Zehntausende Menschen sind am Wochenende in ganz Deutschland auf die Straße gegangen, um gegen die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD im Bundestag zu demonstrieren. Allein in Essen nahmen laut Polizei 14.000 Menschen an einer Demonstration teil. In Hamburg sprachen die Veranstalter von 80.000 Menschen - nach Polizeiangaben kamen dort 65.000 Menschen zusammen. Auch in vielen bayerischen Städten wie Augsburg und Würzburg gab es Proteste.
Die Parteien selbst streiten weiter über die Deutungshoheit, nachdem der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, die Abstimmung über eine Verschärfung der Migrationspolitik verloren hat. „Er hat sich verzockt, aber viel schlimmer ist, dass er gezockt hat“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem Auftritt in Regensburg.
Ole von Beust: Abstimmung muss singuläres Ereignis bleiben
Bei der Abstimmung gaben auch zwölf CDU-Abgeordnete ihre Stimme nicht ab, darunter der frühere Kanzleramtschef Helge Braun und der Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter. Öffentlich äußern wollen sie sich nicht. Auch deshalb versucht die Union, drei Wochen vor der Wahl die Reihen hinter ihrem Kandidaten zu schließen. „Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge, aber mutig ist es allemal“, sagt Ole von Beust, langjähriger Hamburger Bürgermeister, unserer Redaktion. Man müsse unterscheiden zwischen Inhalt und Strategie. Inhaltlich habe Merz richtig gehandelt. „Die Mehrheit der Bevölkerung will eine andere Migrationspolitik“, sagt von Beust. „Strategisch ist der Versuch, mit den Stimmen der AfD ein Gesetz zu beschließen, ambivalent.“ Es könne durchaus sein, dass Merz damit Wählerinnen und Wähler bis in die Mitte der Gesellschaft hinein gegen die Union mobilisiere, „die ja absolut zurecht jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen“. Auf der anderen Seite greife er ein Thema auf, das viele Menschen umtreibe. „Aber klar ist auch: Das, was diese Woche passiert ist, muss ein singuläres Ereignis bleiben“, warnt der CDU-Politiker. „Die jubelnden AfD-Abgeordneten - das war ein gruseliges Bild. Eine zweite Chance, zu jubeln, dürfen und werden die nicht kriegen.“
Ein Gradmesser für die Stimmung auch an der Basis dürfte der Parteitag der CDU sein, der an diesem Montag in Berlin beginnt. „Der Parteitag ist der Startschuss in die heiße Wahlkampfphase“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. In Deutschland gebe es aus seiner Sicht eine große Wechselstimmung. „Aus dieser Stimmung müssen jetzt Stimmen für die Union werden“, sagt er. Es gehe um die maximale Mobilisierung der Wähler. „Die Themen sind klar: Neuordnung der Migration, ein Comeback-Plan für die Wirtschaft und die Stärkung der Sicherheit“, sagt der CSU-Abgeordnete.
Dort soll in Berlin deshalb unter anderem ein Sofortprogramm verabschiedet werden. Darin enthalten sind neben wirtschaftlichen Vorhaben auch die Pläne zu „dauerhaften Grenzkontrollen, Zurückweisungen an den Grenzen und einem zeitlich unbefristeten Ausreisearrest für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder“, aber auch der erschwerte Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft.
Merz gibt Garantie für andere Asylpolitik
Merz will den Wählern eine „Garantie“ für eine Wende in der Wirtschaftspolitik und in der Asylpolitik im Falle seiner Kanzlerschaft geben. Der CDU-Politiker sagte der Bild am Sonntag: „Ich gebe den Wählerinnen und Wählern in Deutschland die Garantie, dass es in der Wirtschaftspolitik und in der Asylpolitik eine wirkliche Wende gibt. Wir brauchen in Deutschland einen Politikwechsel.“ Dazu zähle etwa eine strikte Begrenzung des weiteren Zuzugs von Asylbewerbern. Offen bleibt, ob die CDU ihre Ankündigungen nach einem Sieg bei der Bundestagswahl durchsetzen kann - und wenn ja in welchem Maße.
Wie schwierig vermeintlich schnelle Lösungen in der Flüchtlingsfrage sind, zeigt aktuell das Beispiel Italien. Schon zum dritten Mal wird Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der Justiz ausgebremst in ihrem Versuch, Mittelmeer-Flüchtlinge in Lagern außerhalb der EU unterzubringen. Erneut musste Italien 43 Männer aus Ägypten und Bangladesch zurücknehmen, die zwischenzeitlich in Albanien interniert waren. Merz nannte das Modell in einem Interview im vergangenen Jahr ein „Vorbild“.
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