Am Anfang seines völlig unerwarteten Erfolgs hatte Joe Diebolder genau einen Fan. Das war sein Vater Hans. Der 65-Jährige Zahnarzt hatte eine ganz konkrete technische Frage zur Fliegerei: Er wollte wissen, wie ein so genanntes Pitotrohr funktioniert, das u.a. in Flugzeugen und Hubschraubern zur Geschwindigkeitsmessung eingesetzt wird. Joe erklärte es so anschaulich wie möglich: In dem er vor einem Start auf dem Flughafen München live aus einem Air-Berlin-Flugzeug berichtete.
Er filmte mit dem Handy, kommentierte die Szenen - und blieb dabei durch den Live-Chat Facetime mit seinem Vater zuhause im Allgäu in Verbindung. Die kleine Lehrstunde blieb nicht folgenlos. Joes Vater war beeindruckt und brachte seinen Sohn auf eine heiße Spur: "Du musst noch mehr solcher Videos machen. Das ist doch genau Dein Ding!"
Joe, der ohnehin auf der Suche nach einem neuen Hobby war, dachte sich: "Warum eigentlich nicht....?" Auch sein Arbeitgeber Air Berlin war offen für die Idee des innovativen Co-Piloten, der seit 2010 europaweit Ziele für die Fluggesellschaft ansteuert. Joe begann auf Instagram Fotos von den Cockpits der jeweiligen Flugzeuge zu veröffentlichen, mit denen er unterwegs war.

Schnell hatte er einige Tausend Follower und wagte das zweite Experiment: In Eigenproduktion nahm er in seiner Küche in München seine ersten Videos auf. Sein Ziel: Menschen die Faszination Fliegen näher zu bringen. Anfangs noch auf Deutsch, später auf Englisch, was seine Fan-Gemeinde prompt sprunghaft vergrößerte.
Die meisten Aufrufe hat Joe mittlerweile in den USA, England, Indien und Deutschland - und zwar in dieser Reihenfolge! "Ich hätte nie gedacht, dass das Ganze solche Wellen schlägt. Das ist schon sensationell", verrät er freudestrahlend beim allgaeu.life-Interview.
Sein meistgeklicktes Video verdeutlicht sein Erfolgsrezept. Joe erklärt gut gelaunt einen komplexen Vorgang der Fliegerei in einfachen Worten: Die so genannte Schubumkehr ist ein Verfahren zum Abbremsen eines Fahrzeugs oder eben Flugzeugs durch Umlenken des Schubes entgegen der Bewegungsrichtung. Über 715.000 Aufrufe hat das Video, das Joe vor einem Jahr am 11. März 2016 hochlud. Eine enorme Zahl, wenn man bedenkt, dass das Thema des knapp sechsminütigen Beitrages nicht gerade sexy ist...

Joe glaubt, dass neben Flug-Fans vor allem Flugschüler seinen Kanal nutzen. Darauf deutet die hohe Zahl von heruntergeladenen Videos hin: "Die Leute schauen sich den Beitrag mehrmals an, um richtig fit im Thema zu werden", sagt Joe. Mittlerweile lädt er jeden Donnerstag um 20 Uhr ein neues Video hoch. Der Großteil seiner 135.000 Abonnenten greift sofort darauf zu. "Sie warten darauf, wie andere auf eine Fernsehsendung", erklärt Joe das Phänomen. Offenbar schätzen es die Nutzer auch, dass er seinem Leitsatz treu bleibt - und der lautet: "Alles muss korrekt sein! Das ist das Wichtigste. Gleichzeitig will ich auch, dass es jeder verstehen kann", sagt Joe, der im Schnitt zwei Tage für die Recherche und Produktion eines Videos benötigt. Ein Kollege checkt jeweils die Fakten gegen, bevor das Ganze auf Youtube landet. Seriosität setzt Joe über alles. An Spekulationen, beispielweise bei Flugunglücken, beteiligt er sich nicht. "Das ist einzig und allein Sache der Ermittler und Behörden!"

Auch in eigener Sache ist ihm eine genaue Darstellung wichtig: Auf seiner englischsprachigen Hompage weist er darauf hin, dass er sich als Co-Pilot stets mit "nur" drei goldenen Streifen an der blauen Uniform in Szene setzt. Vier Streifen weisen den Piloten aus.
Das Pseudonym "Captain Joe" wählte der Allgäuer, unter anderem weil es einfach zu merken ist. Außerdem steht "Average Joe" im Amerikanischen für den "Otto Normalverbraucher" - und genau diesem "Normalo" will Joe die Fliegerei vermitteln. Wann er selbst Pilot wird? "Ich hoffe, im nächsten Jahr", sagt er mit einem erwartungsvollen Grinsen. Die Leidenschaft für das Fliegen entdeckte er als 14-jähriger Schüler.
Ein Freund seiner Familie hob mit ihm in einem Doppeldecker am Flughafen in Durach ab. "Da war's quasi um mich geschehen", erinnert sich Joe. Mittlerweile hat er zigtausende von Kilometern in der Luft verbracht. Immer wieder reizen ihn neue Ziele. Zum Beispiel würde er gerne jene Liste abhaken, die im Internet kursiert: 25 Dinge, die Du als Pilot getan haben solltest. Die Anhänger von Captain Joe dürfen also auch weiterhin gespannt sein...