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Nationalhymne in der Debatte: Warum Brechts „Kinderhymne“ keine Alternative ist

Kommentar

Brechts „Kinderhymne“ ist keine Alternative: Die Nationalhymne braucht keinen neuen Text

Stefan Dosch
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    Volksmusikinterpret Heino 1977 in einem Studio, in dem er die Nationalhymne einsang.
    Volksmusikinterpret Heino 1977 in einem Studio, in dem er die Nationalhymne einsang. Foto: Horst Ossinger, dpa

    Welches Datum wäre mehr geeignet, über Fragen nationaler Repräsentation zu sprechen, als der 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit? Wohlan denn: Ein paar Wochen ist es her, da hat der Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow in einem Interview einen alten Vorschlag aufs Tapet gebracht. Nämlich den aktuellen Text der Deutschen Nationalhymne zu ersetzen durch einen anderen, „einen wunderbaren Text“, wie der Linken-Politiker findet. Gemeint ist Bertolt Brechts „Kinderhymne“. Künftig also, ginge es nach Ramelow, „Anmut sparet nicht noch Mühe“ anstatt „Einigkeit und Recht und Freiheit“.

    Der Wechsel von der dritten Strophe des „Deutschlandlieds“ zur „Kinderhymne“ ist, wie gesagt, als Idee nicht neu, schon 1990 war er im Zuge der Wiedervereinigung ins Spiel gebracht worden. Brecht hatte sein Gedicht 1950 in Ost-Berlin geschrieben in Reaktion auf eine Initiative des Bundeskanzlers Konrad Adenauer, der bei einem öffentlichen Anlass im Westen der Stadt die dritte Strophe des „Deutschlandlieds“ hatte singen lassen. Brecht nimmt in der „Kinderhymne“ denn auch direkt Bezug auf das 1841 entworfene „Lied der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, allerdings nicht auf die dritte Liedstrophe – die der heutigen Nationalhymne –, sondern auf die erste. Auf das dortige „Deutschland, Deutschland über alles“ spielt Brecht an mit seinen Versen „Und nicht über und nicht unter / Andern Völkern wolln wir sein“. Und wird noch deutlicher, wenn er das Gebiet der Deutschen nach dem verlorenen Weltkrieg realistisch absteckt: „Von der See bis zu den Alpen / Von der Oder bis zum Rhein“. Während es bei Hoffmann in Strophe eins lautet: „Von der Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt“ – was denn auch die bevorzugte Strophe der Nazis war.

    Die „Kinderhymne“ in einem Staatssymbol der Bundesrepublik

    Interessant an Ramelows Vorschlag zum Texttausch ist die Begründung. Er kenne viele Ostdeutsche, die „die Nationalhymne aus vielerlei Gründen nicht mitsingen“. Näher hat er das nicht ausgeführt. Anzunehmen aber ist, dass Ramelow, ehemals thüringischer Ministerpräsident, Bezug nimmt auf ein verbreitetes Gefühl in den ostdeutschen Ländern, bei der Wiedervereinigung 1990 vom Westen regelrecht einverleibt worden zu sein. Die Einsetzung der „Kinderhymne“ in ein Staatssymbol der Bundesrepublik durch einen Autor, der in seinen späten Jahren „im Osten“ lebte und schrieb, wäre, insinuiert der Vorschlag, so etwas wie ein Akt des Ausgleichs.

    Spricht noch mehr für die „Kinderhymne“? Immerhin, der Duktus ihrer Verse folgt genau demjenigen des „Deutschlandlieds“, ließe sich also problemlos zur Haydn-Melodie der Nationalhymne singen (Hanns Eislers Brecht-Vertonung stellt Ramelow nicht zur Diskussion). Anders verhält es sich mit dem zeithistorischen Hintergrund der „Kinderhymne“. Brecht nimmt in den vier Strophen seines Gedichts unmissverständlich Bezug auf die Situation des Wiederaufbaus in der DDR – die Sammlung seiner „Kinderlieder“, zu denen auch die „Kinderhymne“ zu zählen ist, steht in engem Zusammenhang mit der Ausrichtung der ostdeutschen Jugend auf die Zwecke der Einheitspartei.

    Rückbezug auf die DDR

    Ist es wirklich das, was den von Ramelow genannten „vielen“ im heutigen Osten Deutschlands wirklich vorschwebt: Die Erinnerung an die DDR, ein mit Brecht erfolgender Rückbezug auf einen Staat, dem sein Volk nach Jahrzehnten in eigener Ermächtigung den Rücken kehrte?

    Hinzu kommt: Muss eine Auswechslung des Nationalhymnen-Textes nicht seltsam erscheinen, wo es bei Brecht doch heißt, umliegende Völker sollten „nicht erbleichen / Wie vor einer Räuberin“? Das mag 1950 und im Eingedenken eines von den Deutschen zerstörten Europas geboten gewesen sein. Doch steht die Bundesrepublik nunmehr im achten Jahrzehnt auf den Füßen einer nicht nur freiheitlich-demokratischen, sondern auch friedlichen Grundordnung.

    Die aktuelle Hymne singt Ramelow „mit Begeisterung“

    Schließlich dürfte es auch von kritischen Ostdeutschen in der Sache nichts einzuwenden geben gegen die Kernaussage des 1991 von Bundespräsident Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl erneut festgeschriebenen Texts der Nationalhymne, die dritte Strophe des „Deutschlandlieds“: „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Das hat auch Bodo Ramelow zugegeben, der seinen eigenen Worten zufolge die aktuelle Hymne „mit Begeisterung“ singt – weil, argumentiert der Bundestagsvizepräsident, er sie, die Hymne, „einordnen könne“.

    Vielleicht wäre ja hier anzusetzen, beim „Einordnen“. Beim Vermögen der Staatsbürger in Ost und West, die historischen Wege und Sackgassen der Deutschen Nationalhymne mit Hoffmanns Text in ihren hellen und dunklen Varianten – bis 1945 war es ja auch die Nationalhymne der Ostdeutschen – nachvollziehen zu können. Die Hymne als Geschichtsexempel über eineinhalb Jahrhunderte hinweg – Brechts „Kinderhymne“ könnte das nicht leisten.

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