Nach der Entscheidung über eine Rückgabe von vier Werken aus NS-Raubkunst streiten die Erben jüdischer Kunsthändler weiter mit dem Freistaat Bayern um die Rückgabe eines weiteren Gemäldes. Erben der ehemaligen Münchner Kunsthandlung Brüder Lion würden in Kürze Klage beim Verwaltungsgericht München erheben, teilte ihr Anwalt Hannes Hartung mit. Sie erheben Anspruch auf das Werk «Junges Mädchen mit Strohhut» des Malers Friedrich von Amerling.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hatten zuvor mitgeteilt, dass der Freistaat vier andere Bilder an die rechtmäßigen Besitzer zurückgeben werde. Die Lion-Erben würden demnach die Gemälde «Lot und seine Töchter» sowie «Abraham bewirtet die drei Engel» von Franz Sigrist dem Älteren erhalten. Die Kunsthandlung musste 1936 unter den Nationalsozialisten zwangsweise schließen.
Die Restitutionsentscheidungen beruhen auf der Forschung des Referats für Provenienzforschung an der neu gegründeten Staatlichen Museumsagentur Bayern. Sie hatte den Angaben zufolge ergeben, dass es sich bei den vier Bildern um NS-Raubkunst handelt.
Staatsgemäldesammlungen: Schiedsgericht soll entscheiden
Für das Bild «Junges Mädchen mit Strohhut» von Friedrich von Amerling soll laut den Staatsgemäldesammlungen dagegen das neue bundesweit zuständige Schiedsgericht NS-Raubkunst angerufen werden und eine Entscheidung treffen. Das Werk wechselte nach Ansicht der Staatsgemäldesammlungen nämlich im Rahmen eines «Tauschgeschäfts» den Besitzer. Dabei habe die Kunsthandlung «frei auf dem Markt agieren» können. Sie erhielt demnach 1935 zwei Bilder anstelle einer Bezahlung für den Amerling.
Die Lion-Erben sehen das anders und fordern auch dieses Werk ein. Es sei «eindeutig Raubkunst», heißt es in einer Mitteilung von Anwalt Hartung. Für ein faires Tauschgeschäft gebe es «keinen einzigen Beleg». Der Umstand sei den Staatsgemäldesammlungen seit Langem bekannt, dennoch habe das bayerische Kunstministerium Fälle wie diesen «mit voller Absicht vertuscht». Mit ihrer Klage wollen die Erben neben Akteneinsicht erreichen, dass der Freistaat feststellt, dass es das genannte Tauschgeschäft nicht gegeben habe, woraus sich dann wiederum ein Anspruch auf Herausgabe des Gemäldes begründe.
Zudem seien die Erben irritiert, dass der Freistaat die Restitution der anderen Werke nicht ihnen direkt, sondern zunächst der Öffentlichkeit bekanntgegeben hatte, sagte Hartung. Eine Sprecherin des Kunstministeriums widersprach dieser Darstellung.
Ein weiteres Werk, das im Zuge der Restitution zurückgegeben wird, ist das Bild «Hl. Anna Selbdritt» von einem Schüler von Lucas Cranach dem Älteren. Es geht an die Nachfahren des verfolgten jüdischen Direktors der Commerz- und Disconto-Bank Hannover, Ernst Magnus. Er hatte es verkauft, um die Flucht seiner Familie zu finanzieren.
Auch «Am Wirtshaustisch» von Ernst Karl Georg Zimmermann wurde als Raubkunst identifiziert. Wer die rechtmäßigen Erben sind, ist nach Angaben der Staatsgemäldesammlungen aber noch nicht ganz klar.
Staatsgemäldesammlungen wollen mehr Transparenz schaffen
Die Staatsgemäldesammlungen sehen in diesen fünf Fällen einen «Ausdruck von mehr Transparenz und Tempo bei Provenienzforschung und Restitution».Bayern stand wegen seiner Rückgabepolitik schon lange in der Kritik. Im Februar dieses Jahres waren dann Missstände in den Staatsgemäldesammlungen durch Presseberichte bekanntgeworden. Dabei ging es zunächst vor allem um den Umgang der Sammlung mit möglicher NS-Raubkunst - also Werken, die jüdischen Eigentümern im Nationalsozialismus weggenommen oder unter Zwang abgepresst wurden.
Die Prüfung solcher Verdachtsfälle wurde als intransparent und schleppend kritisiert, sogar von Vertuschung war die Rede. Anfang April musste der langjährige Generaldirektor Bernhard Maaz gehen, sein Nachfolger ist seitdem der Jurist Anton Biebl.
Scharfe Kritik an bayerischer Restitutionspolitik
Das Ziel ist nun, Vertrauen zurückzugewinnen und transparent zu arbeiten, vor allem bei der Debatte um die Rückgabe von NS-Raubkunst. Nach Angaben von Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) haben die Staatsgemäldesammlungen seit Februar mehr als 200 Werke in die Datenbank Lost Art eingestellt. Frühere Eigentümer und deren Erben können hier nach geraubten Kunstobjekten suchen, damit sie diese zurückfordern können. Die Sammlung war dafür kritisiert worden, viel zu wenige ihrer Werke mit Raubkunst-Verdacht eingestellt zu haben.
«Mit der Rückgabe dieser vier Werke können wir das grausame Unrecht an den Eigentümern nicht heilen. Aber wir können damit den Versuch der Wiedergutmachung in Richtung der Opfer unternehmen und ein Zeichen setzen: Wir arbeiten intensiv an der Aufarbeitung des NS-Unrechts – seit diesem Frühjahr mit mehr Tempo, mehr Transparenz und mehr Ergebnissen», sagte Blume.
«Die Rückgabe der vier Gemälde ist für uns ein weiterer wichtiger Schritt, die Aufarbeitung unserer Sammlungsgeschichte fortzusetzen», betonte Biebl. «Wir nehmen die Verantwortung für eine gründliche Provenienzforschung sehr ernst.»
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