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125 Jahre Handwerkskammer Schwaben: „Die Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss sind ein Skandal“

Interview

Handwerkskammer-Präsident: „Wir brauchen Macher in der Politik, keine Zauderer!“

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    Hans Peter Rauch (Präsident, links) und Ulrich Wagner (Hauptgeschäftsführer) leiten die Handwerkskammer für Schwaben, die 2025 das 125-jährige Bestehen feiert.
    Hans Peter Rauch (Präsident, links) und Ulrich Wagner (Hauptgeschäftsführer) leiten die Handwerkskammer für Schwaben, die 2025 das 125-jährige Bestehen feiert. Foto: Michael Kerler

    Herr Rauch, Herr Wagner, der neue Bundeskanzler Friedrich Merz brauchte zwei Wahlgänge, um ins Amt zu kommen. Ist das schlechtes politisches Handwerk oder doch alles halb so schlimm?

    Hans Peter Rauch: Die Hängepartie nach dem ersten Wahlgang von Bundeskanzler Friedrich Merz war ein schlechtes Signal für die Wirtschaft und für die gesamte Bevölkerung in Deutschland. Im Handwerk wollen wir, dass die Regierung zügig vorangeht und wir bald verlässliche Rahmenbedingungen haben. Was stattdessen passiert ist, belastet den Glauben in die Politik noch mehr. Unsere Politikerinnen und Politiker müssen doch verstehen, dass sie gewählte Volksvertreter sind und den Bürgern dienen sollen.

    Das hört sich an, als wüssten Sie noch nicht genau, woran Sie mit der neuen Regierung sind?

    Ulrich Wagner: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD muss schnell konkretisiert werden. Das Papier verliert sich in allgemeinen Aussagen. Noch steht nichts darin, was schnell weiterhilft. Die Regierung muss beispielsweise schnell das Thema der brachliegenden Bauwirtschaft und der hohen Energiepreise angehen. Mit der neuen Koalition hatte die Hoffnung auf eine Besserung um sich gegriffen, jetzt darf man sich nicht schon in Hickhack verlieren.

    Die Industrie soll einen günstigen Industriestrompreis bekommen, fällt das Handwerk da hinten herunter?

    Wagner: Es darf nicht sein, dass nur der Chemiekonzern entlastet wird, der Bäcker aber nicht. Alle Betriebe müssen von einem günstigen Strompreis profitieren, wenn ihre Produktion energieintensiv ist. Wenn die Bäckerei einen ähnlichen Anteil Energiekosten an den Produktionskosten wie der Chemiekonzern hat, muss auch der Bäcker entlastet werden. Ich hoffe, dass das in der Politik angekommen ist!  

    Besonderen Streit in der Ampelregierung hatte das Heizungsgesetz von Robert Habeck hervorgerufen. Erwarten Sie sich hier eine Besserung?

    Rauch: Im Koalitionsvertrag ist angekündigt, das Heizungsgesetz abzuschaffen. Das Problem ist, dass wir im Handwerk bis heute nicht wissen, was stattdessen kommt. Das erzeugt neue Unsicherheit. Wir warten gespannt, die Zeit aber läuft davon. In den letzten drei Jahren war das Misstrauen in die Ampelregierung stetig gewachsen. Zumindest die SPD – die ja dabei war – müsste eigentlich jetzt wissen, wie man es nicht macht. 

    Zumindest zum Bürokratieabbau scheint die neue Regierung entschlossen zu sein. Erhoffen Sie sich hier einen Schub?

    Rauch: Die Bürokratie in Deutschland ist ein derart weites Feld, dass die Regierung selbst noch nicht definiert hat, wo sie anfängt. Die bisherigen Ergebnisse machen nicht immer Mut, das zeigt ein Blick nach Bayern. Ich frage Unternehmer und Bauherren immer wieder, was vom neuen bayerischen Baubeschleunigungsprogramm ankommt. Ich höre dann, da sei gar nichts angekommen. Es hilft nichts, nur ein Gesetz zu beschließen, es muss in den Ämtern und Dienststellen auch ankommen. Die Koalition im Bund hat verstanden, dass die Wirtschaft der Dreh- und Angelpunkt ist, das muss jetzt mit Leben erfüllt werden. Wir brauchen Macher und Entscheider, keine Zauderer! Wir brauchen Akteure, die anpacken.

    Wo wollen Sie im Handwerk mehr Tempo?

    Wagner: Nehmen wir das Thema der Sozialversicherungsbeiträge. Erstmals ist die Grenze von 40 Prozent Sozialversicherungsbeiträgen durchbrochen worden. Die Beiträge für Krankenkassen und die Pflege gehen durch die Decke, das Sozialsystem ist viel zu teuer und die Arbeitnehmer fragen sich, wie sie das alles noch bezahlen sollen. Problem und mögliche Lösungen sind seit Jahren auf dem Tisch. Was aber macht man in Berlin? Man gründet eine Kommission und verschiebt das Thema in die Zukunft. 

    Die Handwerkskammer für Schwaben feiert 2025 das 125-jährige Bestehen, im Bild Hauptgeschäftsführer Ulrich Wagner (links) und Präsident Hans Peter Rauch.
    Die Handwerkskammer für Schwaben feiert 2025 das 125-jährige Bestehen, im Bild Hauptgeschäftsführer Ulrich Wagner (links) und Präsident Hans Peter Rauch. Foto: Michael Kerler

    Die neue Koalition, vor allem die SPD, würde gerne einen Mindestlohn von 15 Euro sehen. Wie stehen Sie dazu?

    Wagner: In der Politik sind manche Themen nicht zu Ende gedacht, dazu gehört das Thema Mindestlohn. Die Einführung des Mindestlohns und die Erhöhungen haben dazu geführt, dass auch die Preise zum Beispiel für Dienstleistungen gestiegen sind. Am Ende verdienen die Menschen mehr, das sei jedem gegönnt, aber auch die Preise steigen, sodass nicht viel gewonnen ist.

    Besteht auch die Gefahr, dass junge Leute angesichts von 15 Euro Mindestlohn nach Schule lieber gleich einen ungelernten Job annehmen statt eine Ausbildung für weniger Gehalt zu machen?

    Rauch: Diese Gefahr besteht sicherlich. Für manche junge Menschen ist das ein Anreiz in die falsche Richtung. Eine gute berufliche Qualifikation ist auf lange Sicht immer der richtige Weg, um erfolgreich zu sein. Schließlich verdienen ausgebildete Fachkräfte nach ihrer Ausbildung deutlich mehr als Mindestlohn und haben darüber hinaus hervorragende Karrierechancen. Dies deutlich zu machen, ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir brauchen auch in Zukunft bestens ausgebildete Menschen, um unseren Wohlstand aufrechterhalten zu können.

    Ein Blick nach Bayern: Wie zufrieden sind Sie mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger?

    Wagner: Wir erleben ihn als sehr pragmatisch und nah bei den Leuten. Manche Wirtschaftsbereiche liegen ihm sicher näher als andere. Verständnis seinerseits für unsere Probleme ist da, bei der Umsetzung hapert es manchmal.

    Rauch: Manchmal könnte er sich mehr auf die Arbeit als Wirtschaftsminister konzentrieren, damit auch Verbesserungen bei uns ankommen.

    Im Handwerk in Schwaben sind 80 Prozent der Betriebe mit der Geschäftslage zufrieden. Das hat Ihre letzte Konjunkturumfrage ergeben. Ist die Situation besser als der Ruf?

    Wagner: Das Handwerk ist noch immer so gut aufgestellt, dass wir sofort Gas geben können, wenn es wirtschaftlich aufwärtsgeht. Nach zwei Jahren Stagnation ist unsere Kreativität aber bald aufgebraucht! Längst steht im Land ein großes Fragezeichen dahinter, dass der Wohlstand im Land stetig wächst. Wir haben bald nichts mehr zusätzlich zu verteilen. Daran hängt aber der gesellschaftliche Friede, die Gewissheit, dass der Staat für seine Bürger sorgen kann.

    Rauch: Ich bin überzeugt, dass es dem Handwerk weiter gut gehen wird! Handwerker arbeiten in Bereichen, die unverzichtbar sind. Wer eine neue Heizung braucht, weil die alte kaputtgeht, zahlt dafür jeden Preis, wenn es im Haus kalt wird. Es gibt immer Nachfrage für das Handwerk. Im Bau, Ausbau und in der Klimatechnik werden Handwerker dringend gebraucht. Wer da am Markt ist, hat super Marktchancen.

    Immerhin 80 Prozent der Betriebe im schwäbischen Handwerk waren zuletzt mit ihrer Geschäftslage zufrieden. „Nach zwei Jahren Stagnation ist unsere Kreativität aber bald aufgebraucht!“, warnt aber Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben.  
    Immerhin 80 Prozent der Betriebe im schwäbischen Handwerk waren zuletzt mit ihrer Geschäftslage zufrieden. „Nach zwei Jahren Stagnation ist unsere Kreativität aber bald aufgebraucht!“, warnt aber Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben.   Foto: Christoph Soeder, dpa

    Die Handwerkskammer für Schwaben ist in dieser Woche vor 125 Jahren gegründet worden. Warum war dies damals nötig?

    Wagner: Im Kaiserreich hat in den 1870er und 1880er Jahren die Industrialisierung Tempo aufgenommen, die Regierung hat die Gewerbefreiheit eingeführt. Die Folge war die Verarmung des Industrieproletariats und die Ausdünnung des handwerklichen Mittelstands, worunter die Qualität der Dienstleistungen litt. Die Gründung der Sozialversicherung und die Gründung der Handwerkskammern mit ihrer Selbstverwaltung waren die Antwort des Reichskanzlers Otto von Bismarck darauf. Ein solider Mittelstand mit einer hohen Qualität in Produktion und Ausbildung sollte dem Debakel entgegensteuern. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die US-Amerikaner nochmals versucht, das Gewerbe komplett freizugeben. Jeder sollte vom Tellerwäscher zum Millionär werden können. Das Ergebnis war, dass die Qualität der Ausbildung und damit handwerklicher Dienstleistungen stark litt, bald wurden die Kammern wieder eingeführt.

    Im Dritten Reich sind die Kammern gleichgeschaltet worden. Wie politisch wollen Sie heute sein.

    Wagner: Wir sind hochpolitisch. Die Interessen unserer 30.000 Mitgliedsunternehmen zu bündeln und zu artikulieren, ist unser Auftrag.

    Was macht den Erfolg aus, dass eine Organisation 125 Jahre lang bestehen kann?

    Rauch: Die Selbstverwaltung des Handwerks ist ein hohes Gut. Die Handwerkskammern garantieren zum Beispiel die Qualität der Ausbildung. In Schwaben arbeiten heute rund 2000 ehrenamtliche Prüfer. Ich spüre bei den Handwerkern einen großen Stolz, dass man seine eigenen Nachwuchskräfte ausbildet und prüft. Gäbe es die Kammern nicht, müsste der Staat in diese Rolle schlüpfen. Das wollen wir nicht.

    Trotzdem wird Pflichtmitgliedschaft in der Kammer auch kritisch gesehen, oder?

    Wagner: Ich erlebe bei meiner Arbeit in der Kammer viel Wertschätzung. Es sind nur wenige, die mit der Pflichtmitgliedschaft hadern. Der Durchschnittsbeitrag der Kammermitgliedschaft liegt bei etwas über 600 Euro im Jahr. Dafür ist für jeden eine Dienstleistung dabei, unter anderem unsere Rechtsberatung oder die Energieberatung. In Krisenzeiten zeigt sich die Leistung besonders deutlich: In der Corona-Krise sind sehr viele Betriebe zu uns gekommen. Die politisch Verantwortlichen haben uns vermittelt, dass die Kammern die Krise hervorragend gemeistert haben.

    Stichwort Qualität – noch immer soll es vorkommen, dass am Bau nicht jede Arbeit gut läuft…

    Rauch: Als in den 90er-Jahren die Grenzen nach Osten aufgegangen sind und Europa mit dem Schengenraum zusammenwuchs, drängten neue Wettbewerber ins Handwerk. Wir hatten damals alle Hände voll zu tun, dass die Qualität stimmt. Die Abschaffung der Meisterpflicht hatte das Problem verschärft, wir kennen die Beschwerden über schief verlegte Fliesen, über Schlüsseldienste oder Haustürgeschäfte zur Dachsanierung. Auch wenn sich nicht jeder Fehler verhindern lässt, müssen wir unsere Betriebe auch vor schwarzen Schafen schützen, die nicht so gut Arbeit machen.

    Die Meisterpflicht ist für einige Berufe zurückgekehrt. Hat das geholfen?

    Rauch: Die Meisterpflicht muss noch für einige Berufe mehr zurückgeholt werden. Ich denke da an Gewerke wie Gebäudereiniger, Goldschmiede und Bestatter. Die „Entmeisterung“ hat auch dazu geführt, dass manche Berufe vom Aussterben bedroht sind, weil Wissen verloren geht und nicht mehr ausgebildet wird. Hat man einen Meister gemacht, steigt auch das Interesse, einen Betrieb zu übernehmen oder zu gründen. Wir brauchen mehr Unternehmergeist und Aufbruch.

    Stattdessen schließen auf dem Land immer mehr Bäckereien, auch andere Betriebe finden keinen Nachfolger…

    Rauch: In rund 6000 der 30.000 schwäbischen Handwerksbetriebe ist der Inhaber inzwischen über 60. Es ist gut, dass sich das Thema der Betriebsübergabe im Koalitionsvertrag findet. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass junge Leute in den Betrieben Verantwortung übernehmen, gehen hunderte Betriebe und tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze verloren. Die bisherige staatliche Start-up-Förderung geht aber am Handwerk komplett vorbei! Wenn aber ein Handwerker bis 28 Jahre neu anfängt, ist das auch ein Start-up. Dass er keine Hilfe bekommt, ist unbegreiflich.

    Wie sähe eine gute Hilfe für handwerkliche Start-ups und Betriebsübernahmen aus?

    Wagner: Junge Meister haben meist Familie und Kinder, da ist es ein Risiko, in die Selbstständigkeit zu gehen. Man braucht ein halbes Jahr, bis man Kontakte geknüpft hat und der Laden läuft. Es hilft, wenn man in dieser Phase den jungen Menschen die Existenzängste nehmen kann. Unser Vorschlag ist, den Existenzgründern im Handwerk drei Monate lang eine Prämie zu zahlen. Wenn man dadurch auch nur 2000 Betriebe bei uns rettet, ist viel erreicht. Es passt nicht, dass man für eine Chipfabrik zehn Milliarden Euro hat, für das Handwerk aber nichts. 

    Wo sehen Sie noch große Herausforderungen für das Handwerk?

    Wagner: Es ist ein Skandal, dass in unserem Land noch immer drei Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss besitzen. Das werden wir uns als rohstoffarmes Land auf Dauer nicht leisten können! Diese Menschen müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Im Handwerk haben wir gute, breit ausgebildete Mitarbeiter, durch die überbetriebliche Ausbildung bekommt man den Beruf in seiner ganzen Breite vermittelt. Das ist ein hohes Gut!

    Das Handwerk kämpft gegen den Fachkräftemangel an.
    Das Handwerk kämpft gegen den Fachkräftemangel an. Foto: Matthias Becker

    Die Ausbildungszahlen legen wieder zu, oder?

    Wagner: Nach einer Corona-Delle gibt es bei den Ausbildungszahlen eine leichte Aufwärtsbewegung. Das Handwerk ist bereits vor 15 Jahren mit viel Werbung in den Wettbewerb um Nachwuchs eingestiegen. Das trägt Früchte. Durch den demografischen Wandel ist Nachwuchs trotzdem knapp. Gegen den Fachkräftemangel muss das Handwerk auch auf Automatisierung, die Qualifikation von Menschen ohne Abschluss im Land und auf Zuwanderung setzen.

    Rauch: Ich kenne einen Bäcker, der fünf junge Menschen aus Vietnam eingestellt hat. Er ist hellauf begeistert!

    Wie lange, denken Sie, werden diese jungen Menschen aus Vietnam bleiben?

    Wagner: Diese jungen Leute kommen motiviert und gut vorbereitet, beispielsweise mit guten Deutschkenntnissen. Wir erwarten, dass sie lange bei uns bleiben und Wurzeln schlagen. 

    Es muss ja nicht gleich für die nächsten 125 Jahre sein, aber wo sehen Sie noch Ihre Zukunftsthemen?

    Wagner: Automatisierung und Künstliche Intelligenz werden auch im Handwerk große Themen der nächsten Jahre. Viele der in den Handwerksbetrieben eingesetzten Verfahren, Dienstleistungen und Maschinen nutzen diese Techniken bereits. Auch in den Ausbildungswerkstätten tauschen wir unsere Maschinen viel schneller aus, um auf der Höhe der Zeit zu sein. Alle fünf Jahre kommt inzwischen eine neue Maschinengeneration auf den Markt. Die jungen Menschen im Handwerk erkennen längst den Mehrwert der Digitalisierung. Wir müssen mit den Trends gehen.

    Zur Person: Hans Peter Rauch, 63, ist Präsident, Ulrich Wagner, 63, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben.

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