Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Psychotherapie: Weite Teile Bayern gelten als „überversorgt“ - doch die Wartezeiten sind enorm

Psychotherapie

Wie viele Therapieplätze gibt es in der Region – und warum sind es nicht mehr?

    • |
    • |
    • |
    Einen Psychotherapieplatz zu bekommen, erfordert Durchhaltevermögen. Dabei gilt die Versorgung eigentlich als gut.
    Einen Psychotherapieplatz zu bekommen, erfordert Durchhaltevermögen. Dabei gilt die Versorgung eigentlich als gut. Foto: Jonas Walzberg, dpa / Montage: AZ

    Wer schon einmal versucht hat, einen Psychotherapie-Platz zu bekommen, weiß: Dafür braucht es einen langen Atem. Häufig hagelt es erst einmal Absagen aus überfüllten Praxen. Und wenn es eine Zusage für ein Erstgespräch gibt, dauert es auch bis dahin und bis zum Beginn einer Therapie noch viele Wochen bis Monate. Offensichtlich scheint die Nachfrage nach Therapien deutlich größer zu sein als das Angebot.

    Doch eigentlich ist alles wunderbar, zumindest der Statistik zufolge. In der Stadt Augsburg haben beispielsweise 209 Personen einen Kassensitz für Psychotherapien, können ihre Behandlungen also mit der Krankenkasse abrechnen. Weil viele von ihnen nur einen halben Kassensitz haben – etwa wegen Teilzeitarbeit – ergibt das 126 Kassensitze in der Stadt Augsburg. Und damit gilt die Stadt als überversorgt: 129 Prozent des Bedarfs in Augsburg seien erfüllt, heißt es im Versorgungsatlas. Und auch sonst gibt es in Bayern demnach eigentlich keine Probleme: Jede Region hat einen Versorgungsgrad von mehr als 100 Prozent. In Würzburg liegt der Wert bei fast 200 Prozent, in München sind es 220 Prozent und in den Planungsbereichen Landkreis Starnberg (288 Prozent) und Landkreis Dachau (319 Prozent) müssten den Zahlen zufolge Psychotherapiepraxen verzweifelt auf der Suche nach Patientinnen und Patienten sein.

    Die Zahl der Kassensitze für Psychotherapeuten stammt aus einer Regelung von 1999

    Jedoch ist das nicht der Fall. Und das liegt vor allem daran, wie der Bedarf ermittelt wird. Die sogenannte „Bedarfsplanung für die vertragsärztliche Versorgung“ ist maßgeblich dafür, wie viele Kassensitze es in einem Planungsbereich gibt. In größeren Städten sind es tendenziell mehr, da diese umliegende Regionen mitversorgen. Die Kassensitze sind begrenzt, um die Versorgung zu steuern. Eine bundesweite Institution, der „Gemeinsame Bundesausschuss“, gibt die Bedarfsplanungs-Richtlinien für ganz Deutschland vor, die dann in den Bundesländern von den Kassenärztlichen Vereinigungen umgesetzt werden.

    Ärztliche und psycholgische Psychotherapeuten

    Ärztliche Psychotherapeutinnen und -therapeuten sind Medizinerinnen und Mediziner mit zusätzlicher psychotherapeutischer Weiterbildung – sie dürfen auch Medikamente verschreiben.

    Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten haben Psychologie studiert und danach eine Therapeuten-Ausbildung gemacht. Sie behandeln mit psychotherapeutischen Methoden, ohne Medikamente zu verordnen.

    Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und -therapeuten kommen aus der Psychologie, Pädagogik oder Sozialpädagogik und haben eine entsprechende psychotherapeutischen Ausbildung.

    Die heutige Bedarfsplanung basiert auf dem Psychotherapeutengesetz aus dem Jahr 1999. Und darin liegt auch der Ursprung des Widerspruchs aus Überversorgung und langen Wartezeiten, wie Claudia Ritter-Rupp, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), erklärt: „Damals hat man den aktuellen Stand, wie die Psychotherapeuten in Deutschland verteilt waren, auf 100 Prozent festgelegt.“ In der Realität war die Versorgung schon zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend. „Wir sind mit einer Minus-Situation gestartet“, sagt Ritter-Rupp. Es gab seitdem zwar einige Reformen, doch bei der letzten im Jahr 2019 wurden beispielsweise nur knapp 800 zusätzliche Kassensitze geschaffen – die Psychotherapeutenvereinigung hatte einen Bedarf von 7000 zusätzlichen Sitzen ermittelt. Und im Kern bleibe das Problem, dass die unzureichende Situation von Ende der 90er-Jahre als Referenzrahmen herhält, erklärt Ritter-Rupp. „Dadurch gibt es bei der Versorgung jetzt in vielen Regionen 120 Prozent, 140 Prozent oder sogar noch viel höhere Werte.“

    Der Bedarf an Psychotherapie wächst – die Bedarfsplanung bildet das nicht ab

    Die Realität spiegelt das nicht wider, auch weil gesellschaftliche Entwicklungen in der Bedarfsplanung kaum berücksichtigt werden. „Durch die Pandemie, aber auch durch viele weitere gesellschaftliche Faktoren, wächst der Bedarf an Psychotherapie immer weiter“, erklärt Ritter-Rupp. Das zeigen auch die langen Wartezeiten, die Ritter-Rupp in den vergangenen Jahren mehrfach für die KVB analysiert hat. In Bayern dauert es demnach im Median etwa 100 Tage, bis eine Psychotherapie beginnt. Ab der ersten Sprechstunde gerechnet, weil der KVB ab diesem Zeitpunkt konkrete Abrechnungsdaten vorliegen. Vor dieser Sprechstunde können Patientinnen und Patienten schon mehrere Absagen erlebt und mehrere Wochen gewartet haben. Es ist zu sehen, dass die Wartezeiten in größeren Städten tendenziell kürzer ist – vor allem in München, aber auch rund um die Landeshauptstadt liegt sie von erster Sprechstunde bis Therapiebeginn bei 80 bis 84 Tagen. In der Stadt Augsburg dauert es wenige Tage länger, doch schon im Landkreis Augsburg sind es im Mittel mehr als 100 Tage. Noch deutlich längere Wartezeiten gibt es in Oberfranken.

    Ritter-Rupp erklärt, dass die Wartezeiten zuletzt gestiegen seien und auch die Zahl der Patientinnen und Patienten pro Therapeutin und Therapeut zugenommen habe. „Das zeigt, dass der Bedarf an Psychotherapie deutlich steigt.“ Also bräuchte es schlicht mehr Kassensitze? Das Problem sei vielschichtiger, erklärt Ritter-Rupp. „In Oberfranken gibt es zum Beispiel viele unbesetzte Hausarztsitze. Das führt dazu, dass die Patienten schneller zum Psychotherapeuten gehen.“ Auch Kinderärztinnen und -ärzte seien oft überlastet, Kinderpsychiaterinnen und -psychiater gebe es viel zu wenige. Diese Lücken würden dann Kinder- und Jugendpsychotherapeuten kompensieren. „Man muss das deshalb in der Gesamtheit ansehen“, sagt Ritter-Rupp.

    Und am Ende entscheide nicht zuletzt das Thema Geld: „Der G-BA muss immer überlegen: Wie viel Psychotherapie wollen wir uns leisten?“, so die Ärztin. „Das ist ein Aushandlungsprozess. Weil natürlich auch im Gesundheitssystems jeder Euro nur ein Mal ausgegeben werden kann.“

    Verband der Krankenkassen: Nicht die Zahl der Kassensitze ist das Problem, sondern der Zugang zur Versorgung

    Dass bereits jetzt sehr viel Geld in Psychotherapien fließt, darauf weist auch der GKV-Spitzenverband hin, der die Interessen der gesetzlichen Krankenkassen vertritt. Der Anstieg sei enorm: 2005 hätten die gesetzlichen Krankenkassen noch etwa 550 Millionen Euro für Einzeltherapie-Leistungen bezahlt. 2023 waren es fast 2,2 Milliarden Euro.

    Und die Zahl der Kassensitze sei ja erhöht worden, erklärt eine Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes, aber: „Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass allein der Ausbau der Kassensitze nicht die Versorgungssituation verbessert.“ Stattdessen müsse man anderswo ansetzen, um Wartezeiten zu verkürzen. So sei es viel zu schwierig, herauszufinden, wo Therapieplätze verfügbar seien. „Nicht die Zahl der Kassensitze ist das Problem, sondern der Zugang zur Versorgung.“ Der größere Teil der Patientinnen und Patienten suche selbst nach einem Therapieplatz. Das bedeutet: viele Anfragen per Mail oder Telefon, Absagen, die Eintragung in Wartelisten – gerade in dieser Situation eine psychische Belastung. Die Lösung sieht der GKV-Spitzenverband in den Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen: Psychotherapie-Praxen sollen demnach verpflichtet werden, mehr freie Plätze an diese Stellen zu melden, die dann zentral vergeben werden können.

    Was tut sich in der Psychotherapie? Zumindest einige Besserungen sind in Sicht

    Zumindest ein wenig verbessern könnte sich die Situation bald in einigen Landkreisen Bayerns. Denn als Ergebnis eines runden Tisches mit Bayerns Gesundheitsministerium, an dem neben der KVB auch Vertreter der Krankenkassen und die Psychotherapeutenkammer Bayern beteiligt waren, wurde im März 2025 eine Stellungsnahme erarbeitet, die Sonderzulassungen in mehreren Regionen empfiehlt, die offiziell als überversorgt gelten. Auf Grundlage der Analyse der KVB wurden die Regionen identifiziert, in denen die Wartezeiten besonders lange sind – unterteilt nach Erwachsenen sowie Kinder- und Jugendlichen.

    In 13 Planungsbereichen, darunter die Landkreise Augsburg, Neuburg-Schrobenhausen, Neu-Ulm sowie die Regionen Kempten/Oberallgäu und Kaufbeuren/Ostallgäu sollen zusätzliche Plätze für Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und -therapeuten entstehen. Für Erwachsene will man in neun Planungsregionen zusätzliche Plätze schaffen, unter anderem in der Region Memmingen/Unterallgäu.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden