Es scheint, als wäre es erst gestern gewesen. Damals im März, als mir Luis Stitzinger von seinem Projekt am Kangchendzönga berichtete. Wir standen am Fuß einer Wand in den Lechtaler Alpen, hatten gerade eine steile Rinne, die sogenannte „Lange Gonde“, mit Skiern abgefahren, so ganz wie es nach seinem Geschmack gewesen war. Luis erzählte über seine Pläne für den Sommer. Davon, dass es mit dem Everest heuer nichts werden würde wegen bürokratischer Probleme. Und er erwähnte, dass er schon eine Idee habe – nämlich den Kangchendzönga, den dritthöchsten Berg der Welt, mit Skiern zu bezwingen. Es gebe da noch was, was bisher niemand gemacht habe.
Niemand konnte damals ahnen: Es sollte sein letzter Gipfelsieg werden. Seit Dienstag herrscht darüber traurige Gewissheit. Ein Sherpa-Suchteam fand seinen leblosen Körper auf einer Höhe von 8400 Metern. Sein Leichnam soll in den kommenden Tagen ins Tal gebracht werden. „Die Berge waren Dein und unser Leben, der Kangchendzönga Dein ganz großer Lebenstraum, den Du Dir noch so gerne erfüllen wolltest“, schrieb seine Frau Alix von Melle auf Facebook.
Bergsteiger Luis Stitzinger aus Füssen tot im Himalaya gefunden: "Nahbar auch für jemanden wie mich"
Auch ich hatte das Glänzen in Stitzingers Augen erkannt, als er mir im März erstmals von seinem Projekt erzählte. Luis sprach aber nicht davon, um zu prahlen. Er sagte es mir, weil ich ihn danach gefragt hatte. Ihn, den so erfahrenen und umsichtigen Alpinisten, der mir ein Vorbild war. Nicht nur in technischer oder physischer Hinsicht, vor allem als Mensch. Unprätentiös, nie überheblich, nahbar auch für jemanden wie mich, der angesichts seiner beeindruckenden alpinistischen Vita nur staunen konnte.
Vor ein paar Wochen hatte mir Luis noch gratuliert zu meiner ersten Skibefahrung eines 4000ers. Wie gerne hätte ich ihm in diesen Tagen gratuliert zu seinem Ski-Erfolg am Kangchendzönga. Doch es kam anders. Nachdem Stitzinger am vergangenen Donnerstag gegen 17 Uhr Ortszeit am Gipfel stand, hatte er knapp vier Stunden später noch einen letzten Funkspruch abgesetzt. Darin kündigte er laut des Bloggers Stefan Nestler an, nun die Skier anzuschnallen, um zu einem Hochlager abzufahren, wo eine Bekannte von ihm wartete. Doch Stitzinger kam nie dort an.
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Bereits am 18. Mai hatte der Füssener einen Gipfelversuch gewagt, sich aber in einer Rinne verstiegen. Er musste umdrehen. Nach sehr kurzer Regenerationszeit brach er drei Tage später wieder Richtung Gipfel auf. Seiner Frau zufolge hatte er sich fitter gefühlt als auf anderen, vorherigen Expeditionen. Umso weniger begreiflich erscheint, was da am vergangenen Donnerstag am dritthöchsten Gipfel der Welt passiert sein muss.
Nachruf auf Extrembergsteiger Luis Stitzinger: "Selten bin ich einem auf Anhieb so liebenswerten Menschen begegnet"
In seiner Heimatstadt Füssen ist die Betroffenheit groß: Zwar ist das Bergsteigen an den Achttausendern eine hochriskante Angelegenheit. Wer Stitzinger aber kannte, wusste, er war kein Hasardeur, sondern vielmehr jemand, der umsichtig und besonnen handelte. Das betonen auch einstige Weggefährten, darunter Extremkletterer Stefan Glowacz oder Michi Duechs, Moderator der Fernsehsendung „Bergauf Bergab“.
Beide finden aber noch bewegendere Worte über den Charakter: „Selten bin ich einem auf Anhieb so liebenswerten und sympathischen Menschen begegnet“, schreibt Glowacz. Duechs sagt, Stitzinger sei trotz aller Erfolge einer der bescheidensten Personen gewesen, die er kannte. So wird Luis Stitzinger auch mir in Erinnerung bleiben, als Bergmensch, als Allgäuer, als Freund.
„Es bleibt der Trost, dass Du bis zum Schluss dort warst, wo Du am liebsten und immer glücklich warst – in den Bergen“, so heißt es treffend von seiner Frau Alix von Melle.