Ja, die Wandlung, die Kanzleraspirant Friedrich Merz in den vergangenen Tagen seit der Bundestagswahl hingelegt hat, ist atemberaubend. Noch vor wenigen Tagen waren neue Schulden für den Aufbau der ramponierten deutschen Infrastruktur Teufelszeug linksgrüner Ampelminister, heute fordert der CDU-Chef im trauten Einklang mit der Esken-Klingbeil-SPD mal eben 500 Milliarden Euro für Straßen, Bahn, Schulen und Kitas. Und wen braucht Merz, um das Mega-Projekt in den nächsten Wochen noch rasch mit den alten Mehrheiten durch den Bundestag zu bekommen? Richtig: Ausgerechnet die Grünen, denen CSU-Chef Markus Söder beim Aschermittwoch erneut hämisch die Tür aus der politischen Mitte des Landes gewiesen hat. Es ist keinem zu verdenken, der sich in diesen Tagen fragt, wie das alles noch zusammenpasst.
Abseits dieser Punkte aber ist der Kern des Vorhabens der künftigen Koalitionäre richtig: Es ist gut, dass die Regierung Verteidigungsausgaben, die höher als ein Prozent des Bundesinlandsprodukts sind, künftig von der Schuldenbremse ausnehmen will. Theoretisch kann der Bund damit für die Aufrüstung so viel Geld ausgeben, wie er will. Und genau das ist das Signal, das Deutschland jetzt an Wladimir Putin senden muss. Dieses Signal lautet: Wenn es um unsere Sicherheit geht, um die Fähigkeit unser Land und unsere Partner zu verteidigen, darum, für liberale, weltoffene Demokratie einzustehen, dann gibt es keine finanzielle Obergrenze.
„Whatever it takes“ sagt der Kanzlerkandidat in Anspielung an den ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi, der mit diesen Worten einst die Finanzspekulanten bei ihren Angriffen auf den Euro in die Schranken wies. Was immer nötig ist - das ist nun das Signal aus Berlin an den Kremlherrscher. So weit, so gut.
Merz will Deutschlands Verteidigung stärken – das wirft aber weitere Fragen auf
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass dieses „whatever it takes“ viele weitere, unangenehme Fragen aufwirft, denen man gegenwärtig im politischen Berlin lieber ausweicht. Eine davon betrifft die „Kriegstüchtigkeit“, von der Verteidigungsminister Boris Pistorius schon kurz nach Amtsantritt gesprochen hat. Dabei geht es nicht nur um modernes Waffenwerkzeug, sondern um grundsätzliche Überzeugungen unserer Gesellschaft: sind die Deutschen nach drei Jahrzehnten der Friedensdividende (wieder) bereit, junge Männer (und Frauen) zum Dienst an der Waffe zu verpflichten, einem Dienst, der im Extremfall tödlich enden kann?
Oder, ähnlich grundlegend: Wenn die USA Donald Trumps nicht mehr willens sind, die Europäer vor einen Angriff Putins zu verteidigen, was ist der nukleare Schutzschirm der Amerikaner dann noch wert? Was passiert, wenn Trump die US-Atomwaffen abzieht, die zum Zweck der nuklearen Teilhabe der Deutschen derzeit noch hierzulande lagern? Wenn Kremlherrscher Putin in seiner monströs-darwinistischen Weltsicht allein das Recht des Stärkeren anerkennt – muss Deutschland dann nicht schleunigst nach einer Alternative zum US-Atomschirm suchen?
Es ist Emmanuel Macron zu danken, dass er der Frage einer gemeinsamen europäischen nuklearen Abschreckung offen gegenübersteht. Ein solcher, europäischer Atomschirm sollte auch von der zweiten europäischen Nuklearmacht unterstützt werden, also den Briten. Die sind zwar nicht mehr in der EU, doch diese Gemeinschaft ist ohnehin der falsche Ort, um Verteidigungsfragen zu regeln – allein schon, weil dort einer wie Putin-Freund Viktor Orban mit seinen Vetorecht Entscheidungen nach Belieben verzögern kann
Deutschland selbst hat sich in internationalen Verträgen verpflichtet, auf Kernwaffen zu verzichten und hat sich erst 2023 von der zivilen Nutzung der Atomkraft verabschiedet. Kanzler in spe Friedrich Merz sollte daher auf Macrons Angebot eingehen und dafür eintreten, einen eigenen europäischen Schutzschirm im Rahmen der Nato aufzuziehen, eine europäische Säule der Abschreckung, wenn man so will. Ja, auch das eine Frage, die sich vor ein paar Monaten noch niemand ernsthaft gestellt hat. Aber so ist das eben in diesen neuen Zeiten des „whatever it takes“.
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