Die Erinnerung, sie ist schön und belastend zugleich. In der Wärmestube findet Gerd Geborgenheit. Er kennt die Menschen, die dort aus- und eingehen, einige sind ihm vertraut. Wenn vor ihm eine Tasse dampfender Kaffee und ein Teller mit Lebkuchen stehen, fühlt er sich zuhause. „Das ist meine Zuflucht“, sagt Gerd, der seinen wahren Namen nicht in der Zeitung oder im Internet lesen möchte. „Oft denke ich dann an früher.“ Damals, da war er noch Teil einer Familie. Damals, da war die gemeinsame Wohnung seine Zuflucht. Bis die Ehe in die Brüche ging.
Er will nicht darüber reden. Jeder kann sehen, wie es ihn aus der Bahn geworfen hat. Heute lebt er in einem kleinen Zimmer. „Da fällt mir oft die Decke auf den Kopf“, sagt er leise. „Alleinsein ist nicht so meins.“ Denke er an früher, seien es schöne Erinnerungen. Aber sie zeigen ihm auch, welche Wende sein Leben genommen hat.
Alleinsein ist nicht so meins."Gerd"
Draußen kaufen die Menschen ihre Weihnachtsgeschenke bei Sonnenschein ein. Schnee und bittere Kälte? Fehlanzeige. Dennoch ist die Wärmestube des Katholischen Verbandes für soziale Dienste (SKM) gefragt. Bis zu 50 Besucher am Tag finden sich in dem Raum mit der tiefen Decke am Crescentiaplatz ein. So wie Gerd, der hin und wieder vorbeischaut oder an der Klosterpforte sein Mittagessen für Bedürftige einnimmt. Armenspeisung hieß das früher. Doch Not hat heute viele Gesichter. „Die Wärmestube ist eine echte Schutzhütte gegen Regen und Kälte“, sagt SKM-Vorsitzender Johann Marschall, „aber vor allem gegen das Ausgeliefertsein in der Öffentlichkeit.“
Oft auch Familienersatz
Wie Gerd hadern viele Besucher mit ihrem Schicksal und der Vergangenheit. Was kommt, wissen sie ohnehin nicht. „Die Stimmung ist gerade jetzt eher gedrückt“, sagt SKM-Geschäftsführerin Gabriele Boscariol. Draußen eine Welt des Konsums und der Vorfreude aufs Fest, tief drinnen in den Betroffenen das Gefühl, nicht dazu gehören zu dürfen, außerhalb der Gesellschaft zu stehen. Neben der seelischen Not stünden materielle Probleme und häufig Hilflosigkeit im Alltag. „Wir unterstützen, beraten und sind oft auch Familienersatz“, sagt Gabriele Boscariol.
So haben die Menschen vielleicht eine Chance, wieder halbwegs menschenwürdig leben zu können.SKM-Vorsitzender Johann Marschall
Die SKM-Beschäftigten und 25 Ehrenamtlichen, die jährlich weit über 1.000 Stunden unentgeltlich Dienst leisten, bemühen sich um ihre Schützlinge, so gut es eben geht. Doch das Gebäude der Diözese Augsburg, idyllisch gelegen zwischen dem Crescentiakloster und dem Klostergarten, ist zu klein und obendrein marode. Die Feuchtigkeit nagt an den Wänden. Alle sind erleichtert, dass es nun der letzte Winter in diesem Haus sein wird. „Wir freuen uns auf unser neues Heim“, sagt Marschall.
Bald ausreichend Platz
Wie berichtet, hat der SKM nach langer Suche eine ehemalige Gaststätte in der Inneren Buchleuthenstraße erworben. Dieser Tage wurden die Vorbereitungen für den Umbau abgeschlossen; das Gebäude ist nun leer. „Damit geht bald ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung“, sagt Marschall – endlich ausreichend Platz, akzeptable Sanitäreinrichtungen, genügend Duschen, vernünftige Küche und Büroräume.
Im Frühjahr sollen die Aufträge für den Umbau vergeben sein. Die Eröffnung ist auf September 2017 terminiert – pünktlich zum 25. Geburtstag der Wärmestube. Marschall freut sich über Zuschüsse, unter anderem von der Diözese, der Landesstiftung und der Aktion Mensch. „Leider klafft zwischen den Wünschen und den Möglichkeiten noch eine Lücke“, sagt er. Deshalb hofft Marschall weiter auf die Spendenbereitschaft, die in Kaufbeuren erfreulich hoch sei. Es gebe viele Menschen, die selbst nicht aus dem Vollen schöpfen können und dennoch regelmäßig mit kleinen Beträgen zum Erhalt des SKM-Engagements beitragen. „Das ist echte Solidarität“, sagt Marschall. „So haben die Menschen vielleicht eine Chance, wieder halbwegs menschenwürdig leben zu können.“