Ein friedliches Idyll irgendwo am Stadtrand von Kiew. Dichter Wald erstreckt sich am Horizont, davor liegt eine sattgrüne Wiese. In der Ferne summt der Verkehr der nahen Stadtautobahn. Plötzlich sirrt es in der Luft. Drohne im Anflug. Pfeilschnell und knapp über Kopfhöhe. Dann steigt sie rasant nach oben und macht eine Rolle in der Luft. Kurzer Sturzflug, die Drohne steht für Sekunden in der Luft. Schließlich Punktlandung vor einem schwarzen VW-Bus, an dem ein mächtiges Banner befestigt ist. „VYRIY – drone workshop“ steht in weißen Lettern auf schwarzem Grund, darüber schwebt aufgedruckt eine stilisierte Drohne. Die echte wirbelt noch ein wenig Staub und trockenes Erdreich auf, bevor die vier Rotoren zum Stillstand kommen.
Dmytro Babenko macht ein zufriedenes Gesicht. Heute ist internationale Presse da. Er will zeigen, was seine Drohnen leisten. Ein finnischer Fotograf und ein deutscher Reporter haben ihre Kameras in der Hand. Dann sind da noch ein paar Interessenten, die sich nicht vorstellen. Babenko (26) ist Jungunternehmer. Eine Windböe fährt durch das dunkle Haar des jungen Mannes, der mit seiner Tolle ein wenig an Elvis Presley erinnert.
In den vergangenen Tagen hat das russische Militär Hunderte Drohnen über die Ukraine gejagt
Doch das Thema taugt wenig, um Vergleiche mit verblichenen Stars der Rockgeschichte zu ziehen. Es geht um den fliegenden Tod. Um Drohnen und einen unbarmherzigen Entwicklungs-Wettlauf in der Luft, der mit kriegsentscheidend sein kann. Es gibt nahezu keinen Tag mehr ohne Drohnenangriffe – in beide Richtungen. Allein in den vergangenen Tagen hat das russische Militär Hunderte der kleinen Waffen über die Ukraine gejagt. Mit verheerenden Folgen gerade für die Zivilbevölkerung.
2022 zu Beginn der russischen Invasion half Babenko als Freiwilliger, Menschen aus den beiden Kiewer Vororten Irpin und Butscha zu retten, in denen in der kurzen Besatzungszeit mehr als 500 Zivilistinnen und Zivilisten von russischen Soldaten getötet wurden. Insgesamt 1400 Menschen wurden in der Region Kiew ermordet. Die Brutalität der Invasoren traf Babenko tief ins Mark. Der Schock wirkt bei ihm bis heute nach. „Ich wollte etwas tun, um unser Land zu verteidigen“, sagt der Mann, der sich damals nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und der Coronapandemie mit einem Nachhilfestudio selbstständig gemacht hatte.

Schnell brachte der Krieg eine neue Waffengattung ins Spiel: Drohnen. „Startups schossen damals wie Pilze aus dem Boden, die recht primitive Drohnen anboten“, erinnert sich der 26-Jährige. Gemeinsam mit seinem Bruder gründete auch er eine kleine Firma zur Drohnenproduktion. Der Markt ist herausfordernd. „Die meisten sind heute nicht mehr existent. Geblieben sind diejenigen, die innovativ und leistungsstark sind“, sagt er. Dann nimmt er eine der ausgestellten Drohnen samt angeheftetem olivgrünen Kunststoffcontainer in seine Hände. „Darin ist ein extrem dünnes Glasfiber-Kabel aufgerollt. Die Verbindung zum Piloten“, erklärt Babenko.
Babenko sagt: „Leider muss man es so sagen, bei kabelgesteuerten Drohnen sind uns die Russen noch einen Schritt voraus“
Ortswechsel, Frontstadt Pokrowsk im Osten der Ukraine. Mit vollem Tempo und heulendem Motor fährt ein Wagen der ukrainischen Armee durch eine menschenleere Stadt. Wohnblocks, bei denen Explosionen ganze Stockwerke zum Einsturz gebracht haben, ziehen an den Fenstern vorbei. Überall liegen Wracks ausgebrannter Wagen. Drohnentreffer. Auf dem Dach des Geländewagens sind die Antennen von Störsendern aufgeschraubt. „Nur sie helfen nicht, wenn Kamikaze-Drohnen über Glasfiber-Kabel statt Radiowellen gesteuert werden“, sagt Soldat Dimitri.
Der 33-Jährige kämpft als Drohnen-Pilot, gerade endet seine Schicht. Das Fahrzeug bringt sein Team nun wieder in sicheres Gebiet. Ein Keller in einem verlassenen Wohnblock ist die „Kommando-Zentrale“ in Pokrowsk. Vor dem Block lassen er und seine Kameraden mehrmals in der Nacht eine große Transport-Drohne in die Dunkelheit steigen, die Munition und Lebensmittel zur Infanterie in der ersten Linie bringt. Oder Granaten auf die Angreifer abwirft. „Keine Chance, über die Straße die Kameraden zu versorgen. Unsere Transporter werden dann von russischen Kamikaze-Drohnen gejagt“, erklärt er. Dann herrscht Stille. Denn auch jetzt könnte jeden Augenblick eine Drohne einschlagen.
Daran erinnern nicht nur die Autowracks. Ab und an gleißen im Licht der untergehenden Sonne silberne Schnüre in Grünflächen, am Straßenrand oder in Bäumen. Die Glasfaserkabel von Drohnen, die bereits niedergegangen sind. Mittlerweile tauchen in den sozialen Netzwerken schon Fotos auf, die zeigen, wie Vögel die Kabel zum Netzbau verwenden. Ein Krieg nimmt oft bizarre Formen an.
Mehr als 600 Kilometer entfernt in Kiew sagt Babenko: „Leider muss man es so sagen, bei kabelgesteuerten Drohnen sind uns die Russen noch einen Schritt voraus. Wir arbeiten daran, die Reichweite zu vergrößern. Aber das bedeutet mehr Kabel, daraus folgt mehr Gewicht. Das erfordert stärkere Rotoren, eine größere Drohne, leistungsfähigere Batterien, etc.“ Die Entwickler setzten daher vermehrt auf künstliche Intelligenz. Sie soll in Zukunft Drohnen effizienter und weniger störanfällig machen. „KI kann zum Beispiel die Steuerung übernehmen, wenn Störsender den Kontakt zum Piloten abbrechen. Oder für mehr Zielgenauigkeit auf den letzten Metern sorgen“, sagt er. „KI-Drohnen in Verbindung zum Beispiel mit Quantencomputing, das wird viel verändern. Die Entwicklung nimmt immer mehr Fahrt auf.“
In der Ukraine ist längst eine eigene und erfolgreiche Rüstungsindustrie entstanden
Innovation ist der Schlüssel. In der Ukraine ist längst eine eigene und erfolgreiche Rüstungsindustrie entstanden. Sie ist überlebenswichtig, um dem russischen Aggressor zu widerstehen. Babenko nutzt zur Herstellung verschiedener Teile der Drohnen den 3D-Drucker. Generell gilt es, möglichst autark bei der Produktion zu sein, soweit wie möglich Teile aus ukrainischer Produktion zu verwenden. „Diese Drohne besteht fast ausschließlich aus ukrainischen Teilen“, erklärt der Jungunternehmer stolz und hält eine Kamikaze-Drohne hoch.
Die Nachfrage ist groß: 66 Prozent der erfolgreichen ukrainischen Angriffe auf russische Militärtechnik entfielen zu Beginn des Jahres auf Drohneneinsätze, macht der ukrainische Oberbefehlshabers Oleksandr Syrskyj die Bedeutung der Waffe klar. Nach eigenen Angaben hat der ukrainische Staat 96 Prozent seiner Drohnen bei heimischen Produzenten gekauft, Unternehmen wie das von Babenko. Im Angebot ist ein umfangreiches Spektrum, das primitive Einwegmodelle über Aufklärungs- bis hin zu Kamikazedrohnen mit Hunderten Kilometern Reichweite abdeckt. Dazu kommen Unterwasserdrohnen und die fortschreitende Entwicklung von Robotersystemen.

Die Regierung wirbt um ausländische Investoren, die vor Ort produzieren lassen. Rheinmetall baut eine Munitionsfabrik. Quantum-Systems, ein Unternehmen aus Gilching im Kreis Starnberg, ist in der Ukraine in die Drohnenproduktion eingestiegen. Der französische Automobilhersteller Renault könnte bald nachziehen. Experten haben der deutschen Politik, aber auch der Industrie vorgeworfen, die Drohnen-Entwicklung verschlafen zu haben und gefordert, dass man auf diesem Gebiet dringend aufholen müsse.
Das aktuelle militärische Unterstützungspaket Deutschlands für die Ukraine hat einen Wert von rund fünf Milliarden Euro und kommt mit einem Novum: Mit der Finanzierung von sogenannten Deep Strike Drohnen „Made in Ukraine“ wird die Produktion einer Waffengattung gefördert, deren Reichweite tief in das russische Territorium dringt. Weiter investiert Deutschland erstmals direkt in die Rüstungsproduktion der Ukraine. Eine Vereinbarung wurde Ende Mai zwischen den deutschen und ukrainischen Verteidigungsministern Boris Pistorius und Rustem Umerov geschlossen. Im Gespräch könnten die Deep Strike Drohnen des Typ BARS oder AN-196 Liutyi sein. In einem Interview mit BBC Ukraine nannte der Minister für strategische Industrien, Herman Smetanin, eine Reichweite von 700 bis 800 Kilometern für das als „Raketendrohne“ bezeichnete BARS-Waffensystem.
Auch in der Hauptstadt Kiew sterben bei vielen der Angriffe Menschen, Gebäude brennen
Derweil fährt Russland seine „Geran-2“-Produktion hoch. Die Langstecken-Drohne basiert auf der iranischen Shahed-Drohne. Jedoch führt sie eine größere Sprengladung mit sich. Mittlerweile werden Gerans mit Jet-Antrieb produziert. Der „Vorteil“ zum bisherigen Propeller-Antrieb: Sie sind dann zu schnell, fliegen zu hoch, um von der ukrainischen Flugabwehr „kostengünstig“ mit dem Maschinengewehr abgeschossen zu werden. Die Gerans haben ihr Ziel fest einprogrammiert. Jedoch sind modifizierte Varianten mit einem Lichterkennungssystem ausgestattet. Werden die Drohnen bei den nächtlichen Angriffen vom Lichtkegel der Flugabwehr-Scheinwerfer erfasst, folgt ein Ausweichmanöver.
„Fast jede Nacht müssen wir derzeit Angriffe mit Shaheds und Raketen auf Kiew und viele andere ukrainische Städte abwehren“, erinnert Babenko an die Angriffswelle aus der Luft, mit der Russland seit Wochen verstärkt die Menschen der Ukraine terrorisiert. Auch in der Hauptstadt Kiew sterben bei vielen der Angriffe Menschen, Gebäude brennen.
Der jüngste ukrainische Coup, bei dem Hunderte von Kamikaze-Drohnen zahlreiche Bomber tief im russischen Hinterland zerstörten und schwerst beschädigten, ist ein Mutmacher für die geplagte Bevölkerung. Die Drohnen wurden mit Lastwagen nahe ihres Zielorts geschmuggelt. Jetzt schickt Putin noch mehr Raketen und Drohnen auf zivile Ziele in der Ukraine. Es sind laute Nächte, die Babenko dezeit in seiner Heimatstadt erlebt.
Beobachter rechnen damit, dass die Ukraine 2025 bis zu 1,5 Millionen Kamikaze-Drohnen für die Front produzieren wird
Für Dmytro Babenko zeigt der Erfolg der Drohnen in Russland erneut, wie wichtig die Waffe ist, die er entwickeln und produzieren lässt. Beobachter rechnen damit, dass die Ukraine 2025 bis zu 1,5 Millionen Kamikaze-Drohnen für die Front produzieren wird. Der Preis für eine Funk-Drohne liegt bei 500 Euro das Stück, eine Glasfaser-Drohne kostet das Doppelte.
„Das Ausmaß der Zerstörung, die sie anrichten können, ist um ein Zigfaches höher als ihre Herstellungskosten. Eine Kamikaze-Drohne kann einen Grad-Raketenwerfer zerstören, der unsere Häuser in Asche legt“, sagt Babenko. „Oder einen Bomber, der auf unsere Kinder Gleitbomben wirft. Baue ich gute Drohnen, schütze ich das Leben unserer Soldaten. Viele meiner Freunde kämpfen. Das bedeutet Verantwortung für mich. Der Krieg hat mir eine Aufgabe gegeben.“
Was russische Besatzung bedeutet, habe er 2022 in Irpin gesehen. Daran erinnert er bei der Verabschiedung.
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