Heuer jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Dies haben wir als Anlass genommen, zusammen mit Zeitzeugen auf die letzten Kriegsjahre zurückzublicken. Anhand persönlicher Schicksale beleuchten wir, wie das Leben damals aussah, zwischen Fliegeralarm und Flucht, zwischen Angst und Hoffnung.
Fanatiker nennt Alfred Maurus sie. Diejenigen, die damals immer noch am Blutvergießen festhielten, obwohl der Krieg längst verloren war. „Es wird gekämpft bis zum letzten Blutstropfen“, hätten sie damals gesagt. Sie, das waren deutsche Soldaten und SS-Männer, die lieber sterben wollten, als sich zu ergeben. Doch die Mehrheit seiner Mitmenschen war anderer Ansicht. Daran erinnert sich der heute 80-jährige Maurus, der in dem Weiler Buchenbrunn bei Markt Rettenbach aufwuchs.
Am 27. April, als die amerikanischen Soldaten schon kurz vor Buchenbrunn standen, habe Maurus’ Nachbar eine weiße Fahne gehisst – zum Zeichen, dass sich die Bewohner ergeben. Denn sie wussten, dass ihr Dorf sonst zerstört worden wäre, erzählt er. „Doch dann kehrte ein deutscher Offizier oder SS-Mann zurück. Er hat die weiße Fahne wieder eingeholt“, weiß Maurus aus Erzählungen seiner Mutter. Die deutschen Soldaten wollten sich gegen den Einmarsch der amerikanischen Truppen wehren – Widerstand bis zuletzt.
Das Dorf sollte brennen
Der Offizier wollte außerdem wissen, wer es gewagt habe, die weiße Fahne überhaupt aufzuhängen. „Unser Nachbar konnte nicht sagen, dass er es war. Sonst wäre er sofort vom dem deutschen Offizier standrechtlich erschossen worden“, sagt Maurus. Als der Offizier also keine Antwort erhielt, sprach er eine Drohung aus: „Ich bin in 20 Minuten zurück. Wenn ich bis dahin nicht weiß, wer die Fahne gehisst hat, dann geht das Dorf in Flammen auf.“ Buchenbrunn stand kurz vor der Zerstörung – wenn nicht durch den deutschen Offizier, dann durch die Amerikaner. Das Glück der Einwohner war es, dass der Offizier nicht mehr wiederkam. Maurus’ Vater packte daraufhin schnell die weiße Fahne und trug sie den amerikanischen Truppen entgegen. „Diese sind dann, ohne dass ein Schuss gefallen ist, friedlich durch unser Dorf gezogen“, sagt Maurus.
Auch in dem Weiler Eldern bei Ottobeuren regte sich bis zuletzt noch Widerstand, erzählt Hermann Petrich, der dort aufwuchs. Ein Großteil der deutschen Truppen, sowohl das Heer, als auch die SS, hatte sich zwar ein paar Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen nach Süden Richtung Kempten zurückgezogen. Aber als die amerikanischen Truppen, von Memmingen kommend, fast da waren und der damalige Bürgermeister Hasel die weißen Fahnen hissen wollte, stellten sich dem immer noch einige deutsche Soldaten entgegen. „Sie haben den Bürgermeister dann verschleppt“, erzählt Petrich. Sein Vater hielt das nicht für richtig. Er diskutierte lange mit den Offizieren. „Nach längerem Zureden meines Vaters ließen sie Herrn Hasel Gott sei Dank wieder laufen.“
Kurios: Panzer fällt in Güllegrube
Als die Amerikaner schließlich ankamen, regte sich kein nennenswerter Widerstand der deutschen Truppen mehr, sagt Petrich. Einen Schaden musste seine Familie dennoch hinnehmen – aufgrund eines kuriosen Zwischenfalls, der sich ereignete, als die US-Truppen schließlich weiter nach Süden zogen: Die Panzer fuhren wegen des drohenden Panzerfaustbeschusses nicht auf der Straße, sondern hinter den Häusern entlang. „Kurz vor unserem Bauernhof bogen sie wieder auf die Hauptstraße“, sagt Petrich. Sein Vater habe die Truppen noch umleiten wollen, doch da war es bereits zu spät: Einer der Panzer fiel in die Güllegrube vor dem Hof. „Der zweite Panzer fuhr dann quer durch den Gemüsegarten, zerstörte alles dabei, und zog den anderen Panzer wieder heraus.“ Bereits kurz zuvor war die Tenne der Petrichs von deutschen Truppen beschädigt worden, als sie dort einen Munitions-Lkw verstecken wollten. „Wir hatten also wieder einen Schaden und Baumaterial war kaum zu kriegen.“
Bevor die amerikanischen Truppen weiterzogen, durchsuchten sie außerdem das Haus nach Waffen und Soldaten. „Sie fanden nichts und niemand“, erzählt Petrich. „Ein Schreibset mit Hakenkreuz nahmen sie aber schon mit.“ Das sei allerdings wirklich kein großer Verlust gewesen, sagt er.