hoffnung spenden
Bernhard Hesse (58), katholischer Dekan in Kempten: „Mein Ansatz, um zuversichtlich zu bleiben, ist ganz simpel: Gott ist allmächtig, er liebt uns, er hat die Welt erschaffen und er hat einen guten Plan für sie“, sagt Hesse. Gott sei immer stärker als das Böse. „Er kann die Dinge ändern, die wir als Menschen nicht ändern können.“ Beten sei deswegen eine gute Möglichkeit, sich gegen das Schlechte zu stellen. „Wer sich Gott öffnet, merkt, dass er nicht allein ist und Hilfe findet.“ Die Gewissheit, dass sie von Gott geliebt werden, könne vor allem auch Alleinstehenden in schweren Phasen Zuversicht schenken. Auch gebe es mehrere Bibelverse, die Trost und Hoffnung spenden können, wie dieser aus dem Johannesevangelium: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“ Das, sagt Bernhard Hesse, zeige einmal mehr, dass es Gott gut mit uns meine und es einen positiven Plan gebe.
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