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Thomas Gottschalk erfüllt das Klischee des alten weißen Mannes

Kommentar

Nimm die Treppe, Thomas – Schluss mit den alten, weißen Witzen!

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    Schon wieder Wirbel um Gottschalk: Diesmal wegen einer Buchpassage aus dem Jahr 2015.
    Schon wieder Wirbel um Gottschalk: Diesmal wegen einer Buchpassage aus dem Jahr 2015. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Es hätte alles gut werden können. Thomas Gottschalk hätte sich auf dem Sofa zurücklehnen und die Ruhe genießen können. Stattdessen hat sich der König der deutschen Unterhaltungsindustrie ins Rampenlicht zurück gejammert, mit seinem neuen Buch „Ungefiltert“ und mit Aussagen, die ihn zum Paradebeispiel eines gekränkten und von Bedeutungsverlust geplagten alten, weißen Mannes machen.

    Gottschalk schmollt: Was darf man heute überhaupt noch sagen?

    Schon vor knapp einem Jahr moderierte Gottschalk die letzte Sendung „Wetten, dass..?“ und erklärte zum Abschied ganz unironisch vor Millionen Zuschauern, man dürfe heute gar nichts mehr sagen. Da darf man jetzt aber schon mal anmerken: Mehr sagen als in der vergangenen Woche kann selbst Gottschalk nicht. Interviews, Talk-Shows, Lesetour, Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse samt Signierstunde, Gottschalk spricht über alles, worüber er behauptet nicht mehr sprechen zu dürfen, Zigeunerschnitzel und Mohrenapotheke inklusive. Und alle reden über ihn, aber eben nicht mehr so wie früher.

    Dem Lockenkönig der Nation weht Kritik entgegen und der 74-Jährige weiß sich nicht anders zu helfen als zu schmollen. Angesprochen auf sein Verhalten gegenüber weiblichen Gästen bei „Wetten, dass...“ erklärte Gottschalk im Spiegel-Interview: „Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst.“ Er schiebt dann zwar hinterher, dass er das heute bleiben lassen würde, nicht aber, weil das Gegrapsche den Frauen möglicherweise unangenehm war, sondern weil gewisse Dinge mittlerweile politisch inkorrekt sind. Damit offenbar Gottschalk, dass er zwar Zeit gehabt hätte, sein eigenes Verhalten zu reflektieren, sich stattdessen aber lieber über den Zeitgeist echauffiert.

    Gottschalk erfüllt das Klischee des alternden Herren, der die Welt nicht mehr versteht

    Schade, denn eigentlich hatte Thomas Gottschalk doch ganz Deutschland als Fan. Und das hätte er immer noch, wenn er nicht im Nachhinein sexistisches Verhalten, was ihm niemand mehr vorwerfen würde, versuchen würde zu verteidigen. Dass er Paris Hilton ans Knie langte und Claudia Schiffers Brust streifte, geschenkt. Nur wird er heute nicht mehr dafür gefeiert und das kränkt. Gottschalk erfüllt damit das Klischee des alternden Herren, der die Welt nicht mehr versteht, weil sie nicht mehr so ist, wie sie nie hätte sein dürfen. Frauen vor laufender Kamera zu betatschen, ungefragt zu küssen oder mit anzüglichen Sprüchen zu überhäufen, war schon vor 20 Jahren nicht in Ordnung. Es hat nur niemand offen ausgesprochen. Die #Metoo-Debatte hat Sexismus nicht beendet, aber das Bewusstsein dafür geschärft.

    Gottschalk beweist eigentlich nur eins: Man darf immer noch alles sagen, man muss halt nur damit rechnen, dass nicht alles unkommentiert hingenommen wird, was ein Mann in einer Machtposition von sich gibt. Frauen lächeln einen vermeintlich flapsigen Spruch nicht mehr einfach weg, sondern kontern. Das hat Gottschalk selbst erlebt, als ihm Rapperin Shirin David in der letzten „Wetten, dass..?“-Sendung eine kurze und charmante Lehrstunde in Sachen Feminismus erteilte. Da fiel dem sonst so schlagfertigen Showmaster dann auch nicht mehr viel ein.

    Warum keine Selbstreflexion? Man hätte Gottschalk mehr zugetraut

    Dass Frauen sich nicht mehr alles gefallen lassen, verbale oder körperliche Grenzüberschreitungen nicht mehr einfach hinnehmen, sondern sich dagegen wehren, indem sie öffentlich darüber sprechen, ist offenbar immer noch irritierend, gar provozierend und macht Thomas Gottschalk Angst. Er betrete heute keinen Aufzug mehr, in dem nur eine Frau steht, weil sie behaupten könnte, er habe sie angefasst. „Dann nimm doch die Treppe, Thomas!“, möchte man ihm freundlich zurufen. „So wie früher, als du leichtfüßig die Stufen ins „Wetten, dass“-Studio hinunter gelaufen bist, um deinen großen Auftritt zu markieren.“

    Vielleicht muss man es Gottschalk anrechnen, dass er seine Verunsicherung darüber offen ausspricht, denn mit dem Gefühl ist er vermutlich nicht allein. Warum aber anklagend, warum keine Selbstreflexion? Man hätte Gottschalk mehr zugetraut. Und eins ist leider auch klar: Die Angst von Männern vor Falschbezichtigung mag ein reales Gefühl sein, ist aber in keiner Weise mit der Angst von Frauen vor sexueller Belästigung und Übergriffen zu vergleichen. Hierzu eine Zahl: Neun von zehn Frauen haben sich schon einmal verbal belästigt gefühlt – und fast genauso viele berichten von körperlichen Grenzüberschreitungen. Ist vielleicht auch ganz interessant für all die alten, weißen Männer zu Hause auf dem Sofa und jene, die in den sozialen Medien Thomas Gottschalk zuklatschen. Das ist der Applaus, den er heute bekommt. Der Applaus von früher war der bessere.

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