Es wirkt, als wolle der CDU-Vorsitzende die Kanzlerin mit ihren eigenen Worten schlagen. "Die Lage ist ernst. Wir alle nehmen sie ernst", sagt Armin Laschet gleich zum Auftakt, als er am Montag im Konrad-Adenauer-Haus über die Online-Beratungen des CDU-Präsidiums berichtet. Ein Jahr ist es her, dass Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache zum Beginn der ersten Corona-Welle die Bürger mit den knappen Sätzen "Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst" wachgerüttelt hat.
Angela Merkel richtet sich bei TV-Auftritt an Bundesländer
Dass Laschet nun fast dieselben Worte wählt wie Merkel, kommt nicht von ungefähr. Denn die Kanzlerin hat am Abend zuvor nachgelegt. "Jetzt, mit dieser Mutation, würde ich diesen Satz wiederholen", sagt sie in der ARD-Sendung "Anne Will". Diesmal richtet sich dieser nicht an die Adresse der Bürger, sondern zielt auf die 16 Länder. Merkel macht unverblümt deutlich, dass ihrer Meinung nach längst nicht alle Regierungschefs dem Ernst der Lage entsprechend handeln. Ihnen hält die Kanzlerin geradezu eine Standpauke: "Wir müssen mit einer großen Ernsthaftigkeit jetzt die geeigneten Maßnahmen einsetzen. Und einige Bundesländer tun das, andere tun es noch nicht."
Und nun? An diesem Montag stellt sich die Frage: Wie werden die Landesfürsten reagieren? Nehmen sie die Kritik an? Oder lassen sie diese an sich abperlen? Schnell wird deutlich, dass sie nicht gewillt sind, sich in ihren Kurs von Berlin aus reinreden zu lassen.
Saarland öffnet im Corona-Lockdown, andere Bundesländer schließen wieder
Beispiel Saarland: Dort sollen unmittelbar nach Ostern Kinos, Theater, Fitnessstudios und die Außengastronomie wieder öffnen - für Gäste, Besucher und Nutzer mit einem tagesaktuellen negativen Schnelltest. Merkel verweist bei "Anne Will" darauf, dass auch im Saarland die Infektionszahlen nicht stabil seien. "Deshalb ist das nicht der Zeitpunkt, jetzt so was ins Auge zu fassen." Doch Ministerpräsident Tobias Hans, wie Merkel der CDU angehörig, erklärt am Montag postwendend: "Wir werden diese Strategie weiterverfolgen." Es handele es sich im Übrigen "um eine sehr vorsichtige Strategie".
Und auch CDU-Chef Laschet klingt nicht nach Umkehr, wenn er ausdrücklich das auch in Berlin geplante Modell Shoppen mit Terminanmeldung und negativem Test positiv erwähnt. Jenes Modell, über das Merkel am Vorabend noch gesagt hat: "Ich weiß jetzt wirklich nicht, ob Testen und Bummeln, wie es jetzt in Berlin heißt, die richtige Antwort auf das ist, was sich zur Zeit abspielt."
Auch wenn die Osterruhe nun doch nicht komme, sei der Appell an die Bürgerinnen und Bürger, zu Hause zu bleiben, Kontakte zu reduzieren und alles zu tun, damit sich das Virus nicht weiter verbreite, sagt Laschet weiter und schiebt den Satz hinterher: "Deshalb haben wir in den Ländern die Notbremse gezogen, die verabredet worden ist in der Ministerpräsidentenkonferenz." Das hört sich nun auch nicht nach Klein-Beigeben gegenüber Merkel an, die doch am Abend zuvor moniert, dass nicht alle Länder diese Vereinbarung auch umsetzen würden. Zumal Laschet noch anfügt, es helfe jetzt auch nicht weiter, "wenn Bund und Länder sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben".
Diskussionen über die Rolle der Sieben-Tage-Inzidenz
Der viel beschworene Ernst der Lage - er lässt sich unter anderem an der Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner ablesen: 65,8; 68,0; 82,9; 107,3; 134,4 - so sehen die Montagswerte für Deutschland im März aus. Eine Verdoppelung innerhalb eines Monats. Es sind diese Zahlen, die Merkel bei "Anne Will" auf ihren Amtseid ("Schaden vom deutschen Volk wenden") hinweisen und den Satz sagen lassen: "Ich werde jedenfalls nicht zuschauen, dass wir 100 000 Infizierte haben." Gemeint sind 100 000 Neuinfektionen am Tag.
Die Kanzlerin kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie mit ihrem Plädoyer für einen vorsichtigeren Kurs und schärferen Maßnahmen bislang richtig lag. Aus Beratungen mit den Ministerpräsidenten Mitte Oktober vergangenen Jahres, als sich gerade die zweite Corona-Welle aufbaute, wurde sie mit dem Satz zitiert: "Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden." Und: "Es reicht einfach nicht, was wir hier machen." Nun, da die dritte Welle der Epidemie über Deutschland zusammenzuschlagen droht, hat die Kanzlerin gewissermaßen ein Déjà-vu-Erlebnis.
Und so macht sie in der ARD deutlich, dass sie sich notfalls auch bundeseinheitliche Regelungen vorstellen kann. Eine Handhabe böte das Infektionsschutzgesetz, in dessen Paragraf 28a unter anderem steht: "Bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben."
Forderungen nach einem einheitlichen Stufenplan für Corona-Öffnungen
Immerhin einen Ministerpräsidenten kann die Kanzlerin an ihrer Seite wissen. Bodo Ramelow (Linke) aus Thüringen weist am Montag darauf hin, dass seine Landesregierung vom Bund seit Februar einen deutschlandweit einheitlichen Stufenplan für das Vorgehen in der Pandemie fordere. "Ich sage im März und April immer noch: Dann macht es doch endlich! Es geht um das Tun und nicht um das Reden."
Allerdings: Eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes kommt nicht über Nacht und ist kein kurzfristiger Lösungsansatz. Voraus gingen Beratungen im Bundestag und Bundesrat. Und bis die durch sind, werden die Corona-Kennzahlen voraussichtlich nur eine Richtung kennen: steil nach oben.