Das People Magazine hat schon viele schneidige Kerle mit dem etwas seltsam klingenden Titel „Sexiest Man Alive“ dekoriert: John Krasinski, Patrick Dempsey, John Legend, Idris Elba, Brad Pitt, George Clooney oder Johnny Depp. Nur einen, der absolut das Zeug zum Prototypen gehabt hätte, ignorierte die Redaktion immer wieder beharrlich. Dabei hätte er wahrscheinlich locker alle gängigen Voraussetzungen erfüllt, um dem ziemlich weit gefassten Begriff „sexy“ gerecht zu werden: strahlend blaue Augen, weiße Zähne, kantiges Gesicht, Furchen, blond und dieses freche, dezente Lächeln aus den Mundwinkeln heraus, das man nicht antrainieren konnte. Entweder man hatte es oder man blieb eben unsexy. Ein Amerikaner aus dem Bilderbuch.
Robert Redford hatte definitiv etwas. Er war der geborene Filmstar. Vielleicht lag es ja auch daran, dass er sich bei Geburt dieses ganzen Sexiest-Man-Hypes schon in seinen Fünfzigern befand. Wahrscheinlich verkörperte der Mann aber auch eine Überdosis Klischee, was der verdienten Wertschätzung seiner mimischen Leistungen immer wieder im Weg stand.

Dabei gehen auf Redfords Konto Filme von geradezu epischer Nachhaltigkeit. „Zwei Banditen – Butch Cassidy And The Sundance Kid“ (1969), sein Debüt, in dem er die Wurzeln für sein Image als sympathisches Raubein oder wahlweise moralisch integre Figur legte und in dem er zusammen mit seinem Buddy Paul Newman Eisenbahnen und Banken ausraubte. Oder die wunderbare Gaunergeschichte „Der Clou“ (1973), seine erste Oscar-Nominierung, wieder mit Newman. Noch eine Ecke wichtiger wirkt retrospektiv die Zusammenarbeit mit Regisseur Sydney Pollack, mit dem er innerhalb von zwei Jahrzehnten gleich sechs Filme drehte: „Jeremiah Johnson“ (1971), „So wie wir waren“ (1973), „Die drei Tage des Condor“ (1975), „Der elektrische Reiter“ (1979), „Jenseits von Afrika“ (1985) und „Havanna“ (1990).
Charles Robert Redford steckte lange Zeit in einer tiefen Sinnkrise
Dabei hatte Charles Robert Redford lange Zeit in einer tiefen Sinnkrise gesteckt. Nach rebellischen Jugendjahren, in denen er sein Sportstipendium schmiss, Alkoholexzesse sowie Suizidtendenzen durchlebte und sich monatelang als gescheiterter Maler in Europa durchschlug, verschlug es ihn 1959 eher aus Verzweiflung zu einem Vorsprechtermin an der American Academy of Dramatic Arts in New York. Last Exit Big Apple.
Seither begleitet ihn eine rebellische, nonkonformistische Grundhaltung, die er bis zum letzten Tag beibehielt. Er ließ kein gutes Haar an den Präsidenten George W. Bush und vor allem Donald Trump, galt als leidenschaftlicher Umweltschützer. „Hollywood war zu keiner Zeit mein Traumziel“, gestand er 2013. Den Starrummel habe er nie richtig ernst nehmen können. „Ich wurde nebenan geboren“, betonte Redford, und meinte dabei das kalifornische Santa Monica am Rand der Filmmetropole, wo er als Sohn eines Buchhalters in einfachen Verhältnissen aufwuchs.

Doch sein Gesicht kann man eben nicht gegen eine – typisch deutscher Ausdruck – „Hackfresse“ eintauschen, wie sie nun mal Jean-Paul Belmondo oder Gene Hackman hatten und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – Erfolge feierten. Es öffnete ihm vielmehr Türen, durch die er eigentlich nie hatte gehen wollen. Dann halt was draus machen, Position beziehen. Als Hauptdarsteller in der Wahl-Satire „Bill McKay – Der Kandidat“ zum Beispiel setzte er schon 1972 ein politisches Ausrufezeichen. In „Die Unbestechlichen“ von 1976 vermittelte Redford an der Seite von Dustin Hoffman als journalistischer Spürhund der Washington Post auch ehedem unpolitischen Menschen das ganze abgrundtiefe Ausmaß des Watergate-Skandals, der schlussendlich Richard Nixon zu Fall brachte. Spätestens ab da galt er als eines der Gesichter der gesellschaftskritischen „New Hollywood“-Bewegung.
Es gab auch den anderen Redford, den glühenden Liebhaber
In seinem ziemlich wortlastigen Drama „Von Löwen und Lämmern“ (2007) legte er den Finger direkt in die Wunde, thematisierte die Inkompetenz und Kriegslust Washingtons sowie die fatalen Folgen von unkritischem Journalismus und Fernsehverdummung. Solche Rollen verkörperte er mit wachsender Hingabe und hätte am liebsten ausschließlich damit seine Popularität und seinen Wohlstand begründet.
Doch es gab auch noch den anderen Redford, den glühenden Liebhaber, der mit Mia Farrow in „Der große Gatsby“ (1974) oder an der Seite von Meryl Streep in „Jenseits von Afrika“ Frauen zum Träumen brachte. So mutierte er zum Golden Boy des amerikanischen Kinos, doch ihm gefielen die Strukturen und Abläufe der Traumfabrik immer weniger, sodass er irgendwann beschloss, Filme ganz nach seinem Gusto als Regisseur zu entwerfen. Neun Stück davon gehen allein auf sein Konto, sein Debüt gab er 1980 mit dem Familiendrama „Eine ganz normale Familie“, für das er auf Anhieb einen Oscar als bester Regisseur einheimste, ganz zu schweigen von drei weiteren Trophäen, die der Streifen bekam, unter anderem auch für den besten Film.

Damit schien der Rollenwechsel vollzogen. Robert Redford machte sich fortan rar, allenfalls im Gefängnisfilm „Brubaker“ (1980), in „Der Unbeugsame“ (1984) sowie in der Komödie „Staatsanwälte küsst man nicht“ (1985) ließ er vorübergehend sein Zahnpastalächeln aufblitzen. Dafür saß er auf dem Regiestuhl. Und für „Milagro, der Krieg im Bohnenfeld“ (1987), der Adaption eines Romans von John Nichols, und vor allem für „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ (1992) und bei „Quiz Show“ gab es abermals Oscar-Nominierungen. Zu seinen großen Werken zählen auch „Der Pferdeflüsterer“ (1998) und „Die Legende von Bagger Vance“ (2000).
Vielleicht legt ein Mann, dessen Name jahrzehntelang für schön und sexy stand, besonders viel Wert auf Respekt. Redford drehte also 1979 „Ordinary People“, ein leises Familiendrama über eine Frau, die den einen Sohn verloren hat und den anderen nun nicht mehr lieben kann. Er wollte das Kino verändern, seine Liebe galt eher Sozialdramen als Blockbustern. Und so gründete er in Utah ein Institut und das „Sundance“-Festival, um das unabhängige Filmemachen zu fördern; kleine, ambitionierte Projekte, bei denen es nicht darum ging, möglichst viel Geld zu verdienen. „Sundance“ avancierte zu Beginn der 1990er-Jahre, mehr als ein Jahrzehnt nach seiner Gründung, zu einem der wichtigsten Festivals der Welt.


Er habe nichts gegen das Mainstream-Kino, bekannte er 2016. Doch ihm komme es vor allem darauf an, die Vielfalt von Independent-Produktionen zu unterstützen. „Vielfalt kommt von dem Wort Unabhängigkeit, nach diesem Prinzip arbeiten wir.“ Denn für ihn rauschte die Kultur stets in kleinen Dosen vorüber, was zunehmend zu sozialer Kälte führt, weil keiner mehr Zeit hat, etwas zu fühlen. Redford galt allzeit als Sonderfall auf dem strahlenden Olymp der Filmstars. Die öffentliche Figur sollte nie etwas tun und drehen, was der Mann dahinter nicht rechtfertigen konnte.
Robert Redford war auch Umweltaktivist
Für seinen Biografen Michael Feeney Callan war Redford ein Mann, der wie Sartres Oreste in „Die Fliegen“ weiß, dass seine Handlungen die einzige passende Beschreibung für ihn sind. Als junger Schauspieler hatte er sich vorgenommen, nie das zu werden, was die Menschen in einen Schauspieler hineininterpretieren. Stattdessen wurde der Schauspieler und später der Regisseur das, was Redford in ihn hineininterpretierte. Es gibt tatsächlich eine Schlüsselszene, in der überdeutlich zum Vorschein kommt, was er meinte, wie er verstanden werden wollte. Wenn sein Joe Turner in „Die drei Tage des Condor“ die CIA bei einer Verschwörung ertappt und ihr aufs Butterbrot schmiert: „Ihr glaubt doch, beim Lügen nicht erwischt werden und die Wahrheit sagen, sei dasselbe“.

Markant auch sein beinahe wortloses Solo in „All Is Lost“ von 2014, in seinem trockenen Realismus, in seinem unsentimentalen Hinschauen natürlich inspiriert von Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Tagelang kämpft der Mann. Um sein Schiff, um sein Leben. Gegen die Natur, die keine Spur von Anteilnahme zeigt und gegen den Sturm, der sich einfach nicht legen will. Jetzt liegt er erschöpft in seinem Rettungsfloß, einen Kanister mit Trinkwasser konnte er retten und nun will er sich endlich einen Schluck gönnen. Aber Salzwasser hat die vielleicht rettende Ration verseucht. Nie kam im Angesicht seiner verzweifelten Lage ein Ton über die Lippen des Mannes, sogar beim Anblick seines versinkenden Schiffes schwieg er. Jetzt aber lehnt er sich zurück und schreit, krächzend zunächst und dann mit der Kraft der Verzweiflung: „Fffffuuuuuuck!“. Es bleibt eines der wenigen Worte, die Redford in seiner größten Spätrolle sagte.

Der Umweltaktivist, der seinen Weckruf nach eigenem Bekunden 1989 bei einer Konferenz in Denver erlebte, als zwei Wissenschaftler vor der Erderwärmung warnten, besaß gegenüber dem Regiment des Geldes stets eine gesunde Skepsis. Er unterstützte die Demokraten, eher dem linken Flügel zugehörig, sprach sich, noch bevor Hillary Rodham Clinton 2016 zur Präsidentschaftskandidatin gekürt wurde, mehrfach für eine Frau an der Spitze der USA aus. Das liberale, weltoffene, freie Amerika, für das er stand, verschwand jedoch in den vergangenen Monaten fast vollständig. Noch 2018 bezirzte er noch einmal die Massen in „Ein Gauner & Gentleman“ als greiser Bankräuber Forrest Tucker, 2019 gab es schließlich im Superhelden-Spektakel „Avengers: Endgame“ einen finalen Auftritt in der Nebenrolle als Agent Alexander Pierce – einem Bösewicht. Ende 2020, kurz nach dem Krebstod seines Sohnes Jamie, verkaufte er das „Sundance“-Resort, ein Ski-Resort in Utah, denn es sei nicht gut, wenn man den eigenen Ruhestand verkünde, weil sich kaum einer daranhält.
Seiner hat sich, nach und nach, im Off vollzogen. Am Dienstagmorgen ist Robert Redford, der seit 2009 mit seiner langjährigen deutschen Freundin, der Malerin Sibylle Szaggars, verheiratet war, fernab des ganzen Rummels in seinem Landhaus in Utah im Alter von 89 Jahren friedlich eingeschlafen.
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