„Wir waren ausverkauft“ freute sich Dr. Klaus Klimczyk aus der wissenschaftlichen Leitung der zweitägigen Veranstaltung im Gespräch mit unserer Zeitung. Die teilnehmenden Ärzte, Psychologen und Physiotherapeuten hatten Fachvorträge und Workshops besucht.
Klimczyk, der das Schmerzzentrum an der Fachklinik Enzensberg leitet, unterstreicht, dass Angst ein normales menschliches Gefühl sei, das jeder kenne. Angst schärfe die Sinne. Sie schütze vor Gefahren. Der Facharzt fragt rein rhetorisch: „Wer würde ohne Furcht von Krankheiten noch zur Vorsorgeuntersuchung gehen – wahrscheinlich keiner.“ Andererseits könne Angst aber auch lähmen. Sie könne krank – sogar chronisch krank – machen.
Wer würde ohne Furcht von Krankheiten noch zur Vorsorgeuntersuchung gehen – wahrscheinlich keiner.Dr. Klaus Klimczyk
Mehr Gelassenheit und Lebensfreude
Für den Wissenschaftsjournalisten Sebastian Hermann – einen der Referenten – steht fest, dass die Situation paradox ist. Er sagt: „Wir waren als Gesellschaft noch nie in unserer Geschichte so gesund und fit wie heute. Da wir aber ständig mit Warnungen und Sorgen konfrontiert sind, fühlt sich das nicht so an.“ Man habe Angst, krank werden zu können – das zerstöre nicht nur die Gelassenheit und Lebensfreude. Hermann sagt: „Das lässt uns tatsächlich leiden.“ Warnungen, zum Beispiel vor dem nächsten – angeblich – ungesunden Lebensmittel, führten zur Verängstigung. Die Schlussfolgerung des Sachbuchautors lautet demzufolge etwas provokativ: „Wir versuchen alle, irgendwie ein gesundes Leben zu führen und fühlen uns dabei aber absurder Weise immer kränker.“
Journalist Hermann reagiert auf sogenannte Gesundheitssorgen mit dem Rat, sich nicht unnötig zu ängstigen. Er meint: Wer sich viele Gedanken über seine Gesundheit macht, konzentriere sich ganz automatisch auf negative Empfindungen. Wer im Internet nach Krankheitssymptomen forsche, werde seine Ängste nur noch verstärken.
Wir versuchen alle, irgendwie ein gesundes Leben zu führen und fühlen uns dabei aber absurder Weise immer kränker.Sebastian Hermann
Ängstliche Ärzte
„Wenn Angst und Schmerz zusammentreffen“, sagt Klimczyk, „kann sich eine verhängnisvolle Affäre entfalten“. Schmerz mache Angst, Angst verstärke den Schmerz. Der Facharzt spricht Klartext: Es gebe auch ängstliche Ärzte, die alles richtig machen wollten. Aber gerade dadurch, dass sie aus eigener Angst „bei ihrem Patienten nichts übersehen wollen“, werde von ihnen immer mehr Diagnostik eingesetzt. Klimczyk nennt das „Absicherungsmedizin“. Patienten mit Angst und ein unsicherer Arzt, der „immer noch mehr abklären will“, um es völlig richtig zu machen, „beeinflussen sich gegenseitig“. Dabei bestehe die Gefahr, dass die Schmerzen sich verschlimmern oder gar chronisch werden.
Eine sehr wichtige Frage sei immer, wie der Patient Aussagen des behandelnden Arztes verstehe. Entsteht dadurch noch mehr Angst und damit eine Steigerung der Verspannung, weil die innere Spannung in die Muskulatur geht? Oder gelingt es, sich von Ängsten zu befreien?
„Auch wir Ärzte müssen lernen, die eigenen Ängste einzuschätzen“, sagt Klimczyk. Daher ging es bei den Enzensberger Schmerztagen darum, „Zusammenhänge von Angst und Schmerz zu analysieren“. Die Teilnehmer suchten nach Ansätzen und Wegen, damit im Sinne von Leid geplagten Patienten verhindert wird, dass Angst und Schmerz eine Affäre mit bösem Erwachen eingehen. „Im besten Fall“, wie Klimczyk aus Erfahrung weiß, gelinge es eine Balance zu entwickeln, die Voraussetzung einer guten Lebensqualität sei.