Das wechselhafte Wetter in der 6000 Einwohner-Gemeinde Plouay in der französischen Bretagne hatte für Radfahrerin Lisa Brennauer fast schon Symbolcharakter. Mal zogen im Westen Frankreichs (70 Kilometer entfernt von der Kemptener Partnerstadt Quiberon) rabenschwarze Wolken auf, mal schien die Sonne bei dieser Straßen-Europameisterschaft der Radrennfahrer, die für die Duracherin Lisa Brennauer ein Happy End bereithielt.
EM-Gold fehlte noch in Brennauers Titelsammlung
Als frisch gebackene deutsche Meisterin war die 32-Jährige hoch motiviert nach Frankreich gereist. Schließlich fehlte in der Titelsammlung der Allgäuerin auf der Straße noch EM-Gold. 2018 gewann sie im schottischen Glasgow Bronze beim Straßenrennen, vor einem Jahr in Alkmaar (Niederlande) holte sie sich mit den Nationalmannschaftskollegen bei der Premiere des Mixed-Mannschaftszeitfahrens hinter Gastgeber Niederlande Silber.
Vierte im Einzelfahren
Doch nach einem Stockerlplatz ganz oben sah es zunächst nicht aus. Im Einzelzeitfahren verpasste sie als Vierte ganz knapp das Podest. Das, so erzählt Brennauer, sei deshalb besonders ärgerlich gewesen, weil die Drittplatzierte Marlen Reusser aus der Schweiz, für alle offensichtlich das Verbot des Windschattenfahrens nicht allzu genau nahm. Die Jury lehnte den Protest des deutschen Teams aber ab, Lisa Brennauer blieb auf dem undankbarsten aller Plätze. Rückblickend sagt sie: „Nach der mühevollen Anreise war das eine absolute Topplatzierung. Aber bei einer EM zählt eben nur eine Medaille“.
Als läge ein Fluch über der EM
Auch im anschließenden Straßenrennen schien für Brennauer der Wurm drin zu sein. Bei heftigen Regenfällen kam sie zu Sturz („ich hatte keine Chance auszuweichen. Die lagen alle vor mir auf der Straße.“), kämpfte sich 38 Kilometer vor dem Ziel mühevoll zurück, und wurde im Ziel noch Sechste. „Eigentlich auch ein super Platz“, blickt sie zurück. Mit „eigentlich“ meint sie aber konkret: „Ich habe mich gut gefühlt, hatte gute Beine. Ohne den Sturz wäre mehr drin gewesen.“ Wieder war eine Medaillen-Chance futsch.
Und als läge für Brennauer ein Fluch über dieser EM, holte ausgerechnet sie sich in der ersten Runde des Mixed-Mannschaftsrennens einen Plattfuß. „Die Jungs sind ein super Rennen gefahren, danach haben wir Mädels auf die Schweizerinnen einen richtig guten Vorsprung herausgefahren“, erinnert sich Brennauer noch genau an den emotionalen Tiefpunkt des Rennens. „Am Fuß eines langen Anstiegs merk’ ich plötzlich, dass ich hinten einen Platten habe“. Zwar sei ein Mechaniker mit einem Ersatzrad schnell zur Stelle gewesen, ihre Gedanken fuhren auf den nächsten Kilometern dennoch Achterbahn.
"Heute lassen wir uns nicht bremsen"
„Nicht wieder ein Missgeschick. Nicht wieder leer ausgehen“, dachte sie sich und als sie zu Lisa Klein und Mieke Kröger aufgeschlossen hatte, schwörten sie sich gemeinsam auf den Endspurt ein. „Heute lassen wir uns nicht bremsen – von nichts und niemandem“, erzählt Brennauer. So fuhr das Trio in der zweiten Runde Vollgas und behauptete auf die Schweiz einen Vorsprung von insgesamt 26 Sekunden. „Das war nach der turbulenten Woche natürlich ein super versöhnlicher Abschluss“, sagt die Duracherin. Im Teamhotel wurde noch auf den EM-Triumph angestoßen, am Samstag stand die 1400 Kilometer lange Heimreise mit dem Auto an.
Brennauer kann durchschnaufen - aber nicht lange
Jetzt heißt es ein paar Tage Durchschnaufen. Mit Spannung wartet sie darauf, wer am Mittwoch den Zuschlag für die WM im September bekommt. Und dann wird sie ab Mitte September ihr Profi- Team „Ceratizit-WNT“ beim Giro d’Italia als Helferin unterstützen. Ihre Saisonhöhepunkte kommen aber erst noch: Im Oktober sollen nämlich die Frühjahrsklassiker Flandernrundfahrt, Paris–Roubaix und das Amstel Gold Race nachgeholt werden. „Ich liebe diese Strecken“, schwärmt Brennauer. Und ist heiß, als wäre sie Wochen nicht mehr auf dem Fahrrad gesessen ...