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Lehrermangel an Grund- und Mittelschulen: Allgäuer Lehrer machen ihrem Ärger Luft

Eine Stunde mehr pro Woche?

Lehrermangel an Grund- und Mittelschulen: Allgäuer Lehrer machen ihrem Ärger Luft

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    "Wir haben die am schlechtesten ausgestatteten Schulen und nehmen alle Schüler auf, die anderswo nicht mehr tragbar sind.“ Auch im Allgäu machen Lehrer der Grund- und Mittelschulen ihrem Unmut Luft.
    "Wir haben die am schlechtesten ausgestatteten Schulen und nehmen alle Schüler auf, die anderswo nicht mehr tragbar sind.“ Auch im Allgäu machen Lehrer der Grund- und Mittelschulen ihrem Unmut Luft. Foto: Armin Weigel/dpa

    Die Grund- und Mittelschullehrer haben die Nase voll. Immer wieder gehen sie auf die Straße, machen ihrem Unmut über die jüngsten Entscheidungen des bayerischen Kultusministers Michael Piazolo (Freie Wähler) Luft. Unter anderem sollen sie eine Stunde pro Woche mehr arbeiten, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken (siehe Infokasten). Dies ist für die Pädagogen nur einer der Gründe, warum sie sich zur Wehr setzen. Zu einer Veranstaltung in Füssen kamen kürzlich fast 100 Lehrer.

    Einige erzählten aus ihrem Alltag – und warum sie jetzt „Theater“ machen.

    200 Stunden sind an der Grundschule Halblech (Ostallgäu) vergangenes Schuljahr ausgefallen, dazu gab es 400 Vertretungsstunden. „Wir sind mit etwa 110 Schülern eine relativ kleine Schule, an größeren Einrichtungen sind die Zahlen noch höher“, sagt Schulleiterin Gabriele Stiller. Schon jetzt machten die Lehrer an der Schule zahlreiche Überstunden. „Jeder Betrieb würde insolvent gehen“, fasst sie die Gesamtsituation zusammen.

    Politische Vorgaben:

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    Im kommenden Schuljahr werden bis zu

    1.400 Lehrer fehlen

    .

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    Das Mindestteilzeit-Maß für Grund-, Mittel- und Förderschullehrer wird auf

    24 Stunden pro Woche

    angehoben.

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    Sie dürfen bis auf Weiteres

    keine Anträge auf einen vorzeitigen Ruhestand

    vor dem Ende ihres 65. Lebensjahres stellen.

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    Grundschullehrer in Vollzeit sollen künftig teils

    29 statt 28 Wochenstunden

    vor der Klasse stehen.

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    Sabbatjahre werden vorübergehend

    nicht mehr genehmigt

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    Ein Thema, dem viele Pädagogen nurmehr mit Galgenhumor begegnen, sind neue Unterrichtsfächer, für die die Lehrer im Schnellverfahren ausgebildet werden. An Mittelschulen müsse seit diesem Schuljahr in den Jahrgangsstufen fünf und sieben Informatik unterrichtet werden. Ein oder zwei Lehrer pro Schule bekämen einen zweitägigen „Crashkurs“ und müssten den anderen Pädagogen dann weitergeben, was den Schülern beigebracht werden soll.

    Uns geht es nicht nur um die eine Stunde mehr Arbeit pro Woche.Nicoletta Schelldorf vom BLLV

    „Ich verstehe nicht, warum man so etwas macht“, sagt Norbert Söhner, der an der Mittelschule Pfronten arbeitet. Eine Grundschullehrerin erzählt, wie sie als mobile Reserve an einer Mittelschule aushelfen und PCB (Physik, Chemie, Biologie) unterrichten sollte. Die Kompetenz dafür musste sie sich selbst aneignen: „Das hat extrem viel Zeit gefressen.“ Eine Lehrerin, die über 60 ist, fürchtet eine Belastung, der sie nicht mehr gewachsen ist.

    Keine Anerkennung

    „Uns geht es nicht nur um die eine Stunde mehr Arbeit pro Woche“, sagt Nicoletta Schelldorf, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) in Füssen. Ein Wort, das immer wieder fällt: Anerkennung. „Unser Beruf erhält im Vergleich zu anderen keine Wertschätzung, weder von der Öffentlichkeit noch durch den eigenen Arbeitgeber“, sagt Schelldorf. Und immer wieder kämen neue Aufgaben dazu.

    „Wir leisten an den Grund-, Mittel- und Förderschulen den Hauptanteil an Inklusion und Integration und das oftmals mit null Ressourcen. Wir unterrichten die höchste Stundenzahl, unser künftiges Mindestteilzeit-Maß von 24 Stunden ist schon Vollzeit am Gymnasium. Wir haben die am schlechtesten ausgestatteten Schulen und nehmen alle Schüler auf, die anderswo nicht mehr tragbar sind“, sagt die Pädagogin. Ihre Liste geht noch lange weiter.

    Wir leisten an den Grund-, Mittel- und Förderschulen den Hauptanteil an Inklusion und Integration und das oftmals mit null Ressourcen.Nicoletta Schelldorf vom BLLV

    Auch andere Lehrer äußern Kritik. „Jährlich prasseln neue abartige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Stichwort Zeugnisbemerkungen und Digitalisierung, auf uns ein“, sagt ein junger Pädagoge. „Renitente“ Eltern, „verrückte“ Verordnungen, weniger Lehrer, mehr Kinder – die Situation sei kaum mehr auszuhalten. Seinen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen. Wie ihm geht es vielen. Die Pädagogen fürchten Repressalien und dienstrechtliche Konsequenzen, wenn sie zu laut ihre Meinung sagen.

    Beim Treffen in Füssen ist auch die Ostallgäuer CSU-Landtagsabgeordnete Angelika Schorer dabei. Sie will die Sorgen und Wünsche der Lehrer weiterleiten. Sie sei nicht im Bildungsausschuss und habe nicht gewusst, „wie krass die Situation ist“, sagt die Landespolitikerin. Zudem sei es in der Politik schwer, von heute auf morgen Veränderungen herbeizuführen. Kritik muss sie sich dennoch anhören: Die CSU ist jahrelang allein in der Regierungsverantwortung gewesen, sagen die Lehrer, und hat deshalb den jetzigen massiven Lehrermangel mitzuverantworten.

    Zu den Forderungen, die immer wieder erhoben werden, gehört auch die nach gleicher Bezahlung. Noch immer hätten Realschul- und Gymnasiallehrer ein höheres Einstiegsgehalt als Grund- und Mittelschullehrer. Ein Zustand, den die Pädagogen nicht mehr hinnehmen wollen.

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