Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zur Eile bei der geplanten bundesweiten Corona-Notbremse aufgerufen. "Jeder Tag früher, an dem die Notbremse bundesweit angewandt ist, ist ein gewonnener Tag", sagte Merkel mit Blick auf die drohende Überlastung der Krankenhäuser am Freitag in der ersten Beratung des Bundestags. Eine hitzige Debatte entzündete sich an den geplanten Ausgangsbeschränkungen ab 21 Uhr. Eine generelle Ablehnung der Pläne signalisierten die AfD und die Linke, wenngleich auch die FPD mit Verfassungsklage drohte. Unterdessen wurden 25 831 neue Coronafälle gemeldet.
Merkel sagte: "Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten, sie machen alles nur noch schwerer. Das Virus verzeiht kein Zögern, es dauert alles nur noch länger. Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln, es versteht nur eine einzige Sprache, die Sprache der Entschlossenheit." Im Bundestag wird nun fieberhaft über Details des geplanten Gesetzes verhandelt.
Am Mittwoch soll es beschlossen werden. Kurz darauf soll der Bundesrat sein Votum abgeben. Kontaktbeschränkungen zum Brechen der dritten Welle sollen in Kreisen und Städten ab einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche greifen. Am Donnerstag hatten 351 von 412 Kreise die Schwelle überschritten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel: Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen
"Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen - wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden?", so Merkel. Die Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte könnten den Kampf alleine nicht gewinnen. Merkel ordnete das Gesetz als Schritt in Richtung Überwindung der Pandemie ein.
"Die Notbremse ist also das Instrument, die drohende Überlastung unseres Gesundheitswesens zu verhindern. Systematisches Testen ist das Mittel bei niedrigeren Inzidenzen, konsequente, nachhaltige Öffnungen zu ermöglichen. Impfen ist der Schlüssel, die Pandemie zu überwinden."
Mit Blick auf den Frühjahrslockdown 2020 sagte Merkel: "Wir haben es doch schon einmal geschafft, wir können es jetzt wieder schaffen." Die Politik mache es den Bürgerinnen und Bürgern nicht leicht. Die übergroße Mehrheit der Menschen in Deutschland helfe aber bereits unverändert durch Einhaltung der Schutzmaßnahmen mit.
So stehen andere Fraktionen zu der bundesweiten Corona-Notbremse
Trotz kritischer Haltung versicherte auch FDP-Chef Christian Lindner der Koalition Zustimmung für eine größere Rolle des Bundes. "Es ist richtig, dass nun bundeseinheitlich gehandelt wird", sagte er. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hingegen sprach von einem Angriff auf Grund- und Freiheitsrechte. "Sie misstrauen den Bürgern, deshalb wollen Sie sie tagsüber gängeln und nachts einsperren", sagte Weidel. Die Regierung nutze die Corona-Krise, um sonst unmögliche Eingriffe durchzusetzen. Weidel sprach von "Notstandsgesetzgebung durch die Hintertüre". Grüne und Linke warfen der Regierung außerdem vor, das Wirtschaftsleben in dem Gesetz nicht ausreichend zu berücksichtigen. In der Wirtschaft gebe es faktisch null Beschränkung, kritisierte der Linken-Politiker Klaus Ernst.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch warf der Regierung Scheitern vor. "Wir haben seit November einen permanenten Halb-Lockdown, und Sie sind immer nach der Welle." Bartsch stellte raschere Fortschritte beim Impfen wie in den USA und eine nationale Teststrategie als Lösungen dagegen. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) entgegnete: "Das ist an Linkspopulismus nicht zu überbieten."
Auch mehrere andere Abgeordnete der Koalition betonten, das Gesetz sei wichtig.
Wie weitgehend sollen die Ausgangsbeschränkungen ausfallen?
Mit Blick auf die geplanten Ausgangsbeschränkungen kündigte Lindner Vorschläge an, das Gesetz "verfassungsfest" zu machen. Die FDP werde vors Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn auf die Bedenken nicht eingegangen werde. Bisher sei geplant, "dass ein geimpftes Ehepaar aufgrund eines Ausbruchs kilometerweit entfernt in einem einzelnen Betrieb daran gehindert wird, alleine nach 21 Uhr vor die Tür zu treten zum Abendspaziergang".
Merkel verteidigte die Pläne. Andere Staaten hätten solche Maßnahmen "zum Teil erheblich restriktiver" praktiziert. "Es geht darum, abendliche Besuchsbewegungen von einem Ort zum anderen – im Übrigen auch unter Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs - zu reduzieren." Die Vorteile überwögen.
Karl Lauterbach ist der Meinung, ohne Ausgangsbeschränkung bekommt man das Virusvariante nicht in den Griff
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: "Es wird alleine nicht reichen, aber in keinem Land ist es gelungen, eine Welle mit Variante B.1.1.7 noch einmal in den Griff zu bekommen, ohne dass man nicht auch das Instrument der Ausgangsbeschränkung, und nicht -sperre, genutzt hätte."
Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz setzte eine abendliche Ausgangssperre aus, nachdem das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren die aufschiebende Wirkung angeordnet hatte. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist gegen Ausgangsbeschränkungen und für mehr Tests, wie er im WDR sagte.
Wie geht es mit den Schulen weiter?
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: "Erst ab einer Inzidenz von 200 zu handeln, ist zu spät", das sei kein Schutz für Schüler und Schülerinnen und kein Schutz für Eltern. Geplant ist, dass Schulen in Kreisen und Städten mit über 200 Corona-Neuinfektionen pro Woche und 100 000 Einwohnern keinen Präsenzunterricht mehr anbieten.
Ab einer Inzidenz vom 100 soll es bei Präsenzunterricht zwei Corona-Tests pro Woche geben. "Wir wissen, dass die Mutation jetzt sehr stark Kinder betrifft, dass die Kinder ihre Eltern anstecken", sagte Göring-Eckardt. Die Grünen wollten entsprechende Nachbesserungen. Zugleich kritisierte sie, dass das Gesetz nicht schneller als geplant auf den Weg gebracht werden soll.