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Unsicherheit & Umweltverschmutzung: Das sagen Allgäuer Händler zur Bonpflicht

Zettelflut in der Bäckerei

Unsicherheit & Umweltverschmutzung: Das sagen Allgäuer Händler zur Bonpflicht

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    Stapelweise Kassenbons: Diana Tofoleanu von der Bäckerei Münzel zeigt, wie viele Kassenzettel die Kunden binnen weniger Stunden in der Filiale liegen ließen.
    Stapelweise Kassenbons: Diana Tofoleanu von der Bäckerei Münzel zeigt, wie viele Kassenzettel die Kunden binnen weniger Stunden in der Filiale liegen ließen. Foto: Ulrich Weigel

    „Die wollen eine Fliege mit Elefanten totschlagen.“ Der drastische Vergleich schießt Bäcker Karl-Heinz Münzel in den Kopf, denkt er an die seit 1. Januar geltende Kassenbon-Pflicht: Händler müssen allen Kunden unaufgefordert Kassenzettel hinlegen – selbst wenn die nur eine Breze kaufen. Das sei auch für die Umwelt eine Katastrophe, sagt Münzel. Viele Händler gehen davon aus, dass wirklich jeder von dem neuen Gesetz betroffen ist. Doch dem ist nicht so, heißt es im Finanzamt Kempten: Die Pflicht gelte nur für Betriebe mit elektronischem Kassensystem.

    Es herrsche große Unsicherheit, sagt eine Kemptener Einzelhändlerin, die nicht genannt werden möchte: Für wen die Regelung genau gelte und ob es eine Pflicht zur elektronischen Kasse gebe. Sie selbst nutzt eine Handkasse und bietet Bezahlen mit EC-Karte an. Ein elektronisches Kassensystem, das etwa 15 000 Euro koste, könnte sie nicht anschaffen. „Da kann ich den Laden gleich zumachen.“ Die Finanzen ihres Geschäfts regelt eine Steuerkanzlei. Die Auskunft, die sie dort erhält, deckt sich mit der Aussage des Kemptener Finanzamts: Die Kassenbon-Pflicht gilt nur für Händler mit elektronischen Kassen. Eine Pflicht, solch ein System anzuschaffen, existiere hingegen nicht.

    Für wen die Bonpflicht seit 1. Januar gilt und für wen nicht

    Die Bonpflicht betrifft laut Stefan Schmitter, Leiter der Betriebsprüfungsstelle beim Finanzamt Kempten, nur Unternehmen mit elektronischen Registrierkassen . Die Belegausgabepflicht ist technologie-neutral. Händler müssen Belege nicht auf Papier ausstellen, sondern können sie beispielsweise auch per E-Mail oder direkt aufs Handy des Kunden ausgeben. Wichtig dabei: Der Beleg muss in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Geschäftsvorgang erstellt werden.

    Weitere Herausforderung:

    Elektronische Registrierkassen müssen zusätzlich moderne elektronische Sicherheitseinrichtungen erhalten, die nachträgliche Manipulationen unmöglich machen. Das ist laut dem Ende 2016 beschlossenen „Kassengesetz“ ebenso seit 1. Januar 2020 Pflicht. Die allgemeine Frist dafür wurde mittlerweile auf Ende September 2020 festgesetzt. Für Sonderfälle gebe es andere Fristen, sagt Schmitter.

    Von der Kassenzettelpflicht ausgenommen sind Händler, die nur eine sogenannte „ offene Ladenkasse “ führen. Dazu zählt die einfache Geldkassette (etwa im Kiosk) ebenso wie eine alte, mechanische Registrierkasse bei einem Einzelhändler. Diese Händler müssen wie bisher Aufzeichnungen über ihre Umsätze führen und aufbewahren. Belege müssen sie aber keine ausgeben – außer ein Kunde wünscht es. Da das Gesetz keine Registrierkassenpflicht enthält, können zum Beispiel Straßenhändler auch weiterhin mit einer offenen Ladenkasse arbeiten.

    Die Belegausgabepflicht gibt es laut Finanzministerium in vielen europäischen Ländern. Anders als etwa in Italien sind Kunden in Deutschland allerdings nicht verpflichtet, die Belege tatsächlich mitzunehmen.

    „Die Kassenbon-Pflicht ist einfach sinnlos“, sagt Tommy Leibfried, der in Kempten das Künstler-Café betreibt. Er hat ein elektronisches Kassensystem, ist also von der Neuregelung betroffen. Warum er für Gäste, die keinen Bon haben wollen, trotzdem einen ausdrucken muss, ist für ihn nicht nachvollziehbar. „Das ist eine riesige Papierverschwendung.“

    Wie fatal sich die neue Kassenzettelpflicht auf die Umwelt auswirken dürfte, hat das „EHI Retail Institute“ in Köln, ein Forschungs- und Beratungsinstitut für den Handel, ausgerechnet: Zwei Millionen Kilometer zusätzliches Bonpapier werde der Handel pro Jahr verbrauchen. Dafür müsse etwa stündlich eine Fichte gefällt werden – 8500 Stück pro Jahr.

    Thomas Abröll, Chef des Edeka-Markts in Lenzfried, kritisiert die Zettelflut ebenfalls. Bisher seien die Kassensysteme so eingestellt gewesen, dass auf Nachfrage ein Beleg gedruckt werden konnte. Nun habe die Edeka-Zentrale alle Systeme umstellen müssen, so dass der Bon immer gedruckt wird. Abröll schätzt, dass zwei Drittel der Kunden ihn nicht mitnehmen.

    Stattdessen könnte man ein ähnliches System wie in Österreich einführen, sagt Leibfried vom Künstler-Café. Dort würden die Buchungsdaten mithilfe eines ans Internet angeschlossenen Sticks an einen zentralen Server übertragen.

    Manche Gastronomiebetriebe nutzen auch schon Systeme, bei denen der Kassenbon auf einem Tablet ausgespielt wird. Der Gast scannt mit seinem Smartphone einen QR–Code auf dem Display – und kann den Bon auf diese Weise abspeichern. „Das ist ökologisch sinnvoll“, sagt Leibfried. Allerdings sind ihm diese Systeme noch zu neu. Er nutzt lieber eine Kassensoftware, die schon lange auf dem Markt ist und einen gewissen Standard hat. Überhaupt wäre es besser, wenn die Finanzämter gewisse Systeme zertifizieren würden. „Dann wäre ich hundertprozentig auf der richtigen Seite.“

    Stimmen vom Kemptener Wochenmarkt

    Mit Beginn des neuen Jahres ist die Kassenbon-Pflicht für Einzelhändler in Kraft getreten. Zwar sind längst nicht alle betroffen (siehe Kasten) . Trotzdem treibt das Thema auch die Beschicker des Kemptener Wochenmarkts um.

    „Ich selbst bin seit 20 Jahren am Stand und kenne nichts anderes“, sagt Obst- und Gemüsehändlerin Corinna Völkel. „Und davor hat mein Schwiegervater auf Wunsch schon einen Bon ausgedruckt. Die Hauptsache ist, dass der Kassenzettel dann nicht auf dem Boden landet.“ Andere Händler äußern sich kritisch: „Eine unnötige Anhäufung von großen Mengen an Papiermüll, der ja auch wieder entsorgt werden muss“, ist das häufigste Argument gegen die Vorschrift. Selbst ein Marktbesucher fürchtet: „Hoffentlich kommt jetzt nicht noch eine Annahme-Pflicht für Kunden.“

    Für einen Großteil der Händler ist außerdem noch nicht klar, inwieweit ihre Kassen den ab September geforderten Sicherheitsbestimmungen genügen. Sie befürchten „eine sinnlose Geldausgabe für neue Kassen“, wobei die Kosten noch gar nicht absehbar seien.

    Anders sieht das Jens Schmidt. Gleich nach der Einführung des Warenwirtschaftssystems nach Vorschrift des Finanzamts habe er auf Anraten seines Steuerberaters auf modernste Software umgestellt. „Für mich persönlich bedeutet es eine extreme Erleichterung bei meiner Buchhaltung“, sagt der Fischhändler aus Altusried. Das Gesetz habe schon seine Berechtigung. Allerdings verstehe er auch, dass kleine Läden nicht begeistert sind.

    „Überhaupt nichts“ hält Adalbert Mayr von der gleichnamigen Imkerei von der Kassenbon-Pflicht, die Steuerbetrug eindämmen soll. „Wer betrügen will, findet immer einen Weg. Doch das ist dann sicher nicht der kleine Bäckerladen oder der Gemüseverkäufer um die Ecke.“

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