Emotionen und Empörung hat dieses Jahr die Debatte hervorgerufen, ob die Grünen nun das Einfamilienhaus verbieten wollen oder nicht. Zum einen hatten die Grünen dies so klipp und klar gar nicht gefordert, zum anderen, und das ist der interessantere Aspekt, geht die Debatte mancherorts längst an der Realität vorbei. In Hamburg, München aber auch in vielen Landkreisen in Südbayern muss man den Neubau von Einfamilienhäusern nicht verbieten. Er ist dort einfach nicht bezahlbar.
Die seit Jahren galoppierenden Preissteigerungen haben in der Corona-Krise nicht halt gemacht. Die Preisentwicklung bedroht inzwischen ein zentrales Identitätsmerkmal der Mittelschicht. Wer fleißig ist, wer einen Bausparvertrag abschließt, so lautete die Vorstellung, kann sich aus eigener Kraft den Traum von den eigenen vier Wänden verwirklichen. Diese Erzählung geht heute nicht mehr für jeden auf.
Lohnentwicklung hält mit Preissteigerung bei Immobilien nicht mit
Der Großvater hatte noch im Handwerk gearbeitet und konnte in der Nachkriegszeit sein eigenes Siedlungshäuschen errichten. Der Vater ging in die Industrie und kaufte ein Reihenhaus in der Stadt. So oder so ähnlich lief die Geschichte in tausenden Familien.
Heutige Generationen stoßen mit diesem Modell an Grenzen. Sie mögen zwar mit Fernreisen (selige Zeiten vor Corona), Smartphones und eigenen Autos einen früher undenkbaren Komfort genießen. Die großen Investitionen wie ein Eigenheim geraten aber außer Reichweite, wenn ein Haus in Augsburg oder im Lindauer Raum 600.000 bis 800.000 Euro oder mehr kostet, wie die LBS ermittelt hat. In den vergangenen zehn Jahren sind die Preise für Bestandsimmobilien über 120 Prozent gestiegen, die Lohnentwicklung kann da kaum mithalten.
Preisexplosion: Mittelstand kann sich Eigenheim nicht leisten
Aufgrund der Niedrigzinsphase drängten auch Anleger auf den Immobilienmarkt. Streiten lässt sich darüber, ob ein Teil der Preisentwicklung nicht auf Spekulation zurückgeht oder sich eine Blase bildet. Die Folge der Preisexplosion ist jedenfalls, dass der Immobilien-Traum für viele ausgeträumt sein kann, falls sie nicht erben oder ein Grundstück aus dem Besitz der Eltern übernehmen können.
Bausparkassen argumentieren zwar, dass Immobilien angesichts der Niedrigzinsen so günstig zu finanzieren seien wie kaum zuvor. Bei einem Zins von fünf Prozent konnte man früher mit einer monatlichen Rate von 1000 Euro einen Betrag von 170.000 Euro stemmen, um in 25 Jahren schuldenfrei zu sein. Heute könnte man bei einem Prozent Zins fast 270.000 Euro an Darlehen aufnehmen, rechnet die LBS eindrucksvoll vor.
Selbst dann laufen aber Kaufpreise von 600.000 Euro der Finanzkraft vieler Paare davon. Der Niedrigzins macht es schwer, Eigenkapital aufzubauen. Die Effekte sind klar zu sehen: Junge Familien drängen hinaus auf das Land, Städter kehren der Landeshauptstadt München den Rücken und suchen im Umland nach einer Heimat. Die Nachfrage bleibt trotzdem größer als das Angebot, die Preise steigen auch dort.
Neue Förderprogramme für den Immobilienerwerb werden nötig
Zwei Wege könnten Erleichterung schaffen. Zum einen staatliche Hilfe, wenn es immer schwerer fällt, Eigenkapital aufzubauen. Das erfolgreiche Baukindergeld des Bundes und die bayerische Eigenheimzulage laufen als Programme aus. Hier wird die Regierung nach der Wahl Ersatz finden müssen.
Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Mittelschicht ihren Traum vom Eigenheim nicht neu fassen muss. In Städten gehören 600-Quadratmeter-Grundstücke für neue Häuser längst der Vergangenheit an, Bauland ist knapp. Die Alternative ist das Wohnen in familienfreundlichen, bezahlbaren Quartieren, an denen es ebenfalls fehlt. Den Platz eines Einfamilienhauses wird es dort aber nicht mehr geben.