Wer hier an der Saalachbrücke zwischen Freilassing und Salzburg einen Schlagbaum erwartet hat, wird enttäuscht. Die neue Grenzstation zwischen Deutschland und Österreich besteht aus grauen Metallcontainern und einer Reihe von Polizeibussen. Unter der Brücke plätschert die Saalach, die beide Länder voneinander trennt, geruhsam vor sich hin, auf der Brücke sind von vier Fahrspuren der Bundesstraße 304 nur zwei geblieben. In der Mitte haben sich zehn Bundespolizisten postiert, die aus Österreich kommende Fahrzeuge anhalten – rund um die Uhr, seit der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordnet hat, dass die Grenzkontrollen verschärft und Asylsuchende zurückgewiesen werden.
Als die Polizeikelle nach oben geht, setzt die junge Frau im dunklen Ford Kuga den Blinker. Neben dem Polizeibus hält sie an, reicht den Beamten Führerschein und Ausweis. Auch die ältere Frau auf dem Beifahrersitz, die ein schwarzes Kopftuch trägt, kramt in ihrer Handtasche. Der Junge auf der Rücksitzbank strampelt mit den Beinen. Die Beamten prüfen die Dokumente. Die Fahrerin blickt unruhig hin und her. Dann ein kurzes Nicken vonseiten der Polizisten, die Papiere gehen zurück ins Fahrzeug. „Schönen Tag noch.“

Lastwagen und Busse, Kleinwagen und Transporter rollen vorbei. Alle paar Minuten kommt die Polizeikelle zum Einsatz, weil ein Fahrzeug kontrolliert wird. Einmal ist es ein weißer Kastenwagen mit Salzburger Kennzeichen, dann ein schwarzes Großraumtaxi mit einem Aufkleber in arabischer Schrift. Ein grauer Hyundai, in dem zwei Männer mit dunklen Haaren und Bart sitzen. Nach welchem Muster Fahrzeuge und ihre Insassen kontrolliert werden, dazu schweigen sich die Beamten aus. „Wir haben kein Muster“, sagt Jan-Uwe Polte, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Freilassing. Und dass es keineswegs darum gehe, den Verkehr aus Österreich zu behindern. „An Stau haben wir kein Interesse.“
Ob es schon Zurückweisungen gab? „Mindestens eine“, sagt der Sprecher
Der Container, der für Gespräche und Kontrollen mit verdächtigen Personen vorgesehen ist, bleibt an diesem wolkenverhangenen Donnerstagnachmittag leer. Alle Personen, die von den Bundespolizisten auf der Saalachbrücke kontrolliert werden, dürfen weiterfahren. Niemand, der versuchte, illegal nach Deutschland einzureisen, auch kein Migrant, der in Deutschland Asyl beantragen wollte. Ob es in der vergangenen Woche, seit Dobrindts Erlass, überhaupt schon eine Zurückweisung gegeben hat, auch dazu schweigt Pressesprecher Polte. Er sagt nur so viel: „Es hat an der gesamten bayerisch-österreichischen Grenze eine Zurückweisung gegeben. Mindestens eine.“
Die Zahlen bleiben erstmal Alexander Dobrindt vorbehalten. Eine Autostunde weiter westlich, in Kiefersfelden, wo die Inntalautobahn in die A93 übergeht, will der CSU-Bundesinnenminister bekräftigen, wie gut die neuen Grenzkontrollen laufen. Dobrindt sagt: „Wir sperren Deutschland nicht ab und wir schließen auch nicht die Grenzen.“ Stattdessen gebe es verstärkte Kontrollen, die Wirkung zeigten. In den vergangenen sieben Tagen habe die Bundespolizei 739 Menschen an den Grenzen zurückgewiesen – 45 Prozent mehr als in der Woche davor. Unter den Zurückgewiesenen waren demnach auch Asylsuchende: Von 51 Menschen, die ein Asylgesuch äußerten, seien 32 zurückgewiesen worden. Die anderen seien als vulnerable Personen – dazu zählen etwa Kinder oder Schwangere – ins Land gelassen worden.

Dobrindt ist der Minister in der neuen Bundesregierung, der wohl am schnellsten und weitreichendsten gehandelt hat. Einen Tag nach der Übernahme des Postens verfügt der CSU-Mann die Zurückweisung von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen. „Es geht in dieser Frage um Klarheit, Konsequenz und Kontrolle“, erklärt er da. Der Wandel kommt einen Tag später, als es sein Chef Friedrich Merz (CDU) im Wahlkampf versprochen hatte. Dennoch ist die Entscheidung für politische Verhältnisse Turbo-Tempo.
Die hohe Geschwindigkeit hat einen Preis. Eine Abstimmung mit den Nachbarn Österreich, Schweiz und Polen ist nicht erfolgt. Die drei Länder wollen sich nicht um Flüchtlinge kümmern, deren Ziel Deutschland lautet. In Polen etwa hat sich der Grenzschutz am Montag geweigert, zwei in Deutschland abgewiesene Asylbewerber zurückzunehmen. Dort wird am Sonntag ein neuer Präsident gewählt. Die nationalkonservative PIS-Partei macht im Wahlkampf Stimmung gegen Deutschland. In Kiefersfelden sagt Dobrindt: „Wir sind in Gespräch mit unseren europäischen Partnern und Nachbarn.“ Und: „Wir wollen nicht, dass Schleuser und Schlepper und kriminelle Banden darüber entscheiden, wer in unser Land kommt.“ Damit haben Dobrindt und Merz ihr zentrales Wahlversprechen gehalten, auch wenn die Zugeständnisse an die SPD und die schwindelerregende Schuldenpolitik Vertrauen gekostet haben und in Umfragen die AfD mit der Union gleichauf zieht.
Dass Schwarz und Rot in einer Koalition zusammengefunden haben, liegt auch an Dobrindt. Als die Verhandlungen mit der SPD vor dem Platzen stehen, fängt der 54-Jährige die Sozialdemokraten wieder ein. Auf einem Zettel macht er SPD-Chef Lars Klingbeil ein Angebot, das diesen zurückholt an den Tisch. Zwei Tage später ist der Koalitionsvertrag fertig und damit auch der Weg frei für Dobrindt, der zwischen 2013 und 2017 Verkehrsminister in Berlin war. Schon Ende letzten Jahres hatte CSU-Chef Markus Söder für seinen Statthalter in der Hauptstadt ein großes Ministerium gefordert. Die beiden hatten nicht immer ein gutes Verhältnis, aber seit Jahren ist es eine funktionierende Beziehung. Anders als viele in der Partei hat Dobrindt keine Angst vor Söder.
An diesem Donnerstag treten Söder und Dobrindt gemeinsam am Grenzübergang in Kiefersfelden auf. Der Ministerpräsident wirkt zufrieden, als er sagt: „Wir machen jetzt ernst mit der Bekämpfung der illegalen Migration. Es gilt endlich wieder Law and Order an der Grenze.“ Tatsächlich wird an den Autobahnübergängen von Österreich her schon seit Herbst 2015 wieder kontrolliert, etwa auf der A93 bei Kufstein oder auf der A8 nahe Freilassing. Dass jetzt aber rund um die Uhr und auch an kleineren Übergängen gecheckt wird, dass Asylsuchende an den Grenzen zurückgewiesen werden, das ist neu.
Die Polizei befürchtet: „Wir halten das nicht monatelang durch.“
In Freilassing rollen Polizeibusse auf die Saalachbrücke. Die Bundespolizisten, die seit heute Morgen hier die Einreise kontrollieren, können Mittagspause machen. Seit dieser Woche werden sie von Kollegen aus München, Rosenheim und Schwandorf unterstützt. Manche von ihnen haben erst tags zuvor Bescheid bekommen, dass sie ab sofort hier eingesetzt werden. Überstunden und dienstfrei wurde gestrichen, erzählt ein Beamter. Wie lange diese Arbeitsbelastung zu stemmen ist? Andreas Roßkopf, Gewerkschaftschef der Bundespolizei, hatte zuletzt im Interview mit unserer Redaktion betont: „Wir halten das nicht monatelang durch.“ Dobrindt spricht am Donnerstag von 3.000 zusätzlichen Polizeikräften, man habe die Zahl von 11.000 auf 14.000 erhöht.
Allein im Bereich der Bundespolizeiinspektion Freilassing gibt es 225 Kilometer Grenze mit 24 Grenzübergängen. An drei davon kontrolliere man nun dauerhaft, sagt Sprecher Polte, an den anderen habe man die Kontrollen „erheblich intensiviert“. Zum Teil wurden Container aufgebaut, um die richtige Infrastruktur vor Ort zu haben, andernorts werde punktuell kontrolliert. Dobrindt spricht von „smarten Grenzkontrollen“ – auf der Straße, aber auch mithilfe von Drohnen, Wärmebildkameras und Hubschraubern. „Es steht auch nicht an jeder Grenze einer, aber es könnte an jeder Grenze einer stehen.“
Und jenseits der Grenze? In Österreich, da, wo die in Deutschland abgewiesenen Asylwerber nun wieder landen sollen, gibt man sich ob der Pläne der Merz-Regierung gelassen. Von einigen Schlagzeilen in der Boulevardpresse abgesehen, beschäftigt das Thema vor allem Pendler und Urlaubsreisende, die nun noch mehr Fährnisse beim Grenzübertritt nach Deutschland befürchten. So wie Christian Huber, der auf der anderen Seite der Saalachbrücke in sein Auto steigt. Huber lebt in Salzburg, arbeitet aber in Freilassing. Wenn es geht, legt er seine Termine nun so, dass er so wenig wie möglich nach Deutschland muss – und erst recht nicht am Nachmittag, wo sich die Autos weit zurückstauen.

Auf politischer Ebene ist man in Österreich bemüht, einen drohenden Grenzstreit herunterzuspielen. Dobrindts Pendant, ÖVP-Innenminister Gerhard Karner, setzt auf die Zusage der neuen deutschen Regierung, sich bei den angekündigten Rückweisungen an geltendes EU-Recht zu halten. Alles andere werde man nicht akzeptieren. „Pushbacks im Sinne von gewaltsamen, rechtswidrigen Zurückweisungen an der Grenze“ erwarte er aber ohnehin nicht, sagte Karner am Wochenende der Tageszeitung Die Presse. Deutschland werde alles rechtskonform behandeln, daher: Kein Grund zur Aufregung. Man sei sogar „froh darüber“, dass Deutschland jetzt einen „robusteren Kurs“ einschlage, an dem er und seine ÖVP-Parteifreunde schon lange arbeiteten. Heißt im Klartext: Österreichs konservative Kanzlerpartei inszeniert sich als Erfinder der harten Gangart, die nun auch die neue deutsche Regierung übernehme.
Die Diskussion für sich zu nutzen, versucht vor allem die extrem rechte FPÖ: Sie warnt in alarmistischen Aussendungen von „tausenden bis zigtausenden“ Zurückweisungen – ein Szenario, das einer objektiven Überprüfung nicht standhält. Die Asylanträge in Österreich sind seit Jahresbeginn auf einem historischen Tiefstand, 8.436 Personen in staatlichen Asyleinrichtungen verzeichnet etwa der Verein Asylkoordination für das vergangene Wochenende. „Die Zahlen zeigen klar, dass die deutschen Grenzmaßnahmen momentan keinen wahrnehmbaren Effekt auf die Anzahl der Asylanträge in Österreich haben“, sagt Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Gertz. Dobrindt simuliere, alles unter Kontrolle zu kriegen. „Das Einzige, was in diesem Bild stört, ist, dass die Kontrollen offensichtlich wenig Auswirkungen haben.“
Manche kommen gar nicht mehr, andere bleiben lieber im Auto sitzen.“
Melanie Gsenger, Trafikangestellte
Auf der österreichischen Seite der Saalachbrücke sitzt Melanie Gsenger hinter der Theke des Tabaktrafiks, im Aschenbecher qualmt eine Zigarette vor sich hin. Seit vergangener Woche, sagt sie, sei weniger los. Wegen der Grenzkontrollen kämen manche gar nicht mehr, andere blieben lieber im Auto sitzen – aus Sorge, im nachmittäglichen Stau gar nicht mehr voranzukommen. „Was soll denn das auch bringen?“ Schließlich werde an den Grenzübergängen ein paar Kilometer weiter ja nicht dauerhaft oder gar nicht kontrolliert. Da, sagt sie, könnten Flüchtlinge genauso unbemerkt einreisen.
Ein paar hundert Meter weiter haben die Bundespolizisten gerade einen weißen Kastenwagen angehalten. Führerschein, Ausweisdokumente – bitte. Der Fahrer, ein Mann syrischer Abstammung, wird ermahnt, weil er zusätzlich zum Aufenthaltstitel seinen Reisepass mitführen müsste, den aber nicht dabei hat. Der Beifahrer, ein Italiener, öffnet den Kofferraum. Darin: Kabeltrommel, Mörtelrührer, Baumaterial. Die Männer dürfen weiterfahren.
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