Die Allgäuer Städte liegen in Schutt und Asche. Kämpfe, Hunger und die Pest haben riesige Teile der Bevölkerung vernichtet. Wer noch lebt, zieht als Flüchtling durch das eigene Land, immer auf der Hut vor marodierenden Soldaten. In den 1630er-Jahren verwüstet der Dreißigjährige Krieg die Region. Besonders hart trifft es Kempten. Dort stehen sich die Bewohner des katholischen Stifts und der protestantischen Reichsstadt unversöhnlich gegenüber. Nach dem Krieg leben von ehemals rund 6000 Kemptener Reichsstädtern nur noch 900.
Schuld ist ein bis dahin beispielloses Schlachten der europäischen Völker auf deutschem Boden. "Doch bedeutet der Dreißigjährige Krieg nicht automatisch, dass zwischen 1618
und
1648 immer
und
überall gekämpft wird", sagt Birgit Kata vom Stadtarchiv Kempten. Drei Dekaden lang ziehen immer wieder Truppen durch das Allgäu
und
richten Schäden an, selbst wenn es nicht direkt zu Kämpfen kommt. Zudem leert der Krieg die Kassen der Allgäuer Städte. Bevor die Kämpfe die Region verwüsten, quartiert der Kaiser Truppen bei ihnen ein. Die Reichsstädte müssen diese bezahlen
und
verpflegen.
"Im Allgäu tobt der Krieg vor allem in den 1630er-Jahren heftig", sagt Kata. In dieser Zeit liefern sich schwedische
und
kaiserliche Truppen viele Kämpfe. In ihren Heeren finden sich Söldner aus ganz Europa, was die Lage wirr
und
undurchsichtig gestaltet. Wer ist Freund
und
wer Feind? "Es geht nicht um den persönlichen Glauben, sondern darum, auf welcher Seite man steht", sagt Kata. Die Soldaten plündern auch mit ihnen verbündete Städte. Dabei nehmen sie sich was sie brauchen, um überleben
und
weiterhin Krieg führen zu können. Die Bevölkerung hungert
und
geht an Krankheiten zugrunde.
Die Schweden kommen
Im März 1632 nähern sich protestantische schwedische Soldaten dem Allgäu. Es herrscht Panik. Vor allem Katholiken fliehen, wenn sie können, in die Schweiz, nach Vorarlberg oder Tirol. Unter ihnen befindet sich im April auch der Kemptener Fürstabt. Wie in vielen anderen Klöstern, versuchen auch die Kemptener Stiftsherrn den Klosterbesitz in Sicherheit zu bringen. Doch ein Schiff mit Kostbarkeiten geht angeblich auf dem Bodensee unter. Am Wahrheitsgehalt vieler Geschichten über den Dreißigjährigen Krieg gibt es Zweifel. Kein Ereignis hat sich stärker ins kollektive Gedächtnis eingebrannt
und
liefert so viel Stoff für Mythen
und
Sagen.
Fakt ist jedoch, dass die Schweden von Allgäuer Orten
und
Städten Schutzgeld fordern: Wer zahlt, steht unter dem schwedischen "Schutz
und
Schirm". Wer sich weigert, den wollen die Eroberer aus dem Norden "mit Feuer
und
Schwert vom Erdboden tilgen".
Die Lage in Kempten verdüstert sich weiter, als 1000 schwedische Fußsoldaten
und
50 Reiter am 14. April 1632 Memmingen besetzen. Am gleichen Tag stürmen
und
plündern schwedische Truppen das Schloss in Grönenbach. Was mit den Leichen der Verteidiger geschieht, steht symbolhaft für den Dreißigjährigen Krieg
und
seine humanitäre Katastrophe: Die Eroberer werfen sie in die Zisterne des Schlossbrunnens, um das Wasser zu verseuchen. Von Memmingen aus verhandeln die Schweden mit Abgesandten aus der ganzen Region. Auch das Kemptener Stift erhält noch ein Friedensangebot mit einer Schutzgeldforderung, das der Fürstabt allerdings von seinem Exil in Bregenz aus abschlägt.
Das zieht fürchterliche Konsequenzen nach sich. Bis Monatsende besetzen die Schweden viele Orte im Umland Kemptens. Im Westallgäu toben erbitterte Kämpfe. Orte wie Leutkirch, Weitnau
und
Wangen wechseln mehrfach den Besitzer. Schwedische wie kaiserliche Truppen zünden Dörfer, Burgen
und
Brücken an. Durch Erfolge der kaiserlichen Truppen ermutigt, formiert sich bei Dietmannsried Widerstand, den die Schweden bald vernichten. Am 23. Mai ziehen 1500 Schweden unter Jubel in der Reichsstadt Kempten ein. Obwohl der Rat der Stadt seinen Bürgern verbietet, das Kloster gemeinsam mit den Schweden zu plündern, kommt es zu anarchischen Szenen: Reichsstädter zerstören in der Klosterkirche Bilder
und
Altäre
und
nehmen mit, was die Schweden übrig lassen. Unter den Plünderern finden sich auch Bauern des Stifts. Doch werden diese auch Opfer der neuen Macht im Land: Mithilfe von vermummten Kemptenern ziehen die Soldaten über das Land des Stifts, wo sie Bauern foltern
und
ausrauben. Das Ausmaß der Gräuel können Menschen im Frieden kaum nachvollziehen.
Diese Episode ist nur ein Beispiel für einen Krieg, der stetig mehr
Gewalt
entfesselt. Im August 1632 zerstören die Stadtbürger das Stift endgültig - auf Beschluss ihrer Räte. Nachdem die Schweden ihre Armee nach Norden abziehen, um dort gegen den kaiserlichen Feldherrn Wallenstein zu kämpfen, wendet sich das Blatt abermals. Kaiserliche Truppen bedrohen Bauern auf dem Land, sodass diese der Stadt Kempten weniger Lebensmittel liefern. Im Januar belagern
und
erobern 20 000 kaiserliche Soldaten Kempten
und
ermorden in der einsetzenden Panik hunderte von Bürgern. Die Stadt brennt. Einer der Angreifer beschreibt die Situation mit den Worten: "Es wird alles niedergehauen, Gott verleihe uns weiter Gnade!" In der ganzen Region gewinnen die Truppen des Kaisers wieder die Oberhand. Sie gehen grausam gegen die Bevölkerung vor. Ein Unbekannter schreibt damals: "Jetzt hat unser Allgäu den Garaus bekommen - sie haben alles aufgefressen
und
verderbt." Das Allgäu hungert aus.
"Schweden
und
Kaiserliche haben nur wenig Lust, sich gegenseitig zu bekämpfen. Es ist für sie mit weniger Risiko verbunden, gegen die mehr oder weniger wehrlosen Bauern vorzugehen", heißt es in der Allgäuer Chronik von Alfred Weitnauer. Als Beispiel für das barbarische Durcheinander dient ein weiteres Mal das Dorf Grönenbach: Im Mai 1633 brennen Soldaten es nieder - doch niemand weiß, welcher Seite diese angehören.
Im März 1634 überrumpeln die Schweden bei Nacht die kaiserliche Besatzung in Kempten. Viele der besiegten kaiserlichen Soldaten wechseln daraufhin die Seite - das geschieht mit Fortschreiten des Kriegs immer häufiger. Mitte des Jahres leben in Kempten nur noch 476 Bürger
und
70 Witwen. Hinzu kommen 700 Flüchtlinge vom Land
und
347 Soldaten.
Ganze Landstriche menschenleer
Zwar zieht ein Großteil der Schweden nach einer entscheidenden Niederlage bei Nördlingen (Kreis Donau-Ries) im September 1634 wieder aus dem Allgäu ab. Doch der Krieg
und
mit ihm
Pest
und
Hunger
wüten weitere 14 Jahre. 1648 erlischt der Dreißigjährige Krieg wie ein Feuer, das nichts mehr hat, das es verzehren kann. Ganze Landstriche im Allgäu sind menschenleer. Wer überlebt, ist mit dem Wiederaufbau beschäftigt. "Der Friedensschluss brachte große Erleichterung", sagt Kata. Als "Wirtschaftsprogramm sondergleichen" bezeichnet sie eine Entscheidung des seit 1639 amtierenden Fürstabts Roman Giel von Gielsberg: Er lässt ab 1650 das Stift in Kempten - am Ort der Gründung - wieder aufbauen. Damit zieht er Handwerker ins Stiftsgebiet, die leer stehende Höfe übernehmen. Diesem Wirtschaftsboom hinkt die Reichsstadt lange hinterher, was auch Neid weckt. "Die Geschichte Kemptens wurde über Jahrhundert nur aus Sicht der Reichsstadt erzählt", sagt Kata. "Deshalb werden die Fürstäbte meist sehr negativ dargestellt". Obwohl die Überlebenden wieder friedlich zusammenleben, hat der Krieg tiefe Wunden geschlagen.
Und so sah es in den Allgäuer Städten aus:
AAZ Archiv DC5: Textarchiv
Der
Dreißigjährige
Krieg
verheert die gesamte Region. Jede Stadt und jeder Ort erlebt seine eigenen Schreckensgeschichten. Hunger treibt die Menschen an den Rand des Zusammenbruchs und macht sie empfindlich für Krankheiten. Die Pest tötet laut Alfred Weitnauers Allgäuer Chronik zwei Drittel der Bewohner. Nachdem der Text oben die Geschichte Kemptens erzählt, hier ein kurzer Überblick zur Lage anderer Allgäuer Städte:
Memminge
Der kaiserliche Feldherr Albrecht von Wallenstein residiert von Mai bis Oktober 1630 in der Stadt. 1632 besetzen die Schweden das evangelische Memmingen und nutzen es als Hauptquartier in der Region. Obwohl die Stadt meist fest in der Hand einer Kriegspartei ist (später wieder der kaiserlichen), leidet sie unter Pest, Seuchen, Hunger, Vergewaltigungen, Plünderungen und Morden.
Kaufbeuren
In den Jahren 1633/34, in denen der
Krieg
im Allgäu besonders heftig wütet, wechselt die Stadt achtmal den Besitzer. Jedes Mal plündern die Besatzer beider Lager und begehen schlimmste Verbrechen. Die Bevölkerung schrumpft von 3300 Einwohner (1624) auf etwa 800 bei Kriegsende. Schweden plündern das Kloster Irsee nahe Kaufbeuren allein 1632 fünfmal.
Füsse
Der Stadt am östlichen Rand der Allgäuer Alpen und damit am Tor nach Tirol ergeht es nur wenig besser. Zuerst besetzen die Tiroler Füssen, dann kommen die Schweden. Beide Seiten verschonen zuerst die Stadt, plündern jedoch heftig im Umland. Dabei zerstören die Schweden beispielsweise im Juni 1632 am Tag ihrer Ankunft das Dorf Faulenbach. Im März 1634 verteidigen sich die Füssener Bürger in schweren Straßenkämpfen gegen kaiserliche Truppen.
Auf dem Lan
Mit den Gräueln, die auf dem Land geschehen, setzen sich die Chroniken weniger detailliert auseinander. Doch gehen tausende von Höfen und Dörfern während der Kriegsjahre in Flammen auf. Manche Orte verschwinden von der Landkarte - auch wegen der Pest. In der Schwangauer Chronik heißt es: "Die katholischen Soldaten, die protestantischen, die Schweden und die Truppen des eigenen Landes, der Liga und des Kaisers, und die verzweifelten und entmenschten Bauern selber, alles war eine große Räuber-, Mörder- und Mordbrennerbande."