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Theater in Kempten: Ein Spiel mit der Angst

Theater-Experiment

Theater in Kempten: Ein Spiel mit der Angst

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    Ungewöhnliches Theaterstück für maximal zwei Zuschauer: Lisa Wildmann erzählt von den Ängsten einer Frau – im Büro des Kemptener Theaters.
    Ungewöhnliches Theaterstück für maximal zwei Zuschauer: Lisa Wildmann erzählt von den Ängsten einer Frau – im Büro des Kemptener Theaters. Foto: Matthias Becker

    Ein Theaterstück, bei dem das Publikum nur aus mir und meinem Mann besteht? Meine erste körperliche Reaktion darauf: Anspannung. Dass ich Angst fühle, wäre zu viel gesagt. Aber schon Tage vorher werde ich nervös, wenn ich an den Abend denke. Schauspielerin und Regisseurin Lisa Wildmann hat dafür Stefan Zweigs Novelle „Angst“ adaptiert – und bietet eine Form des Theaters, die so in Kempten noch nie zu sehen war. Sich vorzustellen, was passieren wird, fällt schwer. Die Ungewissheit verursacht ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Ich gehöre zu den Menschen, die sich im Theater ungern in die erste Reihe setzen. Was soll ich tun, wenn mich ein Schauspieler oder eine Schauspielerin direkt ansieht?

    Die Nervosität ist groß, ebenso die freudige Erwartung

    Auf dem Weg ins Büro des Kemptener Theaters – der Ort, den Wildmann als Bühne gewählt hat – ist die Nervosität groß, ebenso die freudige Erwartung. Mein Mann aber ist entspannt. Nur fragt er sich, was ihm wohl während der nächsten 70 Minuten geboten wird. Es ist ein Experiment, das neugierig macht. Ein Heraustreten aus der eigenen Komfortzone.

    Bei der Ankunft herrscht eine gelöste Atmosphäre. Denn das Theater-Büro ist eben ein Büro, ein Alltagsort, kein Theatersaal. Ein bunter Stapel Dokumentensammler auf einem Tisch, Computerbildschirme, eine Kaffeeküche. Und mittendrin ein schwarzer Tisch mit einigen Holzstühlen darum herum. Zwei davon sind für das Publikum gedacht. Unter einem Tischbein blitzt ein roter Klebestreifen hervor – Bühnenmarkierung.

    Lisa Wildmann ist Ehemann, Ehefrau, Geliebter, Betrogene und Erzählerin

    Zweig erzählt in seiner Novelle von Irene Wagner, die mit einem der „bekanntesten Verteidiger der Stadt“ verheiratet ist. Zu Beginn tritt sie aus der Wohnung ihres Geliebten hinaus – direkt in die Arme von dessen Freundin, die sie fortan erpresst. Irene packt die Angst. Ob ihr Mann Fritz nun misstrauisch fragt, wo sie so lange war, ob sie ihren Geliebten in einer Konditorei abservieren möchte und dann doch wieder ihrer eigenen Eitelkeit erliegt, oder ob ihr „die Person“ auflauert, um Geld von ihr zu erpressen: Wildmann ist Ehemann, Ehefrau, Geliebter, Betrogene und Erzählerin zugleich und überzeugt in jeder Facette ihrer Darstellung.

    In dem Stück "Angst" nach der gleichnamigen Novelle von Stefan Zweig spielt Lisa Wildmann eine Frau mit Schuldgefühlen. Die Produktion des Theaters in Kempten findet im Theaterbüro statt - vor nur einer Zuschauerin oder einem Zuschauer oder einem Paar.
    In dem Stück "Angst" nach der gleichnamigen Novelle von Stefan Zweig spielt Lisa Wildmann eine Frau mit Schuldgefühlen. Die Produktion des Theaters in Kempten findet im Theaterbüro statt - vor nur einer Zuschauerin oder einem Zuschauer oder einem Paar. Foto: Thomas Kölsch

    Ihre Handtasche lässt sie dabei nur selten los. Fast so, als klammere sich die Ehefrau über das kleine Statussymbol an ihre „behagliche, breitbürgerliche, windstille Existenz“, die ganz und gar von ihrem Mann abhängt. Und die Requisite birgt ein Geheimnis, das der aufmerksame Zuschauer schnell entdecken wird.

    Die Emotionen, die Wildmann zeigt – Angst, Schuld, Erschrockenheit, Verzweiflung – wirken unmittelbar

    Da ist es fast schön – und nur ein bisschen unangenehm – dass mich Lisa Wildmann während ihres Spiels oft ansieht. Ist Ehemann Fritz der Angesprochene, richtet sie ihren Blick auf meinen Mann. Ihm fällt es nicht schwer, ihrem Blick standzuhalten. Er sei ihr gern gefolgt, sagt er. Mir geht es ähnlich. Die Emotionen, die Wildmann zeigt – Angst, Schuld, Erschrockenheit, Verzweiflung – wirken unmittelbar. Steckt sie gerade in der Rolle der Erzählerin, möchte man gerne ein „Ah“ oder ein „Was, wirklich?!“ erwidern. Aber dann ist es eben doch ein Theaterstück, bei dem die Zuschauerin still ist und – schaut.

    „Angst“ ist ein wunderbares Theater-Erlebnis

    „Angst“ ist ein ganz wunderbares Theater-Erlebnis, das es wert ist, jede Art von Bedenken im Vorfeld abzuschütteln. Vermutlich intensiviert sogar ein wenig Angst vor der Intimität der Vorstellung die Auseinandersetzung mit der Angst in Stefan Zweigs Text. Der ist ein poetisches Kleinod. Die „Wohltemperiertheit des Glücks“ treibt Irene Wagner in ein Abenteuer. Und Geliebte bleibt sie eigentlich nur wegen der „Trägheit des Widerstandes“. Wer die Novelle kennt, darf den Sprachgenuss auskosten. Wer nicht, ist beim ersten Hören vielleicht ein wenig überfordert, kann sich aber auf ein überraschendes Ende freuen.

    Karten-Infos: Die Tickets für „Angst“ werden versteigert. Bieten können Einzelpersonen oder Paare bis zum Vortag der Vorstellung, 18 Uhr, per E-Mail an theater@theaterinkempten.de. Der Erlös kommt dem Frauenhaus Kempten zugute. Termine: 27. Januar sowie 13. und 20. Februar jeweils um 18 und um 20 Uhr.

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