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Sagen Sie mal, Herr Vorstandsvorsitzender...

Dachser-Chef im Interview

Sagen Sie mal, Herr Vorstandsvorsitzender...

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    Dachser-Chef Bernhard Simon ist überzeugt, dass Zäune Europa schwächen: "Abschottung ist der falsche Weg".
    Dachser-Chef Bernhard Simon ist überzeugt, dass Zäune Europa schwächen: "Abschottung ist der falsche Weg". Foto: Martina Diemand

    Es gibt wohl kaum ein Unternehmen im Allgäu, das so international ausgerichtet ist wie der größte Arbeitgeber der Region: Der Logistikdienstleister Dachser mit Stammsitz in Kempten. Der Vorstandsvorsitzende Bernhard Simon ist ein Mann der leisen, aber klaren Worte. Er sagt, dass die Flüchtlingswelle des vergangenen Jahres auch mit der Globalisierung zu tun hat, von der wir profitieren.

    Herr Simon, Sie sagten einmal, unser westlicher Wohlstand basiere auch auf den Produktionsbedingungen in anderen Ländern, die zum Teil weit unter unseren Standards sind. Was meinen Sie damit?

    Bernhard Simon: „Wenn Sie ins Forum Allgäu gehen, sehen Sie, wie viele Menschen Spaß am Einkaufen haben. Sie sehen auch, was Wohlstand für uns bedeutet - wir können uns Dinge leisten, die vor einigen Jahren nicht selbstverständlich waren. Viele Produkte werden in hoher Qualität hergestellt, in anderen Teilen der Welt, zu anderen Löhnen und anderen Standards. Die Welt ist klein und vernetzt geworden. Daran ist nichts falsch, aber wir tragen Verantwortung dafür, dass die Produktion allgemein anerkannten Standards entspricht.“

    Welcher Standard ist für Sie unerlässlich?

    Simon: „Es gibt einige Mindestanforderungen, aber ich will hier das Tabu für Kinderarbeit hervorheben. Kinder müssen spielen dürfen, nur dann können sie Persönlichkeit und Urteilsvermögen entwickeln, die Voraussetzungen für Lernfähigkeit und soziale Bindungen. Das gilt in allen Teilen der Welt.“

    Bernhard Simon vertritt die dritte Generation seiner Familie an der Spitze des größten Arbeitgebers im Allgäu. Ende des Jahres hört er auf.
    Bernhard Simon vertritt die dritte Generation seiner Familie an der Spitze des größten Arbeitgebers im Allgäu. Ende des Jahres hört er auf. Foto: Martina Diemand

    Müssen wir also immer hinterfragen, wie das Smartphone oder die Turnschuhe produziert wurden?

    Simon: „Nein. Es nutzt nichts, sich in eine moralisierende Ecke zu begeben. Aber es muss uns bewusst sein, was wir von der Arbeitsteilung haben. Daraus folgt, dass wir die Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens mitgestalten müssen. An diese Normen müssen sich auch Unternehmen halten, die in anderen Teilen der Welt produzieren lassen. Ich verteufele nicht den Konsum, aber dieser setzt voraus, sich zu informieren und bewusst zu handeln.“

    Wie heißt das für Unternehmen?

    Simon: „Unternehmen haben die Verantwortung, sich nicht als neutrales Subjekt zu fühlen. Sie sind Teil der Gesellschaft, haben bürgerliche Pflichten und mehr Hebelkräfte, etwas zu verändern, als einzelne Bürger. Die Globalisierung trägt zum Wohlstand bei, auch in den Produktionsländern, sie hat aber auch negative Effekte. Für Dachser bedeutet das, dass wir uns dort, wo wir arbeiten, zuhause fühlen und nicht nur zu Gast. Wir kommunizieren, welche Werte uns wichtig sind und stehen dafür ein. Wir sind keine Weltverbesserer, aber ein bewusster Teil der Gesellschaft.“

    Zur Person:

    Bernhard Simon (Jahrgang 1960) ist Vorstandsvorsitzender des Logistikdienstleisters Dachser mit Sitz in Kempten, der weltweit etwa 26 500 Menschen beschäftigt. Simon hat nach einer Ausbildung zum Speditionskaufmann Betriebswirtschaft studiert und anschließend mit seiner Frau für acht Monate in Brasilien Entwicklungsarbeit geleistet. Der Enkel des Unternehmensgründers Thomas Dachser vertritt heute die dritte Generation seiner Familie an der Firmenspitze. Das Unternehmen engagiert sich mit der Hilfsorganisation terre des hommes stark in Entwicklungspartnerschaften in Indien, Namibia und Brasilien.

    Informationen:

    http://bit.ly/2eznVT7

    Was heißt das beispielsweise für Hilfsprojekte, die Sie unterstützen?

    Simon: „Wir suchen gemeinsam mit terre des hommes Projekte aus, die Menschen Orientierung geben. Es ist immer Hilfe zur Selbsthilfe, wie man sein eigenes Leben verbessern kann. Wir wollen das Selbstwertgefühl der Menschen stärken, mit denen wir arbeiten - sie sind nicht Empfangende, sondern Mitgestalter. Wir wollen auf Augenhöhe mit den Menschen sein, deshalb sprechen wir von Entwicklungspartnerschaft. Mit diesem Gedanken führen wir auch unser Unternehmen. Bei Neugründungen beispielsweise bringen wir unsere Erfahrung ein, unsere neuen Partner paaren das mit ihrem Wissen über die lokalen Erfordernisse.“

    Was tun Sie in Indien?

    Simon: „Über die lokalen Partner von terre des hommes unterstützen wir Sozialarbeit und klären auf über grundlegende Menschen- und Kinderrechte. Die Rechtssysteme sind in vielen Ländern nicht so schlecht, wie wir hier glauben, aber viele Menschen kennen ihre Rechte nicht. Bewusst agierende Bürger nehmen ihren Platz ein und gestalten - auf dieser Basis wurde auch Deutschland nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs aufgebaut. Wir investieren also nicht in Gebäude, sondern in Selbstbewusstsein.“

    Ist soziales Engagement auch Basis für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg?

    Simon: „Eine rein wirtschaftlich begründete Ethik würde das bejahen. Wir verfolgen noch einen anderen Ansatz: Man schafft sich die Umwelt, in der man langfristig mit anderen zusammenarbeiten möchte. Das ist die Idee der Kundenzufriedenheit. Man kann sein wirtschaftliches Handeln nur in eine Richtung optimieren: Entweder noch mehr Geld verdienen oder noch zufriedenere Kunden haben. Für uns steht die Kundenzufriedenheit an erster Stelle, denn zufriedene Kunden sind auch die beste Motivation für die Mitarbeiter. Mitarbeiter und Kunden müssen sich mit dem Unternehmen identifizieren können für das und mit dem sie arbeiten.“

    Dachser ist weltweit aktiv, Sie reisen viel. Was bedeutet für Sie Heimat?

    Simon: „Das hat sich über die Jahrzehnte verändert. Heute ist es ein Vertrautheitsgefühl: Der Reisekoffer gibt mir die Freiheit, den Menschen zu begegnen, die mir wichtig sind. Ich kann mich bei Vertrauten zuhause zu fühlen. Daraus entsteht für mich Heimat. Das Allgäu gehört dazu, hier ist mein Ursprung, und die hier verwurzelten Werte wie Bodenständigkeit, die zupackende Art, das Wissen, worauf man stolz sein kann, sind mir wichtig.“

    Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Kempten. Größere Niederlassungen im Allgäu gibt es auch in Memmingen und Kaufbeuren.
    Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Kempten. Größere Niederlassungen im Allgäu gibt es auch in Memmingen und Kaufbeuren. Foto: Benedikt Siegert

    Sie sprechen oft von der Dachser-Familie, wenn Sie über Ihr Unternehmen reden. Dachser beschäftigt Menschen aus vielen Nationen. Wie denken die über die Flüchtlingsdebatte?

    Simon: „Das ist für sie kein wesentliches Thema. 14 Prozent unserer Mitarbeiter in Deutschland haben einen ausländischen Pass, noch viele mehr ihre Wurzeln in einem anderen Land. Wir haben so viel interne Migration, das gehört für uns zum Selbstverständnis. Wir fragen nicht, woher jemand kommt, sondern ob jemand bereit ist, in einem Team mitzuarbeiten und unsere Kunden zufriedenzustellen.“

    Wie denken Sie über die Debatte?

    Simon: „Als die Grenze geöffnet wurde 2015, war ich gerade in New York. Ich bin kein pathetischer Mensch, aber es hat mich mit Stolz erfüllt, sagen zu können ‘Das sind wir‘ - nach all’ den Jahrzehnten der Entwicklung und Selbstfindung. Wir sind das Land, in das Menschen auf der Suche nach Frieden und Freiheit aufgebrochen sind und das bereit ist, Menschen vorurteilsfrei aufzunehmen. Ich habe in den USA erfahren, welcher Respekt uns dafür entgegengebracht wird. Aber ich war und bin Realist genug, um auch gleich zu wissen: Die Probleme beginnen erst. Einen großen Vorteil sehe ich jedoch, der zu selten herausgestellt wird: Diese Entwicklung hat uns dazu gebracht, viel schneller zu überlegen und ehrlich zu diskutieren, wie wir mit Integration, Einbürgerung und der Teilhabe am Sozialsystem umgehen. Deutschland hat innerhalb eines Jahres Entscheidungen getroffen, für die wir früher zehn Jahre gebraucht hätten.“

    Globalisierung bedeutet, dass die Welt enger zusammenrückt. Erleben wir in Deutschland nicht gerade das Gegenteil, nämlich dass die Gesellschaft auseinanderdriftet?

    Simon: „Nein, aber die Gesellschaft hat derzeit ihre verbindende Sprache verloren. Das liegt auch daran, dass viele überfordert sind von dem, was eine digitalisierte Welt uns abverlangt. Social Media ist ein Massenphänomen geworden, Einzelne sind in der Lage, den gesellschaftlichen Diskurs zu verändern. Diese Verantwortung muss erst gelernt werden. Die Kommunikation muss sich eine neue Ordnung suchen. Das Pendel schlägt jetzt aus, aber es schwingt immer wieder zurück. Das findet seinen Ausdruck auch in Wahlen und in unseren Parlamenten. Die Prinzipien der parlamentarischen Demokratie müssen und werden aber bleiben. Ich bin stolz auf unser Grundgesetz, und wir haben viele Politiker, die sich ihrem Amtseid verpflichtet sehen, dem Wohle des Volkes zu dienen.“

    Wir erleben gerade Debatten, in denen oft das Wort Abschottung fällt - eine Mauer um Europa, eine Mauer um einzelne Länder.

    Simon: „Das ist der falsche Weg: Abschottung bedeutet, Angst vor dem eigenen Zutrauen zu haben, die Dinge gut zu regeln. Wer Zäune hochzieht, schwächt sich selbst, weil Impulse von außen fehlen. Doch schauen Sie sich bitte die Wahlergebnisse in Deutschland an oder auch bei der Abstimmung über den Brexit in Großbritannien: Es ist immer eine Minderheit, die Abschottung fordert. Beim Brexit bestimmte sie über die Mehrheit. Die überstimmte Mehrheit tut gut daran, zu reflektieren, warum die Minderheit so denkt. Aber ich bin überzeugter Demokrat: Die Mehrheit wird einen Weg finden, sich damit konstruktiv auseinanderzusetzen. Wir müssen und werden wieder eine gemeinsame Sprache finden, um klar zu machen, dass Gemeinwohl vor Eigenwohl geht. Deutschland und die Länder, mit denen wir zusammenarbeiten, verlieren durch Abschottung ihren Wohlstand.“

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