Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter. So erwartet das Statistische Bundesamt, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland bis zum Jahr 2055 um 37 Prozent zunimmt. Viele Menschen wollen im Alter möglichst lange selbstständig bleiben und nicht in in ein Pflege- oder Altersheim ziehen. Deswegen bilden sich hierzulande neue Wohnformen heraus. Ein prominentes Beispiel dafür ist die sogenannte Pflege-WG.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will solche alternativen Wohnformen besser fördern und dafür die Trennung zwischen stationärer und ambulanter Pflege aufheben. Doch in der Pflegebranche stößt Lauterbachs Plan nicht nur auf Zustimmung.
Pflege-WG: Was bedeutet stambulante Versorgung?
Wenn man in Deutschland pflegebedürftig wird, hat man vereinfacht gesagt zwei Möglichkeiten: Entweder lässt man sich zu Hause pflegen oder man sucht sich einen Platz in einem Pflegeheim.
Diese Trennung zwischen ambulanter Pflege zu Hause und stationärer Pflege in einem Heim will Gesundheitsminister Karl Lauterbach nun aufheben und eine dritte Pflegeform in Deutschland einführen: die stambulante Pflege.
Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erklärt Lauterbach, dass die stambulante Versorgung eine Alternative sowohl zum betreuten Wohnen als auch zu den klassischen Pflegeheimen darstellen soll. „Die Menschen sollen bis zu ihrem Lebensende in den eigenen vier Wänden bleiben können, auch wenn sie stark pflegebedürftig sind – betreut von Pflegediensten und Angehörigen.“
Die gesetzlichen Grundlagen sollen noch im Sommer 2024 geschaffen werden. In diesem Zuge sollen auch die Befugnisse von Pflegekräften erweitert werden.
Neu sind solche Mischformen aus ambulanter und stationäre Pflege nicht. Schon heute existieren in Deutschland etwa sogenannte Pflege-WGs, also Wohngemeinschaften von pflegebedürftigen Menschen, die ambulant betreut werden.
Doch wie die Evangelische Zeitung berichtet, will Lauterbach für die stambulanten Pflege künftig einen eigenen Sektor schaffen. Das stößt bei vielen Menschen aus der Pflegebranche auf Kritik. Manche befürchten sogar eine „bürokratische Zumutung“.
Angst vor Bürokratie: Kritik an Lauterbachs Plänen zur stambulanten Pflege
Dass man die stambulante Versorgung in Deutschland stärker fördern und ausbauen sollte: Darüber scheint man sich in der Pflegebranche einig zu sein.
- Wie die AOK berichtet, hat Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes Vdk, Lauterbachs Konzept als „Entwicklung in die richtige Richtung“ gelobt.
- Wilfried Wesemann, der Vorstandschef des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege (DEVAP), sprach sogar von einem „längst überfälligen“ Schritt.
Allerdings fürchten Viele in der Branche, dass Lauterbachs Gesetzesentwurf ein bürokratischen Ungetüm werden könnte. So hat der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt, der Vorschlag sei zwar „gut gemeint, aber im Ergebnis sogar gefährlich“.
O-Ton Rothgang: „Im Moment haben wir zwischen der ambulanten und der stationären Pflege eine Grenze, an der es schon knirscht. Künftig haben wir zwei Grenzen, da wird es doppelt knirschen.“
Bernhard Schneider von der Evangelischen Heimstiftung warnt in einer Pressemitteilung vor einer »bürokratische Zumutung«. Es werde am bestehenden System weiter herumgedoktert und ein neuer stambulanter Sektor eingeführt. „Das macht es weder für Kunden noch für die Leistungsanbieter einfacher: Es wird neue Abgrenzungsprobleme und Diskussionen mit Leistungsträgern und Heimaufsichten geben – Bürokratie, die nun wirklich niemand gebrauchen kann.“
Kritik an Lauterbachs Plänen zur stambulanten Pflege: Wo sollen die Pflegekräfte herkommen?
Die Pflegeexpertin Anastasia Kirjanow lobt in einem Interview mit az-online.de Lauterbachs Idee, den Pflegekräften mehr Befugnisse zu erteilen. „Derzeit sind Pflegefachkräfte durch strenge Vorschriften eingeschränkt, was die Durchführung bestimmter pflegerischer oder medizinischer Tätigkeiten ohne ärztliche Anwesenheit betrifft.“
Solche Einschränkungen würden die Effizienz und Flexibilität der ambulanten Pflege erheblich beeinträchtigen, so Kirjanow weiter. Denn für viele Aufgaben müsse ärztliches Personal hinzugezogen werden. „Auch wenn die Pflegefachkraft grundsätzlich über die notwendigen Qualifikationen verfügt.“
Allerdings fragt sich Kirjanow auch, „wo die benötigten Fachkräfte überhaupt herkommen sollen.“ Schon jetzt herrsche eine akuter Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. In Zukunft könne der sich sogar noch verschärfen, wenn die Baby-Boomer in Rente gehen. „Es bleibt demnach unklar, wer letztendlich für die Betreuung der stambulanten Versorgung verantwortlich sein wird.“
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