Umweltvorgaben aus Brüssel genießen in einigen Zirkeln aktuell einen schlechten Ruf, EU-Politiker halten sich deshalb auffallend zurück mit neuen Forderungen und pochen lieber auf den Um- oder Abbau bestehender Regeln. Dabei leidet die Natur auf dem Kontinent unter Stress. Zu diesem Schluss kommt der jüngste Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA). Der Zustand der Umwelt in Europa sei „insgesamt kritisch“ trotz erheblicher Fortschritte bei der Verringerung der Treibhausgasemissionen und der Luftverschmutzung.
Nicht nur stünden die Wasserressourcen kräftig unter Druck. Auch etwa 81 Prozent der geschützten Lebensräume seien in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand, heißt es in der Analyse, die sich auf Daten aus 38 europäischen Ländern stützt, darunter auch Norwegen, die Schweiz oder die Türkei, und alle fünf Jahre veröffentlicht wird. Ob übermäßige Nutzung von Böden, Artensterben oder die Folgen des zunehmenden Klimawandels, etwa durch Extremwetter wie Dürren oder Überschwemmungen – die aktuellen Trends seien „besorgniserregend und bergen erhebliche Risiken für den wirtschaftlichen Wohlstand, die Sicherheit sowie die Lebensqualität in Europa“, warnen die Autoren.
EEA-Bericht: Neue Straßen und Wohngebiete lassen Lebensräume für Tiere und Pflanzen schrumpfen
Sie fordern, bereits vereinbarte Richtlinien und Maßnahmen dringend und rasch umzusetzen. Eine Verzögerung der Klimaziele würde „zu höheren Kosten, vertieften Ungleichheiten und geringerer Resilienz führen“, sagte auch die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Teresa Ribera.
Die EEA mahnte an, dass durch den Bau neuer Straßen oder Wohngebiete die Lebensräume für Pflanzen und Tiere schrumpften. Zudem hänge der Verkehrssektor noch immer stark von fossilen Brennstoffen ab. Hauptverantwortlich für die „größte Belastung für Oberflächen- und Grundwasser“ sei derweil die industrielle Landwirtschaft. Nur neun Prozent der Gewässer in Deutschland erfüllen laut Agentur die EU-Qualitätsstandards, befinden sich also in einem guten Zustand. EU-weit sind es ebenfalls nur 38 Prozent der Seen, Flüsse und Küstengewässer, die als ökologisch in Ordnung eingestuft werden. Den Wassersystemen setzten Fischerei, Tourismus und wirtschaftliche Nutzung zu.
Jutta Paulus, Grüne: „Stilles Maßensterben“
Während die EEA ihre Bewertung einigermaßen diplomatisch verpackte, sprach die grüne EU-Abgeordnete Jutta Paulus von einem „stillen Massensterben“, das Europa erlebe. „Mit jeder totgedüngten Wiese, jedem sterbenden Wald und jedem ausgetrockneten Fluss verlieren wir nicht nur ein Stück Natur, sondern auch das Fundament unserer Ernährungssicherheit“, so Paulus. Verschwinden etwa Bestäuber, „wird Obst und Gemüse unbezahlbar“. In Deutschland sei heute bereits ein Viertel aller Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.
Dem Bericht zufolge erzeugen die Menschen in der Bundesrepublik auch immer mehr Abfall, die Wälder stünden „unter zunehmendem klimabedingtem Stress“. Und obwohl Deutschland ein Augenmerk auf erneuerbare Energien lege, setze man im Verkehr und beim Heizen nach wie vor zu stark auf fossile Brennstoffe.
Es gibt auch Fortschritte: Saubere Luft, mehr erneuerbare Energie
Trotzdem, die EEA hatte auch gute Nachrichten zu melden. Im Kampf gegen den Klimawandel sei der Staatenbund weltweit führend. So sanken die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen seit 1990 um 37 Prozent, vor allem weil die Mitgliedstaaten weniger fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas nutzen. Gleichzeitig verdoppelte sich in den letzten 20 Jahren der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung. Zudem gebe es „deutliche Fortschritte“ beim Recycling von Müll und der Ressourceneffizienz, die Luftqualität habe sich verbessert.
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